Antoon Claeissins trifft mit seinem Gemälde „Justitia bezwingt die sieben Todsünden“ einen Nerv seiner Zeit. Das im April zu Auktion gelangende Gemälde markiert inhaltlich wie stilistisch eine Zeitenwende.
Antoon Claeissins (ca. 1536– 1613) wurde in Brügge geboren, wo er unter Pieter Pourbus I. (1523–1584) eine Lehre absolvierte und zu einem Zeitpunkt, da die Hochblüte des „Venedigs des Nordens“ allmählich zur Neige ging, „Das Urteil des Königs Salomo“ für das Rathaus malte. Die Stadt Hans Memlings, dessen Handschrift sich in den Werken Claeissins’ wiederfindet, öffnete sich neuen Kunststilen, die heute von französischen Historikern als manieristisch bezeichnet werden, weil sie der Gestaltung des Schlosses Fontainebleau durch florentinische, von Michelangelo inspirierte Künstler nacheiferten.
Als Flame war Claeissins ein ausgewiesener Landschaftsmaler, und diese gleichsam naturgegebene Fertigkeit verbindet sich in „Justitia bezwingt die sieben Todsünden“ mit italienisch beeinflussten Figurendarstellungen, wie sie von Pariser Druckerpressen in Umlauf gebracht wurden. So ist die weibliche Verkörperung der Justitia jener des Giorgio Vasari nachempfunden: rachedürstig und allmächtig, mit einer entblößten Brust und metallenem Hüftgurt, an den sieben elendige Figuren als Allegorien der sieben Todsünden gekettet sind.
Über dem Haupt Justitias prangt ein Schriftband mit der biblischen Inschrift in lateinischer Sprache: „Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen!“
Vergegenwärtigt man sich, welch apokalyptisches Bild der nordeuropäische Alltag des 16. Jahrhunderts geboten haben muss – man denke an den Bildersturm, gelegentliche Polygamie-Exzesse und die vielen im Namen der Religion verübten Gemetzel –, so erscheint die Wahl des donnernden Psalms (2:9) nur angemessen. Entsprechend der Dringlichkeit ihrer Züchtigung sind die ansehnlicheren Figuren der Luxuria (Wollust) mit Fackel als Symbol der Leidenschaft und der sich im Spiegel betrachtenden Superbia (Hochmut) ein wenig in den Bildhintergrund gerückt. Nach vorne rücken indes die grotesken Figuren des mit halb- abgenagter Schinkenkeule fuchtelnden Gula (Völlerei) und der Acedia (Trägheit) mit abgehackten Händen. Avarita (Habgier) krümmt sich unter einem Sack, aus dem Münzen fallen, während sich die ausgezehrte Invidia (Neid) auf purpurnem Stoff räkelt – eine Anspielung auf die ältlichen, nackten und zweifellos übel gelaunten Dirnen, die sich im römischen Karneval zur Schau stellten. Heinrich II., der Nachfolger des französischen Ritterkönigs Franz I., erklärte die Bestattung (womöglich unehelicher) Neugeborener per Erlass zum Kapitalverbrechen. Das wird hier vielleicht mit der Pose der letzten Figur, Ira (Zorn), angedeutet wird, die sich anschickt, einen Dolch in den engelshaften Säugling zu stoßen, der flehentlich nach Justitia und der Krone über ihrem Haupt greift.
INFORMATIONEN zur AUKTION
Auktionsdatum: 30. April 2019, 17.00 Uhr
Auktionsort: Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
Besichtigung: 20. April – 30. April 2019