Andreas Kronthaler: You can leave your shoes on

Götterdämmerung? Andreas Kronthaler in seinem geliebten Kunsthistorischen Museum in Wien vor Frans Floris’ „Jüngstem Gericht“ (1565). Kronthaler ist ein, Bewunderer der Antwerpener Schule, insbesondere von Peter Paul Rubens, der Frans Floris nachfolgte.
© Juergen Teller

Er ist Sammler, sammelt aber nur beiläufig. Er ist Modedesigner, aber am liebsten nackt. Er ist mit einer Punklegende verheiratet und sehnt sich doch nach dem Glanz der Habsburger … Vivienne Westwood-Creative Director Andreas Kronthaler ist eine exotische, in künstlerische Gegensätze gehüllte Erscheinung – und somit die beste Gesellschaft, um in London bei einer Tasse Tee über Taft, Teller und Tirol zu plaudern.

Vivienne Westwoods Flagshipstore befindet sich in einem mondänen Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert im Londoner Stadtteil Mayfair, zwischen den Herrenausstattern der Savile Row und den Luxusboutiquen der Bond Street. Um uns stehen in Stoffe mit Brueghel- und Boucher-Motiven gehüllte und mit bladerunneresken Neon-Ornamenten im Retro-Futurama-Look überzogene Kleiderpuppen. Über uns ein Trauerflor für die verstorbene Queen. Die Schaufenster-Puppen in der „Row“ tragen Anzug und schwarze Trauer-Armbinden. Vor dem Westwood-Schauraum verrenken sich TikTok-Influencer beim Selfie-Schießen die Hälse. Dazwischen dumpfe Salutschüsse aus dem Off. Ein schwarzes Vintage-Rad bildet den optischen Kontrapunkt vor dem Besprechungszimmer, in dem Andreas nun erscheint. Seine Trachtenjacke wird von einem gestreiften, piratenhaft anmutenden Hemd kontrastiert. Ob er bei den Nachbarn die Fotos der Queen in Uniform und die Trauer tragenden Schaufensterpuppen gesehen hat?

Andreas Kronthaler posiert als aufmerksamer Schüler vor einem Porträt Maria Theresias (1717–1780): „Sie war bedeutend“, sagt Kronthaler. „Sie hat kleine Bauernbuben in die Schule geschickt.“
© Juergen Teller

Andreas Kronthaler: Ich bin kein Royalist, aber ich kenne Bilder vom Begräbnis Franz Josephs im Jahr 1916. Er war ein besonderer Mann, hat fast so lange regiert wie Queen Elizabeth II. Die Österreicher sind weniger pompös. Ich bin früher immer in die Schatzkammer gegangen. Die kaiserlichen Pretiosen, die man dort zu sehen bekommt, tragen eine bezaubernd-menschliche Handschrift. Jede Auftragsarbeit für Kaiserin Sisi war perfekt geformt und gestaltet. Das Porzellan in ihrer ungarischen Residenz, zum
Beispiel, war mit den Pflanzen der Region verziert. Kann sein, dass die Franzosen für Eleganz stehen, aber Österreich ist ein ganz anderes Kaliber. In diesem Punkt bin ich Patriot.

Dorotheum myArtMAGAZINE: Sie haben offenbar ein Faible für Fotografie, ob aus den 1880ern oder aus den 1980ern.
Ich verehre Robert Mapplethorpe. Er war eine Lichtgestalt der Fotografie, ein Meister des Fokus. Bei einer von Juergen Teller kuratierten Mapplethorpe-Schau in London habe ich ein Foto von ihm erstanden, auf dem Lisa Lyon zu sehen ist. Sie war die erste Bodybuilderin und eng mit Mapplethorpe befreundet. Es ist ein phänomenales Foto!

Aus Juergen Tellers Serie „Plates/Teller“, aufgenommen in seinem Londoner Studio: Andreas Kronthaler auf einem Teppich nach der Vorlage einer Aktfotografie von Vivienne Westwood.
Kronthaler trägt Plateauschuhe nach einem Entwurf von Kronthaler für Vivienne Westwood.
Andreas Kronthaler, Plates/Teller Nr. 170, 2016
© Juergen Teller

Wie kam es zu Juergen Tellers Aufnahmen von Ihnen und Vivienne?
Wir luden ihn zu Weihnachten zu uns ein. Nach dem Dinner zog Vivienne ihre Klamotten aus und ließ sich auf dem kleinen Sofa aus dem 18. Jahrhundert von ihm fotografieren. Die Farbkomposition erinnert an Alte Meister – an Tizian, an das Barock, das Rokoko,
an François Boucher. Das Foto zeugt von Nähe, Leichtigkeit, Vertrauen. Juergen war so happy mit der Aufnahme, dass er einen Teppich daraus machen ließ. Als er sein neues Studio bezog, fragte er mich, ob ich mich von ihm fotografieren lassen würde. Ich nahm
tonnenweise Klamotten mit, aber Juergen hatte einen Esel und einen schwulen Pornstar aus den Staaten dabei. Da lag ich nun, auf Viviennes Teppich. Wenigstens die Schuhe durfte ich anbehalten.

