Wiener American Bars: Anziehungspunkt für Künstler und Künstlerin

Die Loos Bar, ein Künstler treff seit 100 Jahren: von Oskar Kokoschka über den Art Club um Albert Paria Gütersloh bis Helmut Lang, Foto: Robin Roger Peller

Künstler, Cocktails und die grüne Fee

Gut für die Legendenbildung: American Bars in Wien sind über Generationen ein oft magischer Anziehungspunkt für Künstler und Künstlerin. Ein historischer Abriss von Christof Habres, Autor des „Wiener Barbuches“, dessen dritte Ausgabe jüngst erschienen ist.

Von Christof Habres

Barkarte des Emile im Hilton Plaza Vienna: die grüne Fee, Foto: Christof Habres
Barkarte des Emile im Hilton Plaza Vienna: die grüne Fee, Foto: Christof Habres

Bars – Inspirationsquelle für Künstler

Der Abgang hat ein wenig an eine frühe Form des Stage-Divings erinnert. Kaum hatte sich der ältere Tenor dem abschließenden hohen C stimmlich angenähert und gleichzeitig seine Arme in der kleinen Bar theatralisch, quasi sein Publikum umarmend ausgebreitet, setzte er zu einem Flug ins Leere an.

Der Stimmakrobat, der gerade das Trinklied „Libiamo ne’lieti calici“ aus Verdis Oper „La Traviata“ zum Besten gab, hatte in den frühen Morgenstunden in der liebenswerten Wiener Weinbar „Enrico Panigl“ – nach zahlreichen konsumierten feinen Brunelli und Grappe – übersehen, dass das Geländer, das die erhobene Stehfläche an der Bar vom Gastraum trennte, nicht über die gesamte Länge führte, sondern zirka einen Meter davor abrupt endete. Daher fand das tenorale Abenteuer mit Stage-Diving mit dem Auffangen des Sängers durch reaktionsschnelle Gäste im Parkett ein glimpfliches Ende.

Selbstverständlich brandete damals in der Bar von Toni und Sanja Buzancic großer Beifall für den bekannten Tenor auf und Da-capo-Rufe waren zu vernehmen. Sie wurden jedoch nicht mehr erhört. Aber das tat dem angeregten Feiern in der Bar keinen Abbruch, und der Tenor verließ die Bar mit seiner Entourage spät mit den ersten Sonnenstrahlen.

Künstlerleben in Bars

Die kleine Geschichte leitet ausgezeichnet zum Ausgangspunkt der Geschichte über: Seit Jahrhunderten kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass eine überaus hohe Anzahl von Künstlerinnen und Künstlern, seien es Sänger, Musiker, Literaten, Dichter, Maler oder Bildhauer, der Magie der Nacht, den mannigfaltigen Verführungen des Nachtlebens und den damit verbundenen Geschehen und Ereignissen intensiv verbunden waren und sind. Rund um den Globus.

Selbst in der oft als biedermeierlich und eher konservativ beschriebenen Donaumetropole. Wien-Kenner und -Bewohner mussten vielfach dem Vorurteil widersprechen, dass hierorts die Gehsteige nach der Sperrstunde der sagenumwobenen Kaffeehäuser hinaufgeklappt werden und das Nachtleben der Stadt eher „tote Hose“ sei.

Kein Klischee ohne wahren Kern: Nach dem Zweiten Weltkrieg lief das Nachtleben mit der Möglichkeit, Bars zu besuchen, auf Sparflamme und wurde gemächlich ab den 1960er-Jahren durch „Speakeasies“ wie den „Strohkoffer“ oder das „Vanilla“ für Künstler und Künstlerinnen wieder leb- und genießbar gemacht.

Die Stadt durchlebte – wie in vielen Bereichen nach den beiden Kriegen und den Vertreibungen – ein tristes und lebensunlustiges Intermezzo. Eine Zeitspanne in Wien, die manchmal vergessen machte, wie ausgeprägt Künstler ihr Leben in Bars und anderen Etablissements zu feiern wussten.

Nicht ganz so prägend wie in den Zeiten der „Belle Époque“ in Paris, als Künstler wie Henri Toulouse-Lautrec zu kreativen Chronisten einer Ära wurden. Aber dass zum Beispiel der Walzerkönig, Abgott der Wiener Weinseligkeit und dezidierte Lebemann, der Strauß Schani, sein 50-jähriges Bühnenjubiläum 1894 whiskeylastig in der neuen American Bar des damaligen Grand Hotels an der Ringstraße feierte, sollte nicht vergessen werden.

