Humanismus, ein klassischer Bildungskanon sowie Liebe zur Sprache prägen die – bereits durch eine Louvre-Schaugeadelte- Altmeister-Kollektion von Héléna und Guy Motais de Narbonne. Dabei hat das Pariser Sammlerpaar keinesfalls Angst vor grausamen Bildmotiven.
Von wegen Ruhestand: Offiziell sind Héléna und Guy Motais de Narbonne in selbigen versetzt, inoffiziell lebt in dem Ehepaar indes der unermüdlich forsche und neugierige Geist aktiver Kunstsammler. Unter anderem.
Aber alles der Reihe nach. Hinter der Fassade eines eher schlichten mehrstöckigen Wohnhauses im wohlhabenden bürgerlichen 18. Arrondissement von Paris verbirgt sich eine wunderbare Sammlung von Gemälden alter Meister, über die Jahre zusammengetragen vom Ehepaar Héléna und Guy Motais de Narbonne. Ein denkmalschutzverdächtiger hölzerner Lift mit Fenstern und Klapptüren dient als behäbige Startrampe für den Zeitsprung vom Paris des 21. Jahrhunderts in das Salon-Reich des 19. Jahrhunderts und davor. Denn die jede Wand der Sammler-Wohnung in Petersburger Hängung ausfüllenden Gemälde stammen allesamt von italienischen und französischen Malern des 17. und 18. Jahrhunderts. Genreszenen wird man da keine finden. Was die beiden sehr harmonisch wirkenden Sammler interessiert – sie treffen übrigens nach eigenen Angaben alle Kaufentscheidungen gemeinsam –, sind religiöse und mythologische Sujets: „Der Heilige Petrus“ von Guercino, „Ruhe auf der Flucht“ von Jean Tassel und ein gleichnamiges Gemälde von Gregorio De Ferrari, „Der Triumph von Galathea“ von Louis de Boullogne. „Grausame Szenen schrecken uns nicht“, sagt Guy Motais de Narbonne. „Freunde fragen uns manchmal, wie wir etwa, Tomyris lässt das Haupt des Cyrus in Blut tauchen‘ von Mattia Preti einfach im Vorzimmer hängen können. Aber das Motiv der grausamen Rache, wie auf jenem Bild, ist doch Teil der condition humaine, der menschlichen Existenz“ … wie auch Liebe, Schmerz, Gewalt, Humanität, Vergänglichkeit, Sinn- und Gottessuche. Die Zeit in Gestalt eines geflügelten bärtigen Alten stutzt auf einem Werk von Pierre Mignard mit einer Geflügelschere die Schwingen der Liebe; oder sie demaskiert auf einer Arbeit von Francesco Botti die Lüge, indem sie ihr die falsche Maske gewaltsam herunterreißt.
Zwei Mal findet sich das Thema von David, der Goliaths Kopf präsentiert. Der allererste Kauf der Motais war die „Opferung Iphigenies“ von Gabriel Francois Doyen. „Bilder, die uns träumen lassen“, nennt Héléna Motais eines der Kriterien für den Erwerb und verweist dezidiert auf ihre zwei Lieblingswerke. Beide zeigen jeweils einen jungen, eher femininen Mann. Der eine, gemalt von einem anonymen römischen Künstler, ist ein Geistlicher; ein Buch in Händen, den Blick nach oben gerichtet, scheint er – in regem Kontakt zu Gott stehend – nicht mehr auf Erden zu weilen. Der andere, ein weltlicher Apoll von Charles Mellin, wird im Moment des Innehaltens, der Selbstreflexion gezeigt; möglicherweise eine Nachwirkung (s)einer Dichtung, die sich auf dem Papier in seiner Hand findet.
Oberste Priorität hat für die beiden Sammler Qualität. Die Künstlernamen spielen eine untergeordnete Rolle. „Besser eine Spitzenarbeit eines Mittelmäßigen als ein schwaches Bild eines Superstars“, sagt der ehemalige Industrielle Guy Motais de Narbonne, der mit dem Sammeln seit den 1980er-Jahren vertraut ist. Wobei die alten Meister immer schwerer zu bekommen seien, wie er sagt; die Kluft zwischen höchster Qualität und eher Mittelmäßigem werde von Jahr zu Jahr breiter. Von einem Künstler mit sehr klingendem Namen, François Boucher, besitzt das Paar kein Gemälde, sondern eine kleinformatige Ölstudie.
Jedes Stück in dieser Sammlerwohnung hat seine Geschichte, ist bewusst platziert und ausgesucht. Raffiniert am oberen Ende eines Spiegels angebracht, nimmt das Selbstporträt von Simon Vouet, ein vom Ehepaar 2012 im Dorotheum telefonisch ersteigertes Meisterwerk, einen Ehrenplatz ein. Es ist das erste Maler-Selbstporträt in der Sammlung, passt somit nicht ins Konzept … musste aber einfach sein. Der Kauf war ein „coup de coeur“, eine Herzensentscheidung, wie bei den meisten ihrer im Laufe der Jahrzehnte erstandenen Kunstwerke. Dorotheum-Experte Mark MacDonnell hatte im Auktionskatalog über dieses von Caravaggio beeinflusste Bild unter anderem geschrieben: „Dieses frontale Selbstbildnis mit seinem atemberaubenden direkten Blick und dem halboffenen Mund zeigt eine Vielzahl von Emotionen: Traurigkeit, Leidenschaft, Qual und vielleicht auch Ekstase, um ein intimes lebendiges Porträt zu realisieren. Das Resultat ist ein innovatives Bild, das geschaffen wurde mit der Absicht, einen präzisen Augenblick darzustellen.“
Gibt es überhaupt noch eine Wandfläche für neue Bilder? „Wir finden immer noch Platz“, schmunzelt die charmante ehemalige Lehrerin und Dame des Hauses, die übrigens unentgeltlich Einwandererkindern Französisch beibringt. Das mit dem Platz lässt sich leicht behaupten, wenn man kein geringeres Museum als den Louvre zum „Auslagern“ benutzt, vielmehr ihm zwei Bilder schenkte: 2008 vermachte das Sammlerpaar dem Top-Museum das Tondo „Rückkehr des verlorenen Sohnes“ von Domenico Maria Viani und „Der Kampf zwischen Amazonen und Griechen“ von Claude Deruet. Beide Bilder, die Lücken des Museums in diesem Bereich schlossen, befinden sich heute in der ständigen Sammlung. Im Schenkungsjahr wurden sie gemeinsam mit weiteren 42 Werken der Motais-Kollektion im Louvre ausgestellt. Der begleitende wissenschaftliche Katalog war und ist bedeutend für das Sammlerpaar.
Viele Altmeister-Sammler pflegen keinen so offenen Umgang mit ihrer Kollektion. Im Gegensatz dazu öffnen Héléna und Guy Motais de Narbonne ihr Haus, etwa auch für Wissenschaftler. „Wir wollen nichts verstecken“, betont Héléna Motais. „Uns ist bewusst, dass wir nur für einige Zeit Besitzer dieser Gemälde sind.“
(Der Artikel erschien im Dorotheum myART MAGAZINE Nr. 03/2014)