Eine spektakuläre Wiederentdeckung: 1910 in der Secession-Ausstellung „Die Kunst der Frau“ zu sehen und ein Geschenk an Margarethe Stonborough-Wittgenstein. Diese Arbeit von Marie Bashkirtseff steht exemplarisch für das Oeuvre der Künstlerin, dessen Hauptaugenmerk auf der Abbildung von Frauen und der realistischen Darstellung von deren Persönlichkeit lag.
Girl Power
Aus einer russischen Landadelsfamilie stammend, zog die Malerin Marie Bashkirtseff mit einigen Mitgliedern ihrer großen Familie nach Paris, wo sie die Académie Julian besuchte und ihre Bilder im Salon zeigte, sowie nach Nizza. Die Künstlerin, die 1884 in Paris im Alter von nur 27 Jahren an Tuberkulose verstarb, hinterließ ein schöpferisches Erbe von etwa 200 Bildwerken – ein Beweis für ihr großes Talent und ihre rasante künstlerische Entwicklung.
Mit Blick auf die Frau
In den Mittelpunkt ihrer Bilder stellte Bashkirtseff den Menschen. Die meisten ihrer Porträts und Figurendarstellungen sind Frauen gewidmet, in denen sie dieselbe Intensität des Innenlebens suchte, die sie selbst auszeichnete: Maries „Journal“ – ein halb fiktives, halb reales Tagebuch, das ihre Mutter nach ihrem Tod veröffentlichte – ist weltberühmt und wurde zu einer „Geheimbibel“ der Frauen ihrer Zeit. Gleich zwei Mal wurde Bashkirtseffs Leben verfilmt, auch ein Asteroid ist nach ihr benannt.
Ausgestellt in der Secession
Streng zu sich selbst und hochemotional, zerstörte Marie jene Werke, mit denen sie unzufrieden war; manche warf sie sogar ins Meer. Eine Vernichtung erfolgte auch in diesem Fall: Nachdem sie ihre Cousine Dina Babanina beim Lesen gemalt hatte und das Porträt für nicht ähnlich genug hielt, zerschnitt Bashkirtseff es mit einem Messer. Die zweite Fassung des Porträts von Dina (1880) befindet sich im Kunstmuseum von Charkiw in der Ukraine. Maries Mutter bewahrte allerdings die erste, zerschnittene Version heimlich auf. Nach dem Tod ihrer Tochter klebte sie die Leinwand wieder zusammen und überließ sie 1910 der Wiener Secession für die Ausstellung „Die Kunst der Frau“. Das Gemälde blieb in Wien – als Geschenk Madame Bashkirtseffs an Margarethe Stonborough-Wittgenstein, Schwester von Ludwig Wittgenstein, eine der Hauptsponsorinnen dieser außergewöhnlichen Ausstellung. Es war dies kein Akt bloßer Dankbarkeit, sondern Ausdruck einer tiefen Verbundenheit, setzte sich Margarethe als Mäzenatin doch für die Gleichstellung der Künstlerinnen in der damals männlich dominierten Kunstszene ein. Durch ihre Persönlichkeit, Klugheit und Unabhängigkeit verkörperte sie den Aufbruch in eine neue Zeit der weiblichen Selbstbestimmung.
Margarethe Stonborough-Wittgenstein
Das Gemälde wurde über 100 Jahre in der Familie aufbewahrt, es begleitete Margarethe von Wien ins New Yorker Exil und wieder zurück nach Österreich. Im Katalog der Ausstellung von 1910 war es mit Schnitten abgebildet. Dem Dorotheum wurde das Werk im sorgfältig restaurierten Zustand überreicht.
Olga Sugrobova-Roth ist Expertin für russische Kunst.
AUKTION
Gemälde des 19. Jahrhunderts
7. Juni 2021