Carla Accardi: Im Zeichen der Farbe

Carla Accardi – Vorreiterin der abstrakten Kunst und Pionierin des Feminismus – zählt heute zu den bedeutendsten Repräsentantinnen italienischer Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg. An einigen ausgewählten, im Dorotheum verkauften Werken lässt sich das Schaffen der Künstlerin gut nachvollziehen.

Die am 9. Oktober 1924 im sizilianischen Trapani geborene und 2014 verstorbene Carla Accardi weist schon früh künstlerisches Gespür auf. Nach dem Besuch von Kursen an den Kunstakademien in Palermo und Florenz zieht sie 1946 nach Rom, wo sie in den Ateliers in der Via Margutta verkehrt. Sie freundet sich mit vielen jungen, vielversprechenden Künstlern an und arbeitet mit ihnen zusammen.

1947 schließt sie sich der formalistischen Bewegung an und unterzeichnet mit ihren Freunden Pietro Consagra, Ugo Attardi, Piero Dorazio, Mino Guerrini, Achille Perilli, Giulio Turcato und Antonio Sanfilippo, den sie 1949 heiratet, das Manifest der avantgardistischen, marxistisch inspirierten Künstlergruppe Forma 1. Accardi nimmt an zahlreichen Gruppenausstellungen sowohl in Italien als auch im Ausland teil und hat ihre erste Einzelschau in der Galleria Numero in Florenz, der 1950 eine von Giulio Turcato präsentierte Ausstellung in der Galleria Libreria Age d’Or in Rom folgt.

Nachdem sie ihre Faszination für die kubistische Dekomposition entdeckt hat, sucht sie konsequent einen eigenen Weg; in der Poesie der Zeichen entstehen immer individuellere, einzigartige Werke. Sie schafft ein eigenes Universum aus geheimnisvollen, abstrakten zweidimensionalen Zeichen, die sich miteinander verflechten, sich entfernen, einander anziehen, den Abstand zum Hintergrund aufheben.

Carla Accardi malt von oben nach unten, zuerst auf Papier, dann auf Leinwand, die sie auf den Boden legt. Fotografien der Künstlerin zeigen sie oft auf dem Boden oder an einem Tisch arbeitend, nie jedoch an einer Staffelei. Sie sucht die Freiheit: Ihre Zeichen müssen sich frei „fühlen“, sich ohne räumliche Einschränkungen in die Unendlichkeit ausdehnen können.

In den 1950er-Jahren finden ihre Werke, die sich – wie „Integrazione“ von 1958 – durch weiße, malerische Elemente vor schwarzem Hintergrund auszeichnen, großen Zuspruch bei dem Kritiker und Namensgeber des Informel Michel Tapié; er lädt sie zu von ihm kuratierten Ausstellungen in Italien und im Ausland ein.

Carla Accardi A Settori, 1962 Kasein auf Leinwand, 120 x 140 cm erzielter Preis € 112.500
Carla Accardi
A Settori, 1962
Kasein auf Leinwand, 120 x 140 cm
erzielter Preis € 112.500

In den 1960ern bereichert Accardi das Zusammenspiel von Zeichen und Farben um leuchtende Töne: Sie beginnt, die Farben zu beleben, sie durch Kontraste anzunähern, und findet Farbkombinationen, die auf ihren Bildern ebenso raffiniert wie gänzlich natürlich wirken. „A Settori“ von 1962 ist ein schönes Beispiel dafür.

Die auf der Verbindung von Zeichen und Farbe gründende künstlerische Suche erfährt in den folgenden Werken weitere Radikalisierung: Carla Accardi setzt durchsichtige Sicofoil als Trägermaterial ein, um die Natur des Gemäldes als Quelle von Licht und Lebensenergie zu betonen. Ermöglichte die Verwendung des transparenten Kunststoffes einerseits, sich der traditionellen Idee des „Trägermaterials“ radikal zu widersetzen, die von ihr geliebten Zeichen freizulassen und dem umgebenden Raum auszusetzen, bezeugen andererseits die fluoreszierenden Farben, aus denen sie bestehen, die Suche nach einem Dialog zwischen Hand- und Kunstfertigkeit – etwa in „Dieci triangoli“ von 1978.

 

ASTA MODERNO PRIMAVERA 2015
Carla Accardi, Dieci triangoli, 1978 Sicofoil on painted wood, 10-part, 40 x 40 x 40 cm each price realised € 210,400

Werke wie „Per l’infinito lo Scirocco n. 2“ lassen erkennen, dass Carla Accardi in den 1980er-Jahren neuerlich auf die Suche geht und dabei die grobe Leinwand in den Mittelpunkt rückt. Diese lässt Geflechte großer, farbiger Zeichen durchsickern, bei denen verschiedene chromatische Einfassungen einander entgegengesetzt werden und Felder von unterschiedlicher Farbe und Intensität erzeugen.

Die systematische Erkundung und Verherrlichung des Paares Zeichen/Farbe charakterisiert mehr als ein halbes Jahrhundert lang die Poesie Carla Accardis; dabei findet sie jedoch immer neue künstlerische Lösungen.

 

„Mehr noch als die Farben selbst liebe ich die Farbzusammenstellungen und das sich daraus ergebende Licht … Auch als ich Rot mit Grün kombinierte oder Rosa mit Hellblau war mir immer wichtig, dass die beiden Farben dieselbe Kraft besaßen und nicht nur Komplementärfarben waren.“ (Carla Accardi)

 

Bei der November-Auktion für zeitgenössische Kunst im Dorotheum gelangte wieder ein großartiges Werk von Carla Accardi zur Versteigerung. Es ähnelt jenem Werk der Künstlerin, das bei der Auktion im Juni 2016 einen Weltrekordpreis erzielte: „Biancobianco“ von 1966. Farbe, Zeichen, Transparenz, Handfertigkeit, Künstlichkeit und die Persönlichkeit einer Künstlerin, die zu den bedeutendsten Vertretern der abstrakten Kunst in Italien zählt: All das findet sich auch im 1967 geschaffenen Werk „Giallo giallo“. „Das Werk von Carla Accardi bedeutet für mich das Gefühl für Farbe und Zeichen in ihrer reinsten Form, das visuelle Vergnügen am Zusammentreffen mit der physischen Präsenz der Farbe, die vor allem für sich selbst handelt, das heißt für ihre eigenen dynamischen Eigenschaften der Konzentration und Expansion, und sofort danach den Reichtum der metaphorischen Anspielungen offenbart: ein unmittelbares und gleichzeitig komplexes Vergnügen.“ (Filiberto Menna in „Artificio e Natura“)

 

Carla Accardi, Per l’infinito lo Scirocco n. 2, 1987, Vinyl on canvas, 146 x 146 cm. price realised € 149,400

 

 

Beitragsbild:

Carla Accardi
Giallo giallo, 1967
Lack auf Sicofoil und Leinwand, 96 x 101,3 cm
erzielter Preis € 112.500

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