Die Natur war immer schon eine bedeutende Inspirationsquelle für die Kunst. In der Frühjahrsausgabe des Dorotheum myART MAGAZINE verraten uns Dorotheum-Expertinnen und -Experten ihre Lieblingsgärten.
Für Joëlle Romba zählt der Garten der Villa Liebermann am Wannsee zu den schönsten Gärten Deutschlands. Die neue Dorotheum-Expertin für Moderne und Zeitgenössische Kunst in Berlin traf Lucy Wasensteiner, die Direktorin der Liebermann-Villa am Wannsee, zum Gespräch über den denkmalgeschützten Künstlergarten und das ambitionierte Ausstellungsprogramm.
„Die Liebermann-Villa am Wannsee lockt meine Familie und mich seit Jahren mit einem ausgefeilten Programm, das die Zeit des Schaffens von Max Liebermann in kritisch pointierten Ausstellungen dokumentiert und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet“, so Joëlle Romba. „Der wunderschöne Garten lädt zur Zerstreuung und Rekreation ein, man kann sich an der Fülle seiner Vegetation nicht sattsehen. Zum See erstreckt sich eine Wiese mit Birkenallee, links davon ziehen die farbenprächtigen Blumenbeete und Sträucher der Heckengärten den Blick an. An der Straßenseite des Hauses sind Nutzgärten zur Selbstversorgung angelegt: ein autarkes Idyll.“
Joëlle Romba: Frau Dr. Wasensteiner, zwischen 2015 und 2018 waren Sie im kuratorischen Team der Liebermann-Villa tätig, seit Februar 2020 leiten Sie sie als Direktorin. Zum ersten Mal begegneten Sie mir als Kuratorin der Ausstellung „London 1938“, die nach ihrer ersten Station an der Wiener Holocaust Library in London 2018 in der Liebermann-Villa gezeigt wurde, damals noch unter der Leitung von Martin Faass. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Lucy Wasensteiner: Im Zuge meines Promotionsprojektes setzte ich mich mit der Londoner Ausstellung „Twentieth Century German Art“ auseinander, die 1938 als Antwort auf die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 gezeigt worden war. Die Ausstellung in London war der Fokus meiner Doktorarbeit, und Liebermann war dabei natürlich sehr prominent vertreten. Als ich 2015 in der Liebermann-Villa anfing, habe ich das Projekt „London 1938“ für die Liebermann-Villa vorgeschlagen. Wir haben uns sehr gefreut, die Wiener Library dann als Londoner Projektpartner zu gewinnen. Dass wir 2018 in unserer Ausstellung zir- ka 30 der originalen Ausstellungsstücke – u. a. aus dem Centre Pompidou in Paris, aus Stockholm oder London – dann tatsächlich in der Liebermann-Villa zeigen konnten, war fantastisch. Das waren meine ersten drei Jahre mit der Malerei Max Liebermanns. Als 2020 die Direktionsstelle frei wurde, kehrte ich zurück.
Mit Ihrem Ausstellungsprogramm beleuchten Sie das Schaffen Max Liebermanns, aber auch das zeitliche Umfeld der 1920er-Jahre aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Unlängst etwa mit der beeindruckenden Ausstellung über die in Vergessenheit geratene Kunsthändlerin Grete Ring, die gemeinsam mit Walter Feilchenfeldt Max Liebermanns Hauptgalerie – den Kunstsalon Cassirer – nach dem Tod von Paul Cassirer weitergeführt hat.
Wir haben mit Liebermann so ein spannendes Thema. Er war so einflussreich in seiner Zeit, er war mit so vielen Leuten in Kontakt. Wir haben hier ein fantastisches Netzwerk, das wir durch Liebermann beleuchten können. Und wenn es dadurch sogar möglich ist, Geschichten zu erzählen, die noch nicht erzählt wurden: umso besser. Dazu zählen natürlich oft die Frauen, die um Liebermann herum gearbeitet haben: Künstlerinnen, Fotografinnen, Kunsthändlerinnen usw. Insofern bot sich mit Grete Ring für uns ein perfektes Thema. In den vergangenen Jahren haben wir auch versucht, die Verbindung zur Gegenwart herzustellen. Liebermann war ein großer Unterstützer junger Künstlerinnen und Künstler.
