Veronica Etro: Der Blick zurück nach vorne

Etro

Kaum wo sind Mode und Kunst so eng verwoben wie bei Etro, dem Mailänder Luxuslabel. Keine verkörpert dies mehr als Womenswear – Designerin Veronica Etro. Dorotheum myART MAGAZINE auf Tuchfühlung mit der Person hinter den opulenten Farbräuschen und eklektizistischen Materialmixen. Einer Frau, die Geschichte und Tradition immer wieder etwas überraschend Neues abringen will.


Färbt optimistisches Design ab? Das Erste, das an dieser besonderen Frau auffällt, ist ihr Lächeln. 95 Prozent der Fotos zeigen Veronica Etro mit freudig nach oben gezogenen Mundwinkeln – sogar in Momenten, da sie sich besonders aufs Denken konzentriert. Meist strahlen die Augen mit. Für die Person hinter der Damenkollektion des Mailänder Modelabels Etro scheint ihr Beruf Berufung zu sein. Gleichzeitig ist ihr wichtig, dass man – wie sie selbst, natürlich lächelnd, rät – Mode nicht allzu ernst nimmt. Studienjahre in Zeiten der Young British Art der 1990er an der renommierten Londoner Kreativtalenteschmiede Central Saint Martins und eine ebenso kunstsinnige wie geschäftstüchtige Familie sind offenbar der fruchtbare Boden, der das Talent der Designerin nährte. Musterhaft im wahrsten Sinne, treibt doch ihr üppiger Stoff-, Farben- und Materialmix unter dem Markenzeichen Etro prächtige Blüten.

Wieso sie nicht Künstlerin wurde? „Wo sonst kommen aktuelle Musik, Fotografie, Architektur, Interior Design und Lifestyle so ideal zusammen wie in der Mode?“, sagt Veronica Etro. Und wie kommt sie im schnellen Zyklus der Saisonen und Trends immer wieder zu neuen Ideen? Spielerisch spontan, sagt sie, zumindest zu Beginn. Panta rhei – fließen lassen –, sammeln, vergleichen und dann nach und nach reduzieren: Das ist Etros Methode.
Die Kreativchefin liebt dieses produktive Suchen, Finden, Collagieren. Da steht sie vor Wänden mit – noch ganz analogen – Notizzetteln und Materialsammlungen, stellt intuitiv Dinge zusammen, kombiniert, experimentiert. „Wenn du gerade an etwas dran bist, go for it!“ Aus ihren Notizbüchern oder aus den Schachteln, in denen Veronica Etro für die aktuelle Kollektion wichtig erscheinende Dinge sammelt, werden Inspirationsteilchen genommen, geordnet, ausgesondert und neu gemischt.

 

Kunst aus der Etro-Sammlung: John Colliers „Sich zurücklehnende Frau“ im Stile der Präraffaeliten
Kunst aus der Etro-Sammlung: John Colliers „Sich zurücklehnende Frau“ im Stile der Präraffaeliten

 

Museales Archiv

Als einzigartige Recherchequelle dient auch das hauseigene Archiv, das laut Kean Etro, Veronicas Bruder und Chef der Etro-Herrenlinie, jedem Museum zur Zierde gereichen würde. Historische Stoffe, die vor allem Gründungsvater Gerolamo „Gimmo“ Etro – neben Alten Meistern und Kunst des Art déco – in aller Welt sammelt, finden sich in Musterbüchern aufbewahrt. Ebenso Kleider aus sämtlichen Epochen. So wurde etwa der komplette Kostümfundus des Balletttänzers Rudolf Nurejew aufgekauft. Hier archiviert man Renaissancekleider und auch so manche Garderobe von Wiener Salondamen. „Wir beginnen stets mit den Stoffen“, sagt Veronica Etro, „das ist der absolut wichtigste Teil der DNA unserer Marke. Wir suchen immer wieder nach neuen Methoden, um innovative Materialien und Drucke zu entwickeln.“

Visuell und analog

1Für Blogs und Tweets findet die passionierte Tango-Tänzerin und mehrfache Mutter schlichtweg keine Zeit. Inspiration für die Arbeit können Buchcovers sein, ein Film – in der Vergangenheit etwa die „Royal Tenenbaums“ oder „The Artist“ („aber in Farbe!“) –, die Stimmung eines Ortsteils oder Cafés in einer fremden Stadt, Kunstwerke oder Artefakte wie etwa die im Dorotheum ersteigerten Bakelitmodelle von Kristallen aus den Thirties. Notabene ist Veronica Etro ein visueller Typ mit Hang zu Wandtafeln, zu Collagen, zum Analogen, zum Haptischen. Es ist der Grundstock jenes Business, das sich von der 1968 gegründeten Stoffhandlung ihres Vaters zu dem von vier Etro-„Kindern“ betriebenen globalen Modeimperium gewandelt hat. Grundgütiger, hier wird tatsächlich noch in Italien produziert, gedruckt, von Hand bemalt und auf Qualität geachtet! Und genau das scheinen Kundinnen und Kunden aus aller Welt zu schätzen.

More is more

Kunst aus der Etro-Sammlung: „Frau im Profil“ eines anonymen Künstlers – Farben und Texturen verbinden sich fließend.
Kunst aus der Etro-Sammlung: „Frau im Profil“ eines anonymen Künstlers – Farben und Texturen verbinden sich fließend.

