Futurismus: Die Welt in Bewegung

Futurismus

Der Futurismus ist Italiens künstlerische Antwort auf den Wandel in Gesellschaft, Kultur und Kunst, beeinflusst durch wissenschaftlichen Fortschritt und technische Errungenschaften, angetrieben vom Drang, auf die kulturelle Selbstpositionierung Frankreichs zu reagieren und der Vergangenheit eine Absage zu erteilen. Als beispielhaft gelten die Werke von Giacomo Balla und Gino Severini.

Der Futurismus, ein italienisches Phänomen, begründete sich – dem Schriftsteller Filippo Marinetti sei Dank – 1909 zunächst als literarische Bewegung, aus der schließlich die erste künstlerische Avantgarde des Landes hervorging.

Ausgangspunkt der Bewegung war das dringende Verlangen, in der europäischen Kunstszene eine zentrale Rolle zu spielen: Als Hauptstadt der Kunst galt Paris – in Italien hatte man indes den Eindruck, ausgeschlossen zu sein. Die Erfahrung der Weltkriege, wissenschaftliche Errungenschaften und der technische Fortschritt trugen das Ihre dazu bei, dass eine Zeit großer Umbrüche, gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Wandels losbrach, von dem sich typische futuristische Prinzipien wie Gleichzeitigkeit, gegenseitige Durchdringung oder Dynamik direkt ableiteten. In einer Welt, die junge Menschen vor die Entscheidung zwischen Alt und Neu stellte, beschlossen die Futuristen – bestärkt von einem frischen, positivistischen Glauben an den Fortschritt – der Vergangenheit den Kampf anzusagen und die Idee einer dynamischen und modernen Gegenwart voranzutreiben.

Marinetti schuf den Futurismus offensichtlich als Italiens Antwort auf die künstlerischen Erfahrungen Frankreichs; aus diesem Grund veröffentlichte er 1909 sein „Manifesto del Futurismo“ wohl auch in der Pariser Zeitung „Le Figaro“. Und die erste wichtige Ausstellung der Gruppe sollte 1912 ebenfalls in Paris, in der Galerie Bernheim-Jeune, stattfinden.

Giacomo Balla, Linea di velocità, 1914, Tempera auf Papier, 18 x 24 cm, erzielter Preis € 77.500

Futuristische Gemälde oder Skulpturen waren damals noch Zukunftsmusik, Künstler wie Boccioni und Balla, wenngleich vielversprechende Maler, lange nicht bei jenem Stil angekommen, der sie auf der ganzen Welt berühmt machen sollte. Dass die Bewegung zu so großem Erfolg kam, hatte sie Marinetti, seiner außergewöhnlichen Hartnäckigkeit und seinen finanziellen Mitteln zu verdanken. Kurze Zeit später unterzeichneten fünf bekannte Künstler das „Manifesto della Pittura Futurista“. Es verkündete unter anderem die Abkehr von der traditionellen Perspektive Albertis und Brunelleschis zugunsten einer neuen Sicht, die auf der Gleichzeitigkeit verschiedener Blickpunkte basiert. Ziel war es, der altertümlichen statischen Kunst eine neue, dynamische Art zu malen gegenüberzustellen, die das Gefühl von Geschwindigkeit und Bewegung zu transportieren vermochte und den Beobachter mitten ins Geschehen setzte.

Giacomo Balla, Spessori di spazio + linee andamentali, um 1913, Öl auf Papier auf Leinwand, 46,5 x 58 cm, Schätzwert € 80.000 – 120.000, Auktion Klassische Moderne 24. November 2015
Giacomo Balla, Spessori di spazio + linee andamentali, um 1913, Öl auf Papier auf Leinwand, 46,5 x 58 cm

Im Dorotheum kamen nun wichtige futuristische Werke herausragender Künstler zur Auktion – etwa von Giacomo Balla, dem ältesten Mitglied der Gruppe, und von seinem Schüler Gino Severini. Balla, der sich fast ausschließlich auf abstrakte Malerei konzentrierte, ist mit zwei Werken von 1913 bzw. 1914 vertreten. Es waren die Jahre der „Velocità di automobili“ („Geschwindigkeit des Automobils“), „Voli di rondini“ („Flug der Schwalben“), „Line andamentali“ („Linien der Bewegung“): Werkreihen Ballas, die sich durch abstrakte, an Lichtkurven erinnernde Kompositionen charakterisieren und zumeist aus Kreisen und Dreiecken bestehen. (In seiner eindringlichen Wirkung ist das Dreieck die dynamische Form schlechthin und deswegen ein wiederkehrendes Motiv in Ballas Arbeiten.)

Gino Severini, Sortie Nord-Sud, um 1913, Gouache, Pastell und Kreide auf braunem Papier über Karton, 45 x 35 cm, Schätzwert € 300.000 – 400.000, Auktion Klassische Moderne 24. November 2015
Gino Severini, Sortie Nord-Sud, um 1913, Gouache, Pastell und Kreide auf braunem Papier über Karton, 45 x 35 cm, erzielter Preis € 369.000

Der gefühlvolle und – anders als seine Kollegen – weniger zu Verwirrung und Provokation neigende Gino Severini war im Dorotheum mit „Sortie Nord-Sud“ von 1913 vertreten. Wie die meisten seiner Arbeiten gelang es ihm auch in diesem Gemälde, Bewegung und Dynamik auf jene perfekte, wenngleich sanfte und lyrische Weise darzustellen, die sich dem Einfluss von Seurats Pointillismus und der Ästhetik des klassischen Kubismus verdankte. Tatsächlich lebte Severini viele Jahre lang in Paris, wo er mit Künstlern wie Braque, Dufy, Valadon und deren Sohn Utrillo in Kontakt kam und sich intensiv mit den französischen Vertretern der Avantgarde austauschte – das scheint auch der Grund dafür, dass seine Werke stets von fröhlicher Farbenfreude und dynamischer, nicht aber grober Struktur sind.

(myART MAGAZINE Nr. 06/2015)

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