Gino de Dominicis: „Asta in equilibrio“

Gino de Dominicis

Gino de Dominicis war einer der interessantesten und außergewöhnlichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Sein Werk kreist um Themen wie die Unsterblichkeit der Materie,
Raum und Zeit oder die Unsichtbarkeit. Exemplarisch für de Dominicis’ metaphysische Herangehensweise ist „Asta in equilibrio“, das im November für € 222.600 den Besitzer wechselte.

Gino de Dominicis war nicht nur eine der vielschichtigsten und komplexesten Persönlichkeiten seiner Zeit, sondern auch einer der interessantesten Künstler des 20. Jahrhunderts, der sich keiner der ab den 1960ern entstandenen künstlerischen Strömungen zuordnen lässt.

In einem Beitrag für die 57. Biennale von Venedig 1997 beschrieb sich de Dominicis selbst wie folgt: „Gino de Dominicis, Maler, Bildhauer, Architekt. Ancona 1947. Sein Werk zeichnet sich durch seine Unabhängigkeit von den verschiedenen künstlerischen Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg aus. 1966 wurden seine Arbeiten das erste Mal gezeigt; dem folgten zahlreiche Ausstellungen in Italien und im Ausland. De Dominicis Wunsch entsprechend gibt es weder Kataloge noch Bücher zu seinem Œuvre. Er misst Fotografie keinen dokumentarischen Wert bei, ebenso wenig vermag sie für sein Werk zu werben.“

De Dominicis war stets umstritten. Er setzte sich mit der Unsterblichkeit der Materie, mit Raum und Zeit sowie mit der Unsichtbarkeit auseinander, die seinem menschlichen gleichwie seinem künstlerischen Dasein zentral war: Er umgab sich mit einer Aura der Rätselhaftigkeit und wehrte sich entschieden dagegen, dass man Werkkataloge, Dokumentationen seiner Ausstellungen, Fotografien seiner Werke oder gar seiner Person erstellte. Naturgemäß sind Letztere extrem rar – das vermutlich einzige Porträt de Dominicis’ stammt von der Fotografin Elisabetta Catalano.

Zwei schwarze Holzfässer als Staffeleien (aus dem Atelier des Künstlers) Foto: Courtesy by O. Jacorossi, Rom
Zwei schwarze Holzfässer als Staffeleien (aus dem Atelier des Künstlers)
Foto: Courtesy by O. Jacorossi, Rom

 

1964 ließ sich der Künstler in Rom nieder. Lange Zeit gab er als Kontaktadresse Hotels im Stadtzentrum an. Dort war er oft zu sehen: dunkel gekleidet, mit über die Jahre hinweg fast unverändertem Aussehen, wie die wenigen, ab den 1960ern entstandenen Fotos erkennen lassen.

Dank heftiger medialer Reaktionen und juristischer Querelen, die folgten, ist das Werk, das Gino de Dominicis auf Einladung Renato Barillis bei der Biennale von Venedig 1972 ausstellte, wohl sein bekanntestes. „La seconda soluzione di immortalità (l’universo è immobile)“ („Die zweite Lösung der Unsterblichkeit [das Universum ist unbeweglich]“) zeigt Paolo Rosa, einen jungen Mann mit Down-Syndrom, bewegungslos in der Ecke eines rechteckigen Raumes mit Tür zu den Gärten sitzend; in seiner Nähe befinden sich – wie auf Schildern zu lesen ist – ein „unsichtbarer Kubus“, ein aus zwei Metern Höhe fallen gelassener bunter „Gummiball im Moment, bevor er aufhüpft“, und ein vulkanischer Felsen, „auf eine allgemeine und zufällige molekulare Bewegung in eine Richtung wartend, um eine spontane Bewegung der Materie zu erzeugen“.

„Gino sah in dem Raum die Summe all dessen, was er bis dahin gemacht hatte“, so Simone Carella, de Dominicis Assistent in Venedig. „Seine Wahl fiel unter anderem auf diesen Raum, weil er eine Tür zum Garten hatte und man ihn daher betreten konnte, ohne durch die anderen Räume zu gehen. Die Dachfenster waren abgedeckt. Als Erstes ließ Gino die Abdeckungen von den Dachfenstern entfernen, um das Tageslicht hereinzulassen. Natürliches Licht, die nach draußen führende Tür: Ginos Arbeit musste stets mit dem Universum verbunden sein. Dann bat er mich, jemanden zu suchen, der seine zweite Lösung zur Unsterblichkeit verkörpern sollte, einen jungen Mann, der die kindliche Haltung bewahrt hatte.“

Im Streben, die Zeit anzuhalten, stellte de Dominicis Untersuchungen zur Unsterblichkeit des Körpers an. Im Zuge dessen „verschwand“ er, um in der Galerie Pio Monti in Rom wieder „aufzutauchen“. Eine Ausstellung vom 14. Januar 1977 wiederholte
er in unveränderter Form am selben Ort auf den Tag genau ein Jahr später – eine Anspielung auf die Möglichkeit einer unwandelbaren, ewigen Existenz.

Gino de Dominicis, Asta in equilibrio, 1971, Auktion Zeitgenössische Kunst, 25. November 2015, erzielter Preis € 222.600

 

Das Motiv der glänzenden vergoldeten Stäbe, die wie durch Zauberei aufrecht und ohne Stütze auf dem Boden balancieren, findet sich in vielen  Werken Gino de Dominicis nach 1967 wieder. „Equilibrio 1“ („Gleichgewicht 1“) war 1969 bei der ersten Einzelausstellung des Künstlers in der Galleria L’Attico in Rom zu sehen. Die vertikale Stellung des Stabs symbolisiert die Verbindung zwischen Erde und Himmel, den aufsteigenden Pfad zwischen Irdischem und Göttlichem, einen festen, schier unsterblichen Punkt, um den sich das Universum entspannt.

Die Größe der Stäbe ist von der Größe des Raumes abhängig, in dem sie ausgestellt werden. Ihr Gleichgewicht halten sie durch in den Stäben enthaltene Eisenzylinder und über ihnen angebrachte Magnete. In einer späteren Werkphase wurden die Halterungen jeweils entweder in eine Nische oder in eine Art schwarzen oder weißen Rahmen gestellt, oder sie wurden mit komplexeren Installationen kombiniert.

In „Il tempo, lo sbaglio, lo spazio“ („Die Zeit, der Fehler, der Raum“) (1969) balanciert der Stab auf dem rechten Zeigefinger eines auf dem Boden liegenden menschlichen Skelettes in Rollerblades, neben ihm das Skelett seines angeleinten Hundes. In der Sammlung zeitgenössischer Kunst des Castello di Rivoli in Turin reckt er sich von einem großen, schwarzen Stein empor; das 1986 im Museo di Capodimonte ausgestellte Exemplar ist weiß und jongliert auf einem roten Stein.

Zuletzt ein weiteres Beispiel: der beeindruckende, 16 Meter hohe Stab, der sich 1990 in der von Maurizio Calvesi und Rossella Siligato kuratierten Gruppenausstellung „Roma Anni ’60“ im Palazzo delle Esposizioni fand.

(myART MAGAZINE Nr. 06/2015)

Auktion
Mittwoch, 25. November 2015, 18 Uhr
Palais Dorotheum Wien
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