Der Blick zurück nach vorne ist Programm, ebenso wie das Collagieren mit Stoffen, Mustern und vielen Farben nach dem Credo „more is more“. Veronica Etro bezeichnet es als „kontrollierten Maximalismus“. Renaissance und Comics, Rüschen und Techno, Gesticktes und Neon verbinden sich zu etwas, was Etro „la Nuova Tradizione“ nennt. Versatzstücke aus dem enormen Stoffarchiv von Etro finden sich in den Kollektionen ebenso wie das der Legende nach vom Morgenrock der Etro-Gottvater-Gimmo’schen Großmutter abgeschaute Leitmotiv des Unternehmens, das Paisley-Muster.

Bohemien-Chic

Kein anderer als ein Italiener konnte es fertigbringen, das Hippie-Markenzeichen zum sakrosankten Bohemien-, Dandy- und gleichzeitig Aristosymbol auch für Männer zu machen. Bis heute. Oder erst recht heute, da der auf gut Neudeutsch als „Signature-Look“ bezeichnete Stil mit hohem Wiedererkennungsfaktor aus dem Allerlei herausragt.

Paisley reloaded

Naheliegend, dass die Re-Interpretation des Paisleymusters in vielen Kollektionen von Veronica Etro auf dem Programm steht. Sie will aber nicht reine Prints auf den Kleidern, die, „wenn sie in den Proportionen und Farben durchdacht sind, zeitlose Faszination ausüben. Ich verwende Luftpinsel-Effekte, Intarsien, Trompe-l’oeil, Plissee und gestickte Details, um einen Sinn für das Dreidimensionale des Körpers zu geben“.
Das Ergebnis sind spielerische wie selbstbewusste Entwürfe. Für Frauen, die sich wie Veronica Etros Definition der „Etro Woman“ sehen: „Sie ist individualistisch und unabhängig. Sie mag den spielerischen Umgang mit Mode, nimmt aber Kleidung nicht allzu ernst. Sie ist mehr an Style interessiert als an Mode, weil sie kosmopolitisch ist, eine Globetrotterin. Ich entwerfe für eine mutige Frau, die keine Angst hat vor Farbe oder einem Hauch Eklektizismus.“
Hier kommt auch wieder die Kunst ins Spiel, ebenfalls großer Teil von Etros DNA. Sie ist wesentliches Element vieler Werbekampagnen und Firmenauftritte ebenso wie wichtiger Impulsgeber für Kollektionen. Auch auf der Etro-Website nimmt historische wie zeitgenössische Kunst („new talents“) großen Raum ein. Die Beschreibungen der ausgewählten Kunst in der virtuellen „ Art Gallery“ passen haargenau zu Veronica Etros Entwürfen: Historismus, verwoben zu neuen Inhalten.

 

Veronica Etro über …

etro

Wunderkammer

Dieser Begriff beschreibt perfekt das Etro Archiv. Ein Ort, wo alle Objekte, Stickereien, Stoffmuster, Drucke und Farben, reich an Geschichte und diversen Kulturen, sich mischen.

Paisley

… ist die ikonografische und kulturelle Verbindung von Orient und Okzident sowie eine weitere Ausdrucksmöglichkeit von Kreativität, Recherche und Tradition.

Drucke und Muster

… ermöglichen Personalisierung. Sie werden ein Unterscheidungsmerkmal und Zeichen der Persönlichkeit.

Etro Style

Im Sinne von „controlled maximalism“ bedeuteter, das Gleichgewicht zwischen sämtlichen dekorativen Aspekten zu halten: Farben, Drucken, Stickereien und Details. Das ergibt eine starke und wiedererkennbare Identität.

Eklektizismus

… kann die Synthese von Vergangenheit und Zukunft, Innovation und Tradition, Orient und Okzident ausdrücken. Etro ist die Synthese aus Eklektizismus, Exotismus und Ethnien.

Lieblingsstädte

Neben London: Berlin, auch wegen meiner Zweisprachigkeit. Los Angeles, Melting Pot diverser Kulturen. Mumbai, weil ich von Asien und der indischen Kultur generell fasziniert bin.

Veronica Etro

ist seit 16 Jahren Kreativdirektorin der Damenkollektion von Etro, dem 1968 von ihrem Vater Gerolamo „Gemmo“ Etro in Mailand gegründeten Familienunternehmen. Was als Stoffweberei begann, ist heute eine globalagierende Luxusmarke, die in über 200 Etro-Shops weltweit Mode, Accessoires und Heimtextilien im oberen Preissegment anbietet. Geboren 1974, ist Veronica Etro das jüngste von vier Kindern des kunstbegeisterten Gründers, die Etro leiten: Kean Etro verantwortet die Männerkollektion, Jacopo Stoffe und Lederwaren, Ippolito ist General Director des Unternehmens. Veronica Etro absolvierte die Deutsche Schule in Mailand und studierte am renommierten Central Saint Martins College of Art and Design in London. Die Kreationen von Etro sind ganz „la Nuova Tradizione“ verpflichtet – zwischen Cutting Edge und Tradition.

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