ART DE VIVRE | Hedwig Van Impe & Remei Giralt im Porträt

Hedwig Van Impe Remei Giralt Sammler Alte Meister

Rebellion, Zeitgenossenschaft, Verschmelzung, Neugier, Freiheit, Projekte … All das und viel mehr kommt bei den Namen Hedwig Van Impe und Remei Giralt in den Sinn. Sie sammeln, fördern und machen ganz nebenbei auch Architektur. Wir besuchen sie in ihrem herrlich kühlen, von Sottsass entworfenen Domizil.


von Honorine d’Ursel und Wilfried van Gaver

Sie sind rüstig-agil, wirken ungewöhnlich eins, verschmolzen, gleich Zwillingen, und das – ungeachtet der Tatsache, dass sie aus Spanien stammt und er Belgier ist – auch in physischer Hinsicht. Sie zu beschreiben fällt schwer in Anbetracht der Unzahl ihrer vergangenen und künftigen Projekte, die letzten Endes doch ein großes Gesamtwerk ergeben: ihr Lebenswerk.
Hedwig Van Impe und Remei Giralt sind keine Allerweltsammler. Sie haben sich von ihrer ursprünglichen Leidenschaft für zeitgenössische Kunst emanzipiert und mit seltener Inbrunst und Hingabe den Alten Meistern zugewandt. Das hält sie nicht davon ab, als Mäzene für den afroamerikanischen Künstler Michael Ray Charles zu wirken; in seinen Arbeiten thematisiert er das Leid, das sein Volk seit vielen Generationen erträgt. „Wir kaufen ein Bild, wenn wir spüren, dass es gut ist und erworben werden muss. Erst später analysieren wir es, spüren seiner Schönheit nach und ergründen, warum wir unsere Kunstsammlung darum ergänzt haben.“
So erging es ihnen auch bei einem wunderschönen altflämischen Christusporträt, das sie vor einiger Zeit im Dorotheum erstanden. Ihnen war augenblicklich klar, dass mehr dahinter steckte – und sie sollten recht behalten: Nach der akribischen Reinigung offenbarte sich ihnen ein völlig unterschiedliches Gesicht, und das nicht etwa, weil der alte Firnis entfernt worden war, sondern weil sie das Porträt nun mit anderen Augen sahen. Es wies plötzlich männliche und weibliche Züge auf: Eine Gesichtshälfte war grob und maskulin, die andere weich und feminin. Warum war das zuvor niemandem aufgefallen? Lag es daran, dass Hedwig und Remei das Bild eines Alten Meisters mit zeitgenössischen Augen betrachteten?

Collage aus Fotos und Selfies von Hedwig Van Impe und Remei Giralt
„Wir weigern uns, in Bildern reine Dekorationsgegenstände zu sehen, und wollen sie immer und immer wieder neu entdecken.“ Hedwig Van Impe und Remei Giralt.

Alte Meister in moderner Umgebung

Hedwig Van Impe hatte neben seiner Tätigkeit als Kunstberater und Sammler zeitgenössischer Kunst auch Design gesammelt. Dabei war er mit dem Architekten und Designer Ettore Sottsass in Kontakt gekommen, mit dem sich eine enge Freundschaft entwickelte – so eng, dass dieser sogar anbot, Hedwigs neues Haus zu entwerfen (ein Privileg, das nur seinen besten Freunden zuteil wurde). Dieses Angebotkonnte Hedwig nicht ausschlagen. Sottsass, der sich stets von den örtlichen Gegebenheiten inspirieren ließ, schuf ein massiv wirkendes gedrungenes Gebäude mit tunnelartigem, den örtlichen Gewächstunneln für den Endivienanbau nicht unähnlichem Zubau und beschwor Hedwig, sich nur spartanisch einzurichten, dabei vor allem auf seine Designobjekte zu verzichten. Mit Ausnahme eines Bildes, das vorübergehend in der Mitte einer großen, weißen Wand hängt, sind in Hedwigs und Remeis Haus heute daher nur Einrichtungsgegenstände vorhanden, die im Alltag auch wirklich gebraucht werden. Bei Sammlern würde man eine solche Leere nicht erwarten. Warum leben Hedwig und Remei nicht mit ihren Bildern? „Ein Raum wie dieser soll die Seele öffnen. Wenn wir ihn mit Zeug vollstopfen, kann das nicht gelingen. Wir weigern uns, in Bildern reine Dekorationsgegenstände zu sehen, und wollen sie immer und immer wieder neu entdecken.“
Zeit ihrer Aktivitäten im Bereich der zeitgenössischen Kunst haben Hedwig Van Impe und Remei Giralt mit den größten Künstlern unserer Zeit zusammengearbeitet, unter ihnen Jeff Koons, Cindy Sherman, Robert Longo und Barbara Kruger. „Ich habe viel Herzblut in Projekte mit zeitgenössischen Künstlern investiert. Das ist heute bei den Alten Meistern nicht anders“, sagt Hedwig. „Remei und ich fühlen uns ihrer Renaissance, also Wiedergeburt, verpflichtet. Wenn man so will, sehen wir darin unsere Lebensaufgabe: einem – auch jüngeren – Publikum zu zeigen, dass viele Kunstwerke vergangener Tage bis heute nicht an Relevanz und Aussagekraft eingebüßt haben. Man muss nur die Kontemporanität in jeder Skulptur, in jedem Gemälde eines Alten Meisters sehen. Viele der Werke sind zeitgenössischer als gewisse Kunst von heute. Manche Galeristen, Künstler und Kuratoren sind der weißen Ausstellungsräume überdrüssig und weichen in altehrwürdige Gebäude wie Versailles aus, um zeitgenössische Kunst zu präsentieren. Wir machen es umgekehrt: Wir zeigen Alte Meister in moderner Umgebung.“

