Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl auf der Biennale von Venedig

VEFÜHREN UND EINLADEN

Wiens flamboyante Antwort auf Gilbert & George lautet Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl. Die beiden gelten als einer der heißesten Kunstexporte des Landes und bespielen derzeit den vom Dorotheum gesponserten Österreich-Pavillon bei der Biennale von Venedig. Mit ihren Aktionen und Artefakten schaffen sie einen Kosmos aus Pop-Versatzstücken, der mit Witz und Verve Selfiekult, Identitätswechsel, Genderthemen und vieles mehr anspricht. So ges(ch)ehen auch bei der Vienna Art Week 2019 zum Thema „Making Truth“. Ein Porträt. 

Wien hat endlich wieder ein Gesamtkunstwerk. Und was für eines! Kunst und Leben, High und Low, Retro und Visionär verschmelzen im Künstlerpaar Jakob Lena Knebl/Ashley Hans Scheirl. Der fast schon inflationäre Begriff „queer“ beschreibt nur unzureichend, wie wundersam, immer wieder überraschend und mit welchem Esprit und Humor das beiderseits mit männlichen und weiblichen Vornamen versehene Duo sämtliche Normen gegen den Strich bürstet. Oder malt. Auch wenn der Malgrund unter anderem ein männlicher Körper ist, wie bei der dreiteiligen Videoinstallation „Umfärben“ im Rahmen der Vienna Art Week 2019. Der bemalte Mann als männliche Muse spielt wieder auf Body Art und Aktionismus an, in Wien geborene und aufgezogene Kunstrichtungen.

„Umfärben“ auf der Vienna Art Week 2019 im Palais Dorotheum: dreiteilige Videoinstallation von Knebl/Scheirl Foto: eSeL
„Umfärben“ auf der Vienna Art Week 2019 im
Palais Dorotheum:
dreiteilige Videoinstallation von Knebl/Scheirl Foto: eSeL

Die Zentralwand im Foyer des Palais Dorotheum fungierte am Vienna-Art-Week-Eröffnungsabend als flimmerndes Triptychon, in dem Knebl und Scheirl selbst als funky Handwerker mit Farbrollern Bodenflächen übermalten. Der Betrachter bekam das Ganze aus der Vogelperspektive zu sehen. Umfärben erhält hier auch eine ganz andere Dimension, zumal zum damals gerade stattfindenden heftigen Wandel in Österreichs Parteipolitik – und noch dazu zum Vienna-Art-Week-Thema „Making Truth“.

Überhaupt wimmelt es in den Artefakten, Tableaus und Inszenierungen des illustren Duos von Anspielungen und Referenzen. Inmitten von Konzeptkunst und Dystopie ein bejahend bunter Kosmos aus Pop-Versatzstücken, der mit Humor Selfiekult, Fetischismus, Identitätswechsel, Genderthemen und vieles mehr anspricht. Mittels Elementen von Populärkultur und Design findet Jakob Lena Knebl einen bewusst demokratischen Zugang zur Kunst, hinterlässt Spuren des Alltäglichen im elitären Umfeld: „Ich möchte nicht gleich eine Abwehrhaltung provozieren, ich arbeite lieber mit Verführung und Einladung.“

„Trans“ als Methode

Transmediales Panoptikum auf der Biennale Lyon: Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl in der Arbeit „La Poupée, le Doigt d‘Or et les Dents: Fou de Rage“, 2019 Courtesy bei den Künstlern, Galerie CRONE, Berlin; Georg Kargl Gallery, Wien; Belmacz Gallery London; Galerie Loevenbruck, Paris. © Blaise Adilon
Transmediales Panoptikum auf der Biennale Lyon:
Ashley Hans Scheirl und Jakob Lena Knebl in der Arbeit
„La Poupée, le Doigt d‘Or et les Dents: Fou de Rage“, 2019 Courtesy bei den Künstlern, Galerie CRONE, Berlin; Georg Kargl Gallery, Wien; Belmacz Gallery London; Galerie Loevenbruck, Paris. © Blaise Adilon

Ihre Werke sehen die beiden auch an der Wiener Akademie der bildenden Künste lehrenden Universalkünstler in der Tradition der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung, der Wiener Werkstätte und des Bauhauses. Wobei der Begriff „Trans“ eine wichtige Rolle spielt, nicht nur in Bezug auf Transgender, das Ashley verkörpert(e). Trans sei Methode, sagt Lena, „trans-medium, trans-genre; wir haben eine weitere Auffassung davon“. Es sollte etwas sein, was möglichst viele Menschen einschließt. Beuys sei da eine Inspiration. Diese Nähe! Er habe lange Gespräche mit unbekannten Personen geführt, die seine Nummer aus dem Telefonbuch hatten. Bringen der enorme künstlerische Output von Lena und Ashley sowie diese Nähe zum Publikum nicht an den Rand der Kraft? Und wenn schon: „Beuys sagte, man muss sich verschleißen!“ 

Komiker vom Format eines Stan Laurel und Oliver Hardy, und um Himmels Willen nicht Kabarettisten, sind weitere Helden von Lena und Ashley. Allen voran stehen Monty Python, Lenas früherer künstlerischer Ausgangspunkt für fast alles. Oder Gilbert & George, die „Monty Pythons der bildenden Kunst“, wie Lena es ausdrückt. In der Tradition dieser Briten sieht sich das Wiener Duo verhaftet: unglaublich komisch etwa die Fotos, auf denen sich beide im Ganzkörperanzug als lebende Kerzen in Bastelbücher der 1970er-Jahre hineinschwindeln. 

