Egon Schiele: Hautnah

Spannungsgeladen und zugleich entrückt präsentiert sich Egon Schieles Mädchenakt aus seinem vorletzten Lebensjahr. Er steht beispielhaft für eine neue, intensive Schaffensphase des großen Künstlers.

Egon Schiele hat endlich Erfolg: Anfang 1917 erhält er die Erlaubnis, seinen Militärdienst in der Kaserne im niederösterreichischen Mühling zu beenden und wieder nach Wien zu kommen, in sein Atelier, zu seiner jungen Frau Edith, die er 1915 erst geheiratet hat. Es ist der Beginn einer neuen, intensiven letzten Schaffensphase, in der der nun schon berühmte Künstler einen neuen Blick auf den Menschen, den Körper und seine Sexualität richten wird. Er bestellt wieder Modelle, manchmal steht ihm auch seine Schwägerin Adele, seltener Edith zur Verfügung.

Ein reiches zeichnerisches Œuvre entsteht. Doch etwas ist anders. Schieles Blick hat sich verändert. Der Fokus liegt weniger auf der expressionistischen Zerrissenheit früherer Jahre als vielmehr auf dem Körper als formalem Phänomen – auf seinen Verdrehungen, seiner räumlichen Präsenz in der Fläche, auf den Linien, die ihn strukturieren. Schiele gestaltet nicht Akte, sondern choreografiert Spannungsräume, in denen die Modelle nach seinen Anweisungen agieren. In manchen Zeichnungen des Jahres 1917 wirken die Posen beinahe künstlich, theatralisch – doch gerade in dieser bewussten Setzung liegt Schieles neue Absicht: die formale Durchdringung des Körpers.

Ein Modell tritt in diesem Jahr wiederholt in Erscheinung. Sie ist nicht an den (zumeist stilisierten) Gesichtszügen erkennbar, allein das warme, rotbraune Haar – mal streng zusammengesteckt, mal frei fallend – ist ihr unübersehbares Merkmal. Eine besondere grazile Anmut, eine stille Präsenz sind ihr eigen, die der Künstler in geradezu poetischer Weise im vorliegenden „Kauernden weiblichen Akt“ zum Ausdruck gebracht hat.

Was an dem Rückenakt von 1917 sofort auffällt, ist die Leichtigkeit, mit der hier eine ebenso kraftvoll wie sicher aufgetragene Linie in an- und abschwellendem Rhythmus den weiblichen Körper aus dem undefinierten leeren Raum des Blattes herausformt. Während ein deutlicher Abstand der Figur zum unteren Rand gegeben ist, ragt der Kopf der jungen Frau fast schon über den oberen hinaus – eine formale Komposition, die den Eindruck des Schwebens und Gleitens einmal mehr betont. So lässt sich auch der Gegensatz zwischen einer sanft liegenden und gleichzeitig eng zusammengekauerten und leicht zur Seite kippenden Haltung erklären. Die abgewinkelten Beine, die schmale Taille, der markant gezeichnete Rücken mit der stark betonten Wirbelsäule – all das wirkt spannungsgeladen und zugleich entrückt. Dem entspricht auch, dass das Mädchen schlafend anmutet, seinen Kopf neben dem angewinkelten Arm auf die Fülle seines frei fallenden Haares gebettet.

Die Komposition lebt vom Kontrast, zunächst einmal formal zwischen der strengen, durchgehenden Kontur – gezogen mit kräftigem Graphitstrich – und den sparsamen, fast trockenen Farbsetzungen mit Pinsel, die der Fläche Tiefe und Körperlichkeit verleihen. Motivisch sind es gerade die Abgewandtheit der Figur, ihr Schlafen, das Unverfügbare, die eine besondere Erotik evozieren. Keine explizite, sondern eine der Anmut, der Zerbrechlichkeit, des flüchtigen Moments.

Ukiyo-e – „Bilder der fließenden Welt“ nannten die Japaner ihre Kunst des Holzschnitts, die auch Schiele überaus faszinierte. Alles ist auch in dieser Zeichnung im Fluß – die Linie, der Körper, das Haar, der Traum.

Die Schiele-Expertin Jane Kallir bringt Schieles Schaffen des Jahres 1917 in aller Kürze auf den Punkt: „When he is good, he is extraordinarily good.“

Die Zeichnung befand sich ab den 1980er-Jahren in Privatbesitz. Einst war sie Teil der Sammlung von Serena Lederer gewesen, wie ihre Signatur auf der Rückseite des Blattes dokumentiert. Im Zuge eines Restitutionsverfahrens kann diese Zeichnung nun angeboten werden.

Egon Schiele Kauernder weiblicher Akt, Rückenansicht, 1917 Gouache und Bleistift auf Papier, 29,5 x 45 cm Schätzwert € 1.800.000 – 2.500.000
Egon Schiele Kauernder weiblicher Akt, Rückenansicht, 1917 Gouache und Bleistift auf Papier, 29,5 x 45 cm Schätzwert € 1.800.000 – 2.500.000

AUKTION

Moderne, 18. November 2025, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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