Er war ja Präsident der Preußischen Akademie der Künste und hatte insofern auch einen Auftrag …
Und es hat ihn auch sehr interessiert, was die jungen Leute über seine Kunst gedacht haben. Wir haben ein Zitat von Liebermann aus dem Jahr 1905 gefunden, in dem er schreibt: „Wer die Jugend für sich hat, hat die Zukunft für sich und auf die allein kömmts [sic] an“. Diese Idee haben wir aufgegriffen und zwischen 2022 und 2023 eine Malereiklasse der Universität der Künste in Berlin eingeladen, hier neue Werke zu schaffen, inspiriert von Liebermanns Kunst, seiner Geschichte und seiner Villa. Die so entstandenen Arbeiten wurden dann im Sommer 2023 im gesamten Areal ausgestellt: in den Ausstellungsräumen, zwischen Gemälden von Liebermann, aber auch im Garten. Vom Vordergarten bis hin zum Wannsee waren überall Kunstwerke zu finden. Es fanden auch Performances im Garten statt. Es war wirklich sehr spannend.
Können Sie uns noch etwas über die Entstehung der Villa erzählen? Sie war ja der Sommersitz der Familie Liebermann.
Hier am Wannsee existierte schon ab 1863 die Villenkolonie „Alsen“ für das Großbürgertum Berlins. Liebermann war einer der Letzten, die hier ein Grundstück gekauft haben – 1909 erwarb er zwei Parzellen am Ufer des Sees. Hier erbaute er 1909 bis 1910 seine Sommerresidenz. Es war ihm wichtig, in die Planung von Haus und Garten involviert zu sein. Beim Garten war er insbesondere von seinem Freund Alfred Lichtwark unterstützt worden. Der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle war ein großer Vertreter der Reformgartenbewegung: Im Gegensatz zum englischen Garten, wo quasi die Natur nachgeahmt wurde, ist der Reformgarten deutlich vom Menschen für das moderne Leben geschaffen: klare Linien, definierte Bereiche. Der Garten soll dem Menschen dienen, mit einem Nutzgarten mit Obst und Gemüse, einem Rasen zum Entspannen. Und man soll die Farbe nicht wie in der Natur nutzen, sondern gezielt einsetzen. Also hier nur rot oder hier gelb und lila …
… eine Komposition, wie in der modernen Kunst. Der Garten ist ja nach den Plänen von Liebermann und Lichtwark rekonstruiert worden.
Ja, es gab die Pläne vom Landschaftsarchitekten Albert Brodersen, aber auch einige Briefe zwischen Liebermann und Lichtwark, die sehr detailliert zeigen, wie alles geplant war. Zudem wurde die Villa zu Lebzeiten Liebermanns oft fotografiert. Und neben den Presse- fotos gibt es über 200 Ölgemälde, die den Garten aus jedem Blickwinkel zeigen. So konnte man zusätzlich zu den Schwarz-Weiß- Fotos aus dieser Zeit auch sehen, welche Farben wo eingesetzt wurden.
Wann wurde der Garten zur Inspirationsquelle für Liebermanns Kunst?
Ab den 1870er-Jahren war eigentlich Holland Liebermanns Hauptinspirationsquelle, und er verbrachte jeden Sommer dort. Erst als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und man nicht mehr reisen konnte, schien ihm aufzufallen: Hier habe ich ein fantastisches Sujet für meine Malerei. Und er begann im großen Stil im Garten zu arbeiten. Um diese Zeit entwickelte er seine impressionistische Malweise, die er schon Ende des 19. Jahrhunderts für sich entdeckt hatte. Die Bilder, die hier am Wannsee entstanden sind, sind wirklich das impressionistische Hauptwerk von Liebermann.
Erlauben Sie uns einen Blick in die Zukunft: Wohin soll die Reise der Villa Liebermann in nächster Zeit gehen?