Das Feminine als Behinderung

Seit 2016 sind Lena und Ashley offiziell verpartnert. Beide haben, wie könnte es anders sein, erfrischend unorthodoxe Lebensläufe. Ashley mischte als Hans Scheirl während der 1990er in der Londoner Underground-Szene mit, gründete eine Factory à la Warhol und spielte etwa im eigenen punkig-trashigen Film „Rote Ohren Fetzen Durch Asche“ bereits in den 1980er-Jahren queer-feministische Rollen. Kunst als Experimentierfeld für wechselnde Identitäten! Mit oft raumgreifenden, mit „Hans“ signierten Malereien verschafft Scheirl sich spätestens seit der documenta-Teilnahme 2017 Gehör. Große Stücke hält Ashley Hans Scheirl auf Maria Lassnig … kein Wunder, war diese doch Mentorin von Scheirl und Scheirl Lassnig wiederum durch eine Assistententätigkeit eine Zeit lang verbunden.  

Puppen und Masken: „Twins“, 2020, von Jakob Lena Knebl © Christian Benesch; Bildrecht Wien, 2020
Puppen und Masken: „Twins“, 2020, von Jakob Lena Knebl © Christian Benesch; Bildrecht Wien, 2020

Buchstäblich am eigenen Leib hat Ashley Hans Scheirl männliche und weibliche Seiten ausgelebt. Das Resümee in einem Interview mit der „Presse“ 2018: „Mir ist erst in den vergangenen Jahren klar geworden, dass es für Frauen den Druck gibt, sich zu schmücken, und für Männer den Zwang, es nicht zu tun. Es heißt: Willst du dich nicht schön machen für die Männer? Umgekehrt ist ein Mann, der mit Nagellack in der U-Bahn fährt, extrem gefährdet. Das hat mit der Angst vor dem Femininen zu tun, vor dem Verletzlichen. Dabei bist du ja mit Stöckelschuhen wirklich behindert! Das Feminine ist eine Behinderung – ob man will oder nicht.“

Lena ist kunstmäßig eine Spätberufene. Nach Jahren in der Altenbetreuung studierte sie Kunst bei Heimo Zobernig und Mode bei Raf Simons. Vor Kurzem hat sie eine Ausbildung zum systemischen Coach absolviert. „artnet News“ bezeichnete das Allroundtalent im Vorjahr als eine der zehn weltweit einflussreichsten Kuratorinnen und Kuratoren des vergangenen Jahrzehnts. Ihre klugen, schrägen und extrem subjektiven Sammlungspräsentationen, etwa des Wiener Museums moderner Kunst (mumok) vor drei Jahren oder derzeit des Linzer Lentos Museums, funktionieren auf vielen Wahrnehmungsebenen. 

Alles fließt

Ins Seventies-Bastelbuch hineinschwindeln: Knebl/Scheirl im Kerzen-Modus am Digitalprint „Firestarter 2“, von Jakob Lena Knebl Courtesy Georg Kargl Fine Arts, Vienna © Christian Benesch
Ins Seventies-Bastelbuch hineinschwindeln: Knebl/Scheirl im Kerzen-Modus am Digitalprint „Firestarter 2“, von Jakob Lena Knebl Courtesy Georg Kargl Fine Arts, Vienna © Christian Benesch

Wie läuft die Gemeinschaftsarbeit ab bei Partnern in Kunst und Leben? Ganz wichtig sei der Ausstellungsort als Ausgangspunkt, die Themen werden ausführlich diskutiert. Kollaboration wird großgeschrieben. Bei der Biennale von Lyon 2019 fanden sich etwa Elemente von Ashleys Seidenbildern in Lenas Druckgrafiken, Lena machte mit dem Label „house of the very islands …“ eine Kollektion daraus. Das Wiener Modekollektiv, dem Lena früher angehörte, integrierte wiederum Teppichentwürfe Lenas in seine Arbeiten. 

Mit ihren Tableaus, Videos und Inszenierungen scheinen die beiden derzeit den Nerv der Zeit zu treffen. Ihre universelle Sprache – eine Mischung aus Opulenz, Pop, Komik und Sinistrem – ist international gefragt. Nach der Biennale von Lyon und Einzelschauen in Wiener Galerien geht es unter anderem gemeinsam zur Biennale von Venedig 2021, wo sie den Österreich-Pavillon gestalten. Ashley stellt außerdem bei der Biennale Riga aus, Lena im Museum für Kunst und Geschichte in Genf.

Zur Zeit des Life Ball 2019 stand quasi ganz Wien unter ihrer Flagge – einer 70 Meter hohen Installation am Rathausturm. Nicht zuletzt sind Lena Jakob/Ashley Hans ein formidables Lebenszeichen der aktuellen Kunstszene in Wien.

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