Wien 1884: Die 17-jährige Gräfin Marie Mittrowsky bittet ihre Freundinnen, sich in ein ganz spezielles Buch einzutragen. In London gedruckt, trägt das Einschreibbuch den Titel „Confessions“ („Bekenntnisse“) und enthält einen Katalog von 24 Fragen. Aus deren Beantwortung ergibt sich ein aussagekräftiges Persönlichkeitsprofil, das einem Facebook-Profil von heute nicht unähnlich ist. Dieses Schriftstück gelangt am 22. Juni 2016 im Dorotheum zur Autographen-Auktion.
Unter den befreundeten Aristokratinnen ist auch Mary Vetsera. Die Antworten der erst 13-jährigen Baronesse lassen Bildung, Individualität, Fantasie, aber auch eine unterschwellige Morbidität erkennen, die vor allem in der Auswahl der von ihr favorisierten historischen Persönlichkeiten zum Ausdruck kommt.
Erzielter Preis € 3.000
Die Frage nach ihrer Vorstellung von Glück quittiert Mary Vetsera mit sechs Fragezeichen. Auf die Frage „If not yourself, who would you be?“ antwortet Mary: „Ein Geist oder ein Hirsch“. Ihre Lieblingsgetränke: Sherry und Likör. Tolerierbarer Fehler: Faulheit. Present state of mind: Ungeduld. Lieblingsschriftsteller: Alexander Petöfi, ungarischer Revolutionsheld, gefallen 1849. Lieblingsmaler und -komponist: Hans Makart, der Superstar der Ringstraßenära, sowie Ludwig van Beethoven. Weitere Favoriten: Bertrand du Guesclin, französischer Heerführer im Hundertjährigen Krieg, Maria Stuart, enthauptet 1587, Charlotte Corday, die 1793 guillotinierte Mörderin Jean-Paul Marats, Siegfried, der meuchlings ermordete Held der Nibelungensage, sowie Medea, leidenschaftlich-düstere Zauberin und antike Killerin aus der Argonautensage.
Einzelblatt mit autobiographischen Eintragungen u.U. aus dem Album „Confession“, London 30.3.1884 aus dem Besitz der Gräfin Marie Mittrowsky (vereh. Gräfin Bombelles) (1867–1917), Auktion Autographen 22. Juni 2016, Rufpreis € 2.000
Als meistgehasste historische Gestalt gibt Vetsera an: Königin Elisabeth I. von England, die ihre Rivalin Maria Stuart hinrichten ließ. Einen versöhnlichen Abschluss bildet Marys Motto, ein Zitat der hochmittelalterlichen französischen Königin Blanka von Kastilien, das noch heute in zahlreichen französischen Facebook-Profilen zu finden ist: „J’aime qu’on m’aime comme j’aime quand j’aime“. So scheinen in Mary Vetseras Jugendbekenntnissen Liebe und Tod eng beieinander zu liegen – was fünf Jahre später nicht anders ist, als sie mit dem österreichischen Kronprinzen Rudolf den gemeinsamen Liebestod wählt.
(myART MAGAZINE Nr. 07/2016)
Information: Andreas Löbbecke ist Experte für Autographen am Dorotheum. Georg Ludwigstorff ist Experte für Kaiserhaus und Historika.