Apropos Aktfotos: Wie kommt Tracey Emins Selbstporträt in Ihre Sammlung?
Sie schickt mir jedes Jahr zum Geburtstag ein Bild mit ein paar netten Zeilen. Das war eines der ersten – ein Akt von hinten. Ich lernte Tracey in den späten 1990ern kennen und bewundere sie sehr. Sie schreibt grandios und kann sehr gut vermitteln, was sie als
Frau, als Mensch durchmacht. Sie ist klug und gütig. Wann immer ich Rat brauchte, war sie da.

Neuzugang in der Sammlung Kronthaler/Westwood: dadaistische Kollage von Dame Vivienne Westwood höchstselbst;
Trockenfrüchte, Eierkarton, Mischtechnik.
© Andreas Kronthaler/Vivienne Westwood, 2021

Das Reduzierte und Intime an Emins Zeichnungen erinnert an Egon Schiele. Hat Vivienne nicht eine dadaistische Kollage aus einem Dorotheum-Katalog gemacht, auf dessen Cover eine bei uns verkaufte Schiele-Zeichnung zu sehen ist?
Vivienne hat seit Beginn der Pandemie Dutzende Kunstwerke gemacht, aber das ist das einzige gerahmte. Sie experimentierte zunächst mit Formen wie Orangenschalen und Gemüseabfällen und formte in unserem Heizraum zu Hause Skulpturen daraus. Auch ein
Eikarton ist darunter. Als ich diese Arbeit zum Herzeigen ausgesucht habe, habe ich gar nicht gesehen, dass es sich bei der Schiele-Zeichnung um ein Dorotheum-Cover handelt. Ich erzähle Vivienne immer, dass ich den genialen Schiele seit meiner frühesten Kindheit verehre. Damals hingen sogar Bilder von ihm in meinem Schlafzimmer.

Ihre Mutter handelte mit Antiquitäten. Haben Sie Ihr Händchen fürs Sammeln von ihr?
Früher fuhren jeden Samstag nach dem Mittagessen drei, vier Männer in Kleinlastern bei uns vor. Meine Mutter machte den Abwasch fertig und ließ sie warten. Dann spazierte sie hinunter und sah sich ihre Sachen an. Ich liebte es, sie dabei zu beobachten.
Sie hatte eine geniale Masche: Sie tat so, als sei sie an etwas bestimmtem interessiert, wollte in Wirklichkeit aber etwas ganz anderes haben. Dann feilschte sie um das Stück, das sie gar nicht wollte, und legte am Ende ganz beiläufig das eigentliche Objekt
ihrer Begierde dazu, als wärs bloß ein kleiner Beifang. Wenn ihr der Preis nicht passte, drehte sie sich um und ging weg. Ich sagte dann immer, ‚Mama, aber es ist doch so ein schönes Stück!‘ Sie sagte nur: ‚Nanana!‘ Nach ein paar Minuten läutete es wieder an der Tür und der Mann sagte: ‚Na gut, Deal.‘

Das perfekte Kunstwerk für Andreas Kronthalers Tiroler Einhof aus dem Jahr 1510: in rustikales Schafsfell gebettetes „Säugendes Lamm“, Schule von Barbizon, Frankreich, 19. Jh., Öl auf Kupfermedaille in samtbezogenem Rahmen.
© Andreas Kronthaler

Viele unserer Sammler müssen bei Einrichtungsgegenständen Kompromisse für ihre bessere Hälfte machen. Kommen Sie und Vivienne sich je in die Quere?
Nie. Ich kaufe selten etwas. Bei Vivienne ist es ähnlich, aber wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann gibt’s kein Halten! Sie mag es nicht, wenn ich feilsche, aber warum teuer kaufen, wenn es auch billiger geht? Da ist sie ganz Engländerin; ich bin eher der Türke.
Wenn ich in Wien bin, gehe ich ins Dorotheum, sooft ich kann, manchmal fast täglich. Das Dorotheum ist ein fester Bestandteil des Wiener Lebens. Es ist elitär und bodenständig zugleich, eines der wenigen Auktionshäuser aus dem frühen 18. Jahrhundert. Meine letzte Errungenschaft war ein chinesischer Teppich für den
Bauernhof in Alpbach, den ich restauriere, einen wunderschönen Tiroler Einhof von 1510. Ich kaufe laufend Teppiche ohne konkrete Bestimmung, einfach weil sie mir gefallen. Manche werden nicht einmal ausgerollt. Teppiche sind schließlich auch Textilien – vielleicht bin ich deshalb so teppichaffin.

