
Antony Gormley gilt als zentrale Figur der zeitgenössischen Bildhauerei. Mit seinen monumentalen Arbeiten wie „Angel of the North“ oder den „Field“-Projekten hat er die Skulptur neu definiert. Im Mittelpunkt seines Werks steht der menschliche Körper – so auch in „Small Splice IV“.
Der menschliche Körper steht im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung des englischen Bildhauers Antony Gormley. Er versteht ihn als Urform, als bewohnbaren Raum und als Schnittstelle zur Welt. Für den 1950 geborenen Künstler ist der Körper mehr als bloße Form, durch ihn lässt sich die Beziehung zur Umgebung, zu anderen Menschen und zu sich selbst erkunden. Der Turner-Preisträger 1994 half mit, die Idee der Statue neu zu definieren, wobei er ursprünglich von seinem eigenen Körper ausging. Mit seinem konzeptionellen Ansatz, den Körper als Fallbeispiel, als Reflexion virtuos zu deklinieren zählt er zu den bedeutendsten Bildhauern weltweit – mit Ausstellungen im Musée Rodin, der Royal Acadamy of Arts, den Uffizien oder der Eremitage St. Petersburg.
Das Werk Gormleys reiht sich in den Kontext der zeitgenössischen Skulptur des 20. Jahrhunderts ein. Es verbindet existenzielle Fragegestellungen – wie Giacomettis Reflexionen über die Einsamkeit – mit den materiellen und konzeptuellen Untersuchungen der italienischen Arte Povera, wie sie etwa in Alighiero Boettis Werk „Io che prendo il sole a Torino“ (1989) Ausdruck finden.
Gormley übersetzt diese Einflüsse in modulare Körper, die er – zusammengesetzt, segmentiert und zu Blöcken kristallisiert – als „dreidimensionale Pixel“ bezeichnet. Jedes Modul wird zu einem Berührungspunkt von Masse und Leere, von Präsenz und Abwesenheit. So wird der Körper zum Ausgangspunkt einer ebenso sinnlichen wie konzeptuellen Erfahrung.
Wenngleich Gormley in Bezug auf die Anordnung und Räumlichkeit von Materialien ideell mit Carl Andres Minimalismus übereinstimmt, geht er doch über dessen formale Strenge hinaus, indem er die Erfahrungsdimension des menschlichen Körpers einführt.
Die Eisenskulptur „Small Splice IV“ von 2013 veranschaulicht Gormleys Poetik auf eindrucksvolle Weise: Würfel und Parallelepipede überlagern einander und formen einen menschlichen Körper, der gleichzeitig massiv und durchlässig, konkret und metaphorisch wirkt. Die Zwischenräume lassen den Raum atmen und schaffen einen kontinuierlichen Dialog mit der Umgebung. Die Härte des Eisens interagiert mit der visuellen Leichtigkeit der segmentierten Formen und bringt so das Spannungsfeld von Individualität und Universalität zum Ausdruck.
In dieser Synthese bringt Gormley seine künstlerische Auseinandersetzung auf den Punkt: der Körper als bewohnbarer Raum, als modulare Struktur und als Instrument der Beziehung zum Raum und zu den Mitmenschen. Das Werk lädt den Betrachter ein, die menschliche Präsenz als geteilte Erfahrung und existenzielle Meditation wahrzunehmen, und bekräftigt damit die zentrale Rolle des Körpers in Gormleys künstlerischem Werk.

AUKTION
Zeitgenössische Kunst I, 19. November 2025, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386