RENAISSANCE UND ART DÉCO
Tamara de Lempicka, die Femme fatale des Art Déco, ist vor allem für ihre sinnlich-expressiven Figurendarstellungen bekannt, die das Lebensgefühl der Roaring Twenties in die Gegenwart tragen. In dem außergewöhnlichen Bildnis einer jungen Frau, das im Juni zur Auktion gelangt, offenbart sich Lempickas lebenslange intensive Beschäftigung mit der Malerei der Renaissance.
Während einer Italienreise mit ihrer Großmutter 1911 setzt sich Tamara de Lempicka, geboren 1898 im polnischen Warschau, erstmals mit der Malerei der italienischen Renaissance auseinander, was ihre weitere künstlerische Entwicklung nachhaltig prägt. „Madame schleifte ihren Schützling durch die Museen von Florenz, Rom, Venedig, kommentierte und explizierte, zeigte ihr die Renaissancemaler, erläuterte Modellierungen einer Wange, die Verkürzung einer Hand, Bildkomposition, Chiaroscuro, Impasto. Es war eine Reise, die das junge Mädchen nie vergessen sollte“, wie es im Katalog
zur Lempicka-Personale 2004 in London und Wien heißt.
In den nächsten Jahrzehnten folgen zahlreiche Reisen durch ganz Europa, bei denen sich die Künstlerin immer wieder zu ausgiebigen Bildbetrachtungen der Alten Meister in die Museen zurückzieht. Im Jahr 1939 übersiedelt Tamara de Lempicka mit ihrem ungarischen Ehemann Raoul Baron Kuffner nach New York, was nicht nur ihrer Psyche wohltut, sondern auch ihrem künstlerischen Schaffen neuen Aufschwung gibt. In den folgenden Jahren finden Ausstellungen sowohl in Amerika als auch in Europa statt, und dort vornehmlich in Paris. Dabei zeigt die Künstlerin neue wie auch alte Werke, was von ihrem Bestreben zeugt, Kontinuitäten in ihrem Gesamtoeuvre herzustellen, und zugleich ihre perfektionistischen Techniken demonstriert. Ende der 1940er-Jahre kehrt Lempicka erstmals wieder nach Italien zurück und bezieht neue Inspiration aus der Kunst der italienischen Renaissance, die zu einer Wiederbelebung der italienisierenden Manier in ihren Gemälden führt.
Aus ihrem Hang zu allem Expressiven interessiert sich Tamara de Lempicka für Menschen mit charakteristischem Körper und Gesicht, um sie auf gezielte Weise in ihre Werke einzubinden. Sie spricht fremde Menschen auf der Straße an und bittet sie, für sie Modell zu stehen für ein Werk, das bereits in ihrem Kopf existiert. Die Künstlerin ist fasziniert vom menschlichen Körper, seiner Bewegung und der Darstellung der aus der italienischen Renaissance übernommenen „Serpentinata“, also der „schlangenförmig“
gewundenen Figurendarstellung.
Das Profilbildnis des Mädchens, bei dem es sich um Tamara de Lempickas Enkelin Victoria handeln könnte, ist nach dem Vorbild von Renaissanceporträts gestaltet. Das Skulpturenhafte des Gesichtes rückt die Physiognomie des Mädchens in den Hintergrund, und das Augenmerk des Betrachters richtet sich primär auf das lange weiße Tuch. Der weiße bauschige Schal ist leicht fließend um Kopf, Körper und Rückenlehne drapiert und in den verschiedensten hellen Farbnuancen gemalt. Die verschiedenen Pink-, Rot- und Brauntöne an Körper und Kleidung des Mädchens sowie des Stuhles stehen in starkem Kontrast zu dem in dunklen Grüntönen changierenden Hintergrund. Dieser extreme Kontrast führt in der gesamten Bildkomposition dazu, dass der weiße Schal zu einem beinahe greifbaren Element im Bild gerät. Tamara de Lempicka gelingt es durch diese Farbkomposition, die Plastizität des weißen Tuches ins augenscheinlich Dreidimensionale zu steigern.
INFORMATIONEN zur AUKTION
Auktion Klassische Moderne, 23. Juni 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386