Was vermissen Sie an Wien?
In den 1980ern ging ich als Student gerne ins Kunsthistorische Museum, das meist menschenleer war. Das Bild, das mich mehr als alles andere beeindruckt hat, ist „Das Pelzchen“ von Rubens. Es hat mich umgehauen. Es war überirdisch! Eines der schönsten Frauenporträts, die je gemalt wurden. Die weiße Haut vor dem dunklen Hintergrund … Es steckt voller Liebe, Erotik und Rätsel.

Rätsel?
Ja, damals zumindest. Später erfuhr ich, dass Helene Fourment Rubens’ zweite Frau war, aber damals fand ich sie rätselhaft. Ich war hin und weg. Selten hatte ein Bild einen so starken physischen Eindruck auf mich gemacht.

Tracey Emin, Rubens, Robert Mapplethorpe … Die Nacktheit scheint für Sie und Vivienne ein wichtiges Ausdrucksmittel zu sein.
Nackt zu sein ist für mich das ultimative Lebensgefühl. Aber nicht barfuß! Ich brauche immer Schuhe für den Halt. Das habe ich auch damals zu Juergen gesagt – ‚Lass mir wenigstens die Plateauschuhe!‘. Ich weiß noch, als ich Vivienne zum ersten Mal traf. Sie sagte: ‚Ich kann auf alles verzichten, nur nicht auf gute Heels.‘ Es klingt vielleicht
seltsam von einem Modedesigner, aber Klamotten sind mir nicht so wichtig. Ich liebe Schuhe und Gesichter; alles dazwischen interessiert mich weniger.

… was uns zur legendären Pariser Mode schau bringt, bei der Sie die Models mit Penisschuhen auf den Laufsteg geschickt haben.
Die Penisschuhe hatten Taft-Bommel hinten dran. Eigentlich gehörten sie zu einem Hochzeitskleid, nur gab es eben kein Kleid, weil das Model nackt war. Das Kleid war ein riesiger Blumenstrauß. Ich sagte zu Vivienne: ‚Ich will das machen!‘ Wir besorgten
Dildos im Sexshop und ließen sie vom Schuster an den Schuhen anbringen. Spaß, Lust, Freude … all das war mir damals extrem wichtig, und Vivienne hat das sehr gefördert. Viele Schnitte und Kreationen wären nie entstanden, wenn es uns um Geld, Eleganz
und guten Geschmack gegangen wäre.

Doris Krumpl ist Pressesprecherin des Dorotheum.
Sigmund Oakeshott ist Kunsthistoriker im Dorotheum London.

© Vivienne Westwood

ANDREAS KRONTHALER
1966 in Fügen in Tirol geboren, ist Creative Director & Chefdesigner bei Vivienne Westwood. Nach einer Ausbildung zum Goldschmied in Graz studierte er Industriedesign und Mode an der Universität für angewandte Kunst in Wien, wo er von der Punk-Legende Vivienne Westwood unterrichtet wurde (die berüchtigterweise kein Höschen trug, als sie von Prinz Charles geadelt wurde). Die englische Moderevolutionärin war so angetan von dem jungen Tiroler Wunderkind, dass sie ihn einlud, für ihr Modehaus in London zu arbeiten. 1992 heirateten die beiden und Andreas‘ Kreationen wurden Teil der kultigen Vivienne-Westwood-Kollektionen. Kronthalers eigene Kollektion, ehemals Westwoods „Gold Label“, wurde 2016 unter dem Namen „Andreas Kronthaler for Vivienne Westwood“ mit großem Erfolg lanciert und ist heute die wichtigste Marke im Hause Westwood. Vivienne, inzwischen 80 Jahre alt, widmet sich zunehmend ihrer Kunst, ihrem Engagement für die Menschenrechte und dem Kampf gegen den Klimawandel. Sowohl Andreas als auch Dame Vivienne sind begeisterte, aber nachhaltige Sammler, deren Werke von Gemälden Alter Meister über Chinoiserie bis hin zu zeitgenössischer Kunst reicht.

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