Alfons Walde: Glücklich mit Walde

Die abenteuerliche Geschichte einer Emigration und zugleich die Geschichte eines Gemäldes von Alfons Walde: Das aus israelischem Privatbesitz stammende Bild ist neben weiteren bedeutenden Werken des Tiroler Künstlers eines der Top-Lose der kommenden Moderne-Auktion.

Alfons Walde (1891–1958), „Kirchstiege“, Anfang 1920er-Jahre, Öl-Tempera auf Karton, 70 x 75 cm, Schätzwert € 120.000 – 200.000

Almen, Skitourengeher, verschneite Kirchtürme und Bauernhöfe: Das sind die Motive von Alfons Walde (1891–1958), einem von der Ästhetik des Secessionismus beeinflussten Kitzbüheler Maler. Er gilt als einer der wesentlichen Protagonisten der Klassischen Moderne in Österreich. Ein besonders einprägsames Beispiel seines abstrahierten, aus einer Art Vogelperspektive gemalten Motivs „Kirchstiege“ befand sich in Israel, in einem bescheidenen Häuschen mitten am Land. Das bäuerliche Menschen auf der Kirchstiege darstellende Bild kehrt über Rafael Schwarz, den Dorotheum-Repräsentanten in Israel, zurück nach Österreich: in die kommende Moderne-Auktion am 29. November.

Wie kam es dazu? Das Gemälde war neben einem mittlerweile verkauften Rubens-Werk der einzige Wertgegenstand, den Franz Stiassny und seine Frau Käte 1933 aus dem damals deutschen und heute polnischen Schlesien in die Emigration nach Palästina mitnehmen konnten: Geld auszuführen war nur bis zu einer gewissen Summe erlaubt. Der 1901 in Brünn/Brno geborene Nationalökonom hatte nach einer Kindheit in Innsbruck, wo die Familie das Damenmodengeschäft Stiassny & Schlesinger geführt hatte, von 1925 bis 1933 eine mit 1.500 Beschäftigen sehr große Textilfabrik in Schlesien geleitet. Er weigerte sich, jüdische durch „arische“ Arbeiter zu ersetzen. Anders als Franz Stiassny wollte seine Schwester Elli die Wiener jüdische Community nicht verlassen. Das wurde ihr schließlich zum Verhängnis: Gemeinsam mit ihrem Ehemann Desider Friedmann, dem letzten Leiter der Israelitischen Kultusgemeinde Wien vor dem Holocaust, wurde sie im NS-Vernichtungslager Auschwitz ermordet. Für den Familienvater Franz Stiassny war es zweifellos die beste Entscheidung, in den frühen 1930er-Jahren auszuwandern, wenngleich er als arbeitsloser Akademiker ganz neu beginnen musste: Er wurde hart arbeitender Milch- und Gemüsebauer im jungen Palästina. Mit dem Esel schafften die neuen Israel-Bürger die Kuhmilch ins Dorf, wo sie gekühlt und nach Tel Aviv geliefert wurde, erinnert sich der Einbringer der „Kirchstiege“, eines von Stiassnys vier Kindern. Nach 27 Jahren Wohngemeinschaft trennte sich der jetzige Besitzer heuer vom geerbten Bild – eine sehr emotionale Sache, wie er zugibt. Die „Kirchstiege“ – sein Vater Franz hatte sie wahrscheinlich gemeinsam mit einem in die USA ausgewanderten Verwandten gekauft, der zwei Waldes erworben haben soll – war wohl sehr wichtig: ein Stück Kontinuität in einem unsteten Leben. Das Bild hing immer im Wohnzimmer, übersiedelte in ein neues Zuhause und zuletzt sogar mit ins Altersheim. Am Ende seines Lebens pflegte Franz Stiassny, so sein Sohn und Bild-Erbe, auf den heiteren Gesichtsausdruck der am Bild dargestellten Mutter zweier Kinder zu zeigen und ebenfalls zu lächeln.

Er selbst, so der Sohn, ein ehemaliger Universitätsprofessor für Genetik, sei kein Sammlertyp, aber seine Frau und er liebten Kunst. In seiner Kindheit habe der Rubens mehr Wirkung auf ihn gehabt, dann immer mehr die „Kirchstiege“. Jetzt, bleibt zu hoffen, wird ein neuer Kunstliebhaber mit ihr glücklich … was übrigens auf Tschechisch mit „stiassny“ übersetzt wird.

Information: Mag. Rafael Schwarz, Tel. +43-1-515 60-405, rafael.schwarz@dorotheum.com

AUKTION

Moderne, 29. November 2022, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

moderne@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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