Im Mai eröffnen wir eine sehr spannende Ausstellung zu Liebermanns Verbindungen nach Italien, u. a. mit Leihgaben aus den Uffizien, die sehr früh Werke von ihm gesammelt haben. Am Ende des Jahres geht es um Dora Hitz, eine Mitbegründerin der Berliner Secession – ihre erste Einzelausstellung seit 100 Jahren. Ja, und 2025 wird es dann u. a. um das Sammlerpaar Carl und Felicie Bernstein gehen. Ich will das Thema Liebermann ein bisschen breiter sehen, natürlich immer mit dem Ziel, dass wir als Haus relevant bleiben – für Liebermann-Kenner, für alle Berlinerinnen und Berliner, aber auch für das internationale Publikum.
Ein tolles Programm! Vor allem wenn man bedenkt, dass Sie das alles ohne staatliche Grundförderung machen.
Genau, wir existieren ohne staatliche Grundförderung und leben überwiegend von unseren Eintrittskarten. Deswegen freuen wir uns über jeden Besuch bei uns am Wannsee! Zudem haben wir zirka 2.300 fördernde Mitglieder und rund 120 ehrenamtlich Engagierte, die z. B. als Gästeführer, im Shop oder auch im Garten mitarbeiten. Sie sehen also – die Liebermann-Villa ist wirklich ein Teamprojekt!
Lucy Wasensteiner im Gespräch mit Joëlle Romba
Verwunschener Garten
Für Südtiroler oder Trentiner, die wie ich am Fuße der majestätischen Rosengartengruppe in den Dolomiten aufgewachsen sind, gibt es keinen schöneren Garten als den Rosengarten König Laurins, den Schauplatz der packenden Legenden Karl Felix Wolffs.
Als ich vor Kurzem in der Mailänder Repräsentanz des Dorotheum ankam, hatte ich zwar mit Räumlichkeiten voller Kunstschätze gerechnet, nicht jedoch mit einem Garten, der mich in seiner Schönheit an den Rosengarten König Laurins erinnerte.
Private Gärten sind in Mailand rar, und von jenen, in denen sich seltsame Tiere tummeln, ist nur die Villa Invernizzi bekannt: In ihrem Teich planschen wunderschöne pinke Flamingos, die längst zu einer Touristenattraktion geworden sind. Es gibt aber noch einen anderen Garten mit reizendem Getier – jenen des Palazzo Amman, der Dorotheum Repräsentanz in Mailand. Zu seinen Bewohnern zählen zwei steinalte Schildkröten, die sich gelegentlich Zutritt zu den Büros unserer Experten verschaffen, um dort Kunstwerke zu bewundern oder Schmuck und Uhren anzuprobieren. Die Zusammenarbeit mit ihnen gestaltet sich als außerordentlich angenehm.
Julia Pastore
Natürliche Wildheit
In den 20 Jahren, die ich in London gelebt habe, waren Ausflüge in die wunderbaren Gärten Englands immer eine willkommene Abwechslung zum schnellen Stadtleben. Der in East Sussex, keine 20 Kilometer vom Ärmelkanal entfernt, gelegene Garten von Great Dixter war stets einer meiner Favoriten. In seiner heutigen Form wurde er von Christopher Lloyd um sein Elternhaus, ein von Edwin Lutyens um 1910 im Arts-and-Crafts-Stil aus zwei mittelalterlichen Gebäuden und einem neuen Trakt zusammengefügtes Ensemble, angelegt. Lloyd beherrschte es souverän, die üppige Bepflanzung gleichzeitig zu dirigieren und zu bändigen, ihr aber dennoch Spontaneität zuzugestehen. So entstand eine natürliche Wildheit in den Beeten, die in spannendem Kontrast zu den von seinem Vater gepflanzten altehrwürdigen Eiben-Gebilden in der Form von Pfauen steht. Für mich ist Great Dixter einfach der ideale Garten: üppige Bepflanzung das ganze Jahr hindurch, abwechslungsreiche Gestaltung mit heimischen und exotischen Pflanzen, nachhaltiger Obst-, Kräuter- und Gemüseanbau, und jenseits der Wege darf ein Obstgarten wild wuchern.
Bernhard Brandstätter