Die American Bar, die Kärntner Bar oder schlicht die Loos Bar
Die American Bar, die Kärntner Bar oder schlicht die Loos Bar

American Bars in Wien

Die Faszination der American Bars mit den hochprozentigen Verführungen – wie der Loos, der Eden, des Barfly’s oder aktuell auch des Roberto, der Miranda, des geheimen X-Clubs oder der  Tür 7 – bei Künstlerinnen und Künstlern ist verständlich: ein intimes Ambiente, exklusiv und qualitativ hochstehend; ein prädestinierter Ort emotionaler wie liebevoller Auseinandersetzungen – weit genug entfernt vom platten G’spritzten oder vom reizlosen Krügerl Bier.

Die gegenseitige Anziehungskraft verdeutlichen zahlreiche Geschichten und Anekdoten, die sich in Wiener Bars ereignet haben. Wobei viele unter dem strikten Siegel der Verschwiegenheit weitergegeben werden: Was in einer Bar passiert, bleibt auch da. Das ist allgemeiner Konsens. Ein paar Dinge dringen doch an die Oberfläche, denn sie dienen der gewollten Legendenbildung oder sind bereits Teil tradierter Künstlerbiografien.

Eden Bar, 1950er-Jahre, Foto: Eden Bar
Eden Bar, 1950er-Jahre, Foto: Eden Bar

Reden in der Eden

Für den Gründer einer der ersten Supermarktketten in Österreich und profilierten Kunstsammler Jenö Eisenberger gehörte es über Jahre zum fixen Unterhaltungsprogramm, in die Eden Bar einzuladen, um hier mit Künstlern über ihre Arbeit und das Leben zu philosophieren. Das besungene „Reden in der Eden“ eben.

Oder die Geschichte des Lehrlings, der sehr oft den berühmt-berüchtigten Bildhauer Alfred Hrdlicka von seinem bevorzugten „Watering Hole“ nach Hause brachte. Der hat dann dem Jungspund einmal zwei Zeichnungen als Dankeschön geschenkt. Durch die kleine Aufmerksamkeit brachte Hrdlicka den bekannten Sammler Alois Bersteiner
zur bildenden Kunst.

Hotel Sacher, Blaue Bar, Foto: Hotel Sacher
Hotel Sacher, Blaue Bar, Foto: Hotel Sacher
Izzy Einstein und Moe Smith
Izzy Einstein und Moe Smith

Naturgemäß – man möchte es mit Thomas Bernhard halten – hatten und haben viele junge Künstler nicht das finanzielle Pouvoir, mondäne Spirituosen und Cocktails ausufernd zu genießen. Wenn das Budget zu sehr strapaziert wurde, gab es einige wohlwollende Barbesitzer, wie etwa Kathrin Messner und Josef Ortner von der legendären „Die Bar“ in der Sonnenfelsgasse, die Kunstwerke in Zahlung nahmen. Barbesitzer, die über viel Geduld verfügten, konnten Jahrzehnte später ein Vielfaches der offenen Rechnungen lukrieren, wenn sie etwa Arbeiten von Franz West ins Auktionshaus trugen.

Damals wie heute

Der aktuelle und nachhaltige Boom bei bestehenden und neuen hochqualitativen Bars in Wien bringt es mit sich, dass zahlreiche junge, ambitionierte Künstlerinnen und Künstler, ob aus der Stadt oder zu Besuch, zu Aficionados werden. Oder, wie es der junge Sammler und Kurator Benjamin Ari Kaufmann auf den Punkt bringt: „Im intimen Ambiente einer tollen Bar verbinden sich spätnachts idealerweise die auf- und anregendsten Momente kreativen Lebens: Eleganz und Plumpheit, Diskurs und Stille, Liebe und Hass … und das alles unter den Augen der grünen Fee!“

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Christof Habres studierte Handelswissenschaft, Kommunikations- und Politikwissenschaft. Lebt und arbeitet als freier Journalist, Autor und Kunstvermittler in Wien. Zahlreiche Publikationen zu heimischen und internationalen
Bars und Spirituosen.

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