Der perfekte Makel

Jean-Pierre Riber, Schriftsteller, Spitzenkoch und Quiche-Lorraine-Spezialist, hat uns im charmanten elsässischen Dörfchen Meyenheim empfangen. In seinem uralten Familienhof aus dem Jahre 1556 erzählt er uns von seiner erstaunlichen Leidenschaft für Münzen mit Fehlprägung.

Monsieur Riber, was ist eine Münze mit Fehlprägung?

Das ist ganz einfach eine Münze, die eine fehlerhafte Inschrift aufweist.

 

 

 

Wie haben Sie Ihre Sammlung begonnen? Ich nehme an, Sie waren nicht schon immer von der Numismatik und ihren Irrtümern begeistert?

Ich habe mit sechs Jahren damit begonnen. In der Küche unseres Familienhofes gab es eine metallene Schachtel, die einen für mich magischen Klang erzeugte. Diese Schachtel enthielt Geldstücke, die mein Großvater im Verlauf des Ersten Weltkrieges aus verschiedenen Ländern mitgebracht hatte. Darunter befanden sich insbesondere alte 10-Centesimi-Münzen aus dem 19. Jahrhundert, der Zeit der italienischen Könige Emmanuel II. und Umberto I. Als mein Großvater mir die Schachtel schenkte, fesselte mich der Gedanke an die lange Geschichte, die hinter diesen Münzen stand. Ich besitze sie heute noch, sie sind das Herzstück meiner Sammlung, und ich werde mich nie davon trennen.
Meine Begeisterung für die Numismatik hat sich definitiv in meinem zehnten Lebensjahr festgesetzt. Damals begleitete ich meinen Vater beim Ausliefern von Getreide, und dabei trafen wir regelmäßig einen vornehmen Herrn, dem es Spaß machte, mich Knaben nach meinen Kenntnissen in französischer Geschichte zu befragen. Erstaunt über mein Wissen, zeigte er mir eine kleine Louis-Silbermünze, die 1720 in Straßburg geprägt worden war, und schenkte sie mir. Ich war fasziniert, spürte eine Berufung und ließ meine anderen Sammlungen von Briefmarken, alten Postkarten und Fossilien liegen, um mich fortan ausschließlich der Numismatik zu widmen.

 

Wie hat sich Ihre Sammlung entwickelt?

Nach 40 Jahren des leidenschaftlichen Sammelns besteht sie heute aus über 1.000 Stücken! Man beginnt damit, auf Flohmärkten zu suchen, Magazine zum Thema zu lesen, Kataloge von Auktionshäusern zu studieren und andere Sammler kennenzulernen, um sich dann mit der Zeit zu spezialisieren. Ich bin von Natur aus neugierig und würde mehrere Leben brauchen, ehe ich behaupten könnte, die numismatische Wissenschaft vollständig zu beherrschen – denn sie reicht in die Geschichte, die Geografie, die Mathematik und viele andere Lebensbereiche hinein …

 

Wie erweitern Sie Ihre Sammlung?

Ich kaufe ausschließlich aus Freude und um ein Buch zu beenden, an dem ich seit über 20 Jahren schreibe und das mein Lebenswerk sein wird: ein Verzeichnis der Münzen mit Fehlprägung von 1515 (König François Ier) bis heute. Sammler tauschen ihre Stücke selten.
Ich entdecke meine Schätze bei speziellen Händlern, bei Privatpersonen, in Antiquariaten, die auf Numismatik spezialisiert sind, und in Katalogen von Auktionshäusern. Im Dorotheum habe ich Ende Mai 2015 zwei Münzen gekauft: einen „Ferdinand II. Taler o. J., Klagenfurt, mit dem Kaiser und Königstitel“, auf dem das Wort Avstriae mit einem zusätzlichen A und V geschrieben steht; und einen „Sachsen, Albertinische Linie, August 1553–1586, Taler 1557, Dresden“, auf dem ROIMA statt ROMA eingeprägt ist.
Im April 2003 ersteigerte ich bei der berühmten Auktion des Nachlasses von André Breton eine antike Goldmünze aus der Zeit der Ambiani und Atrebates, keltischer Stämme aus dem gallischen Belgien. Diese über 2.000 Jahre alte Münze weist ein ganz zeitgenössisches Design auf und hätte den Surrealisten gefallen.
Ich besitze auch eine sehr seltene Münze mit Fehlprägung, die für Ludwig XVI. hergestellt wurde und auf der das V fehlt, wodurch sie Ludwig dem XI. gewidmet zu sein scheint. Es gibt nur noch sieben Exemplare dieser Münze auf der Welt, und eines davon besitze ich!

Haben Sie besondere Entdeckungen gemacht?

Ich bin ein wahrer Münzjäger und spüre manchmal Dinge auf, die andere nicht sehen. Einmal traf ich einen Sammler, und der zeigte mir ein Stück, das ihm selbst gar nichts sagte. Ich habe sofort erkannt, dass es sich um eine „Thaler-Klippe“ handelte [Stücke, die nicht rund, sondern vier- oder mehreckig sind und deren Schrötlinge, also die noch ungeprägten Münzplättchen, mithilfe einer Klippschere hergestellt wurden, Anm.], die in einem Werk von Arthur Engel aus dem Jahre 1876 erwähnt worden war; es war ein seltenes Exemplar, das aus der Sammlung Rencker stammte, und ich habe es natürlich sofort gekauft. Ich hatte auch das Glück, ein besonderes Buch in meinen Besitz zu bringen, das bei einer Auktion in Lyon übrig geblieben war. Es heißt „Traité de la cour des Monnoyes et de l’estendue de sa juridiction“ und ist von einem gewissen Maître Germain Constant, Advokat am Parlament von Toulouse, der das Werk 1658 herausgebracht hat. Es wiegt sechs Kilogramm und umfasst mehr als 1.000 Seiten. Eine wahre Enzyklopädie für Numismatiker!

 

Nördliche Kelten, Ambiani/ Atrebates Goldstater 2. / 1. Jh. v. Chr., aus der Sammlung des Surrealisten André Breton.
Nördliche Kelten, Ambiani/ Atrebates
Goldstater 2. / 1. Jh. v. Chr., aus der
Sammlung des Surrealisten André Breton.

 

Sachsen, Taler 1833 Legendenfehler: SACHSFN statt SACHSEN
Sachsen, Taler 1833
Legendenfehler: SACHSFN statt SACHSEN

 

Joëlle Thomas ist Repräsentantin des Dorotheum in Paris.

(Dorotheum myART MAGAZINE Nr. 07/2016)

Jean-Pierre Riber gibt zu, dass das Interesse für Münzen mit Fehlprägung ein ziemlich elitäres Hobby ist. Er hofft dennoch, Sammler zu finden, denen er sein Wissen weitergeben und mit denen er jene „Jagd nach Wissen“ teilen kann, die Michel de Montaigne so schätzte und die Zeit und Raum zum Verschwinden bringt.

 

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Beitragsbild
Jean-Pierre Riber © Christian Sarramon

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