So bauen Hedwig und Remei ihre Sammlung Alter Meister Schritt für Schritt aus. Hin und wieder holen sie die Bilder hervor, hängen sie an eine Wand in ihrem Domizil von Sottsass – oder in ihrem Zufluchtsort la Dividida an der nordspanischen Küste, für dessen konzeptuelle Architektur Van Impe selbst verantwortlich zeichnet – und entdecken sie neu.

Das Leben als Projekt

„Irgendwann hatte ich genug von der Geschäftswelt; dafür bin ich zu sehr Idealist. Ich wollte mit Künstlern und Gestaltern an echten Projekten arbeiten und sie nicht nur ausstellen und verkaufen“, erzählt Hedwig Van Impe. Nach einer Begegnung mit Ferran Adrià beschloss das Paar beispielsweise, tief beeindruckt von dessen Molekularküche, ein Haus zu bauen, dessen Architektur – wie Adrià in seiner Arbeit – mit den Rezepturen gleichwie mit den Sinnen spielt. So zerlegt etwa der Starkoch die Zutaten zunächst in ihre Bestandteile, um sie dann wieder zusammenzusetzen. „Wir haben den Wohnraum nach demselben Prinzip konzipiert.“ Vier organische Einheiten gruppieren sich um eine zentrale leere Außenfläche. Um von einem Raum in den anderen zu gelangen, muss man durch das Freie. Dieser Ort ist die ideale Kulisse für Performances und Installationen. Von diesem Ausflug in die Architektur inspiriert, haben Hedwig und Remei schließlich sogar ein Buch darüber geschrieben: „Together Apart“, erschienen bei Lannoo, stellt Ferran Adriàs Avantgardeküche als Quelle der Inspiration für die Architektur in den Blickpunkt. Ihr Ziel: der Welt zu zeigen, dass man auch dann einen tieferen Blick auf die Dinge und auf Architektur werfen kann, wenn man nicht Architekt ist.

Kunstwerk von Michael Ray Charles mit verhülltem Sessel und Gemälde von schreiendem schwarzen Gesicht
„(Forever Free) The Scream“ von Michael Ray Charles

Auch aus dem beiläufigen Besuch der Art Basel im Juni 2015 wurde ein Projekt: Sie empfanden die Messe buchstäblich als oberflächlich, weil viele der zeitgenössischen Werke so stark glänzten, dass sich darin die Umgebung samt Publikum widerspiegelte. „Der Betrachter wird zum Bestandteil des betrachteten Werkes – und gefällt sich auch noch in dieser Rolle! Nach außen hin glänzt das Bild und man sieht sich darin, aber dahinter ist oftmals nur heiße Luft.“ So kamen sie auf den Gedanken, alle „Spiegel-Bilder“ in der Messe zu finden und jeweils ein Selfie davor aufzunehmen. Und siehe da: Es wurden über 70! Um nicht derselben Oberflächlichkeit anheimzufallen, begann sich das Paar bereits vor 15 Jahren als Mäzen des afroamerikanischen Malers Michael Ray Charles zu engagieren. „Er ist ein viel beschäftigter Künstler, und seine Arbeiten sind erstklassig! An einem Punkt, als Michael sehr erfolgreich, wenngleich viel zu jung war, brauchte er jemanden, der ihn von der kommerziellen Schiene und dem glamourösen Umfeld wegbringt. Das waren wir. Nun, 15 Jahre später, ist es aber an der Zeit, sein wunderbares Universum weltweit der Öffentlichkeit zu präsentieren. Daher werden wir ein Buch veröffentlichen und seine Kunst in bedeutende Sammlungen, in Museen und andere Institutionen bringen. Mal sehen, was daraus wird …“

Hedwig und Remei haben noch tausendundein Projekt in petto. Sie werden weiterhin ihrem Bauchgefühl folgen und uns großartige Abenteuer der Kunst und der Kunstgeschichte bescheren. Im Zuge ihres jüngsten Projekts „let me freeze“ schufen sie Videoanimationen von Gemälden Alter Meister, um die Aufmerksamkeit auf diese wunderbaren Kostbarkeiten zu lenken … und das Neue im Alten, die Gegenwart in der Vergangenheit aufzuspüren.

Honorine d’Ursel leitet die Brüsseler Repräsentanz des Dorotheum.
Wilfried Van Gaver ist Sales Manager für Alte Meister in der Brüsseler Repräsentanz des Dorotheum.

(Der Artikel erschien im Dorotheum myART MAGAZINE Nr. 06/2015)

Titelbild: Casa Van Impe von Ettore Sottsass
Fotos  © la Dividida

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