Das ist Frauenpower:
Drei Frauen, zwei Künstlerinnen, zwei Gemälde der Lucretia.
Artemisia Gentileschi und Diana De Rosa setzten sich schon zu Lebzeiten gegen ihre Künstlerkollegen durch. Zu ihren bevorzugten Motiven zählte auch die mutige Lucretia, ein Symbol des Widerstandes gegen männliche Gewalt.
Lucretia
Wie keine andere Heldin verkörpert Lucretia die vollkommene, über alle Familienbande hinausgehende Tugendhaftigkeit. Von Livius ist überliefert, wie ihre Redlichkeit das wilde Verlangen des Sextus Tarquinius entfachte und er sie unter Todesdrohung vergewaltigte.
Der Ehre beraubt, nahm Lucretia ihrem Vater und ihrem Gemahl das Versprechen ab, sich am Schänder zu rächen, und stieß sich ein Messer ins Herz. Auch im 17. Jahrhundert galt Lucretia aufgrund ihres exemplarischen Handelns als tragische Ikone im positiven Sinn.
Aus Gründen, die unbekannt bleiben, gehörten zwei Interpretationen der Heroine Lucretia zur gleichen historischen Sammlung. Dank Dorotheum sind sie heute wieder gemeinsam zu sehen: Die erste Interpretation stammt von der besten weiblichen Künstlerin des 17. Jahrhunderts in Neapel Diana De Rosa, die zweite von ihrer in ganz Italien bekannten Malerkollegin Artemisia Gentileschi.
Die Künstlerin Diana De Rosa
Über Diana De Rosa, auch Annella di Massimo genannt, ist wenig bekannt. So viel steht fest: Sie war die Schwester des Pacecco De Rosa und brachte es als eine der wenigen neapolitanischen Malerinnen zu beachtlichem Ruhm. Einer düsteren Legende zufolge starb sie durch die Hand ihres Künstlergatten Agostino Beltrano, der angetrieben war von Eifersucht auf ihre enge, obgleich platonische Beziehung zu Massimo Stanzione, dem führenden Vertreter des neapolitanischen Klassizismus. Heute wissen wir: Als sie 1643 mit 41 Jahren starb, war sie vermögend und ein herausragendes Mitglied des Zirkels um Stanzione. In der Tat weist ihre im Dorotheum befindliche „Lucretia“ stilistische und kompositorische Ähnlichkeiten mit Stanziones Gemälde „Kleopatra“ in der Genueser Sammlung Durazzo Pallavicini auf, das auch als Grundlage für Francesco Guarinos „Heilige Agathe“ im neapolitanischen Museo Capodimonte diente.
Dianas Lucretia
Dianas künstlerische Handschrift zeigt sich in der einzigartigen Komposition der offenen Bluse über der Brust der dargestellten Heldin, im Schimmer ihrer tiefblauen Robe und in den wogenden Falten des dunklen Vorhangs im Hintergrund. Am Handgelenk und im Haar trägt sie den prächtigen Schmuck einer römischen Edeldame; ihr entrückter Ausdruck zeugt von Entschlossenheit, das größte aller Opfer zu bringen. Schon hat die Spitze des Langdolchs die Haut durchdrungen, als ihre Lippen die berühmten letzten Worte flüstern: „Es ist an euch, [Sextus Tarquinius] widerfahren zu lassen, was er verdient. Was mich betrifft, so bin ich zwar frei von Sünde, aber nicht frei von Sühne, damit vom heutigen Tage keine schändliche Frau sich je auf Lucretia berufe!“
Artemisia Gentileschi
Artemisia Gentileschis „Lucretia“ war nur wenige Jahre davor entstanden. Darin spiegelt sich Artemisias eigenes Leben wider, war sie doch als junge Frau missbraucht worden und in einem aufsehenerregenden Prozess in Rom gegen ihren Peiniger aufgetreten, was für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war. Doch ihr Ruf war beschädigt, sie musste die Stadt verlassen und erkämpfte sich in der Folge mit Mühe hohes Ansehen als Künstlerin. Die geballte Kraft des Bildes ist charakteristisch für Artemisias frühe Schaffensperiode in Neapel um 1630. Der starke Kontrast des chiaroscuro in den strahlenden Hauttönen und im Weiß, Gelbgold und Tiefblau der Stoffe zeigt, welche Faszination der künstlerische Erfindungsgeist ihres neapolitanischen Mentors – Kein Geringerer als Massimo Stanzione – auf sie ausgeübt haben muss.
Artemisias Lucretia
Als Betrachter vermeint man nach der leibhaftigen Lucretia greifen zu können, so dynamisch wie sie sich auf das rechte Ende der Bildbühne zubewegt. Nach ihrer Ankunft in Neapel arbeitete Artemisia unter dem Schutzschirm Stanziones, der sie zu Beginn ihres Aufenthalts in die südliche Hauptstadt einführte und ihr zur Gunst bedeutender Mäzene am spanischen Hof verhalf. Artemisia wiederum führte die Neapolitaner mit der „Lucretia“ an eine neue Motivik heran: Die Darstellung der römischen Edeldame in diagonaler Pose erinnert an Simon Vouets Komposition der „Lucretia“ in der Nationalgalerie Prag, und tatsächlich waren Artemisia und Stanzione mit Vouet befreundet. Spätestens im Jahr 1630 wurde Stanzione von den Neapolitanern ob seiner stilistischen Nähe zu Guido Reni auch „Guido partenopeo“ genannt; in der Tat verschmelzen bei seiner Version der „Lucretia“ – sie befindet sich heute im Museo Capodimonte – die spätcaravaggistischen Elemente eines Vouet, der damals in Italien weilte, mit den klassizistischen Zügen eines Reni. Artemisias Bild im Dorotheum ähnelt jenem Stanziones im Capodimonte sowohl in kompositorischer Hinsicht als auch in der Darstellung des prachtvollen Gewands der Lucretia.
Die Vorbilder
Zwischen 1635 und 1640, also wenige Jahre nach Artemisia, malte Stanzione eine weitere Version nach dem Vorbild ihrer „Lucretia“. Diese Arbeit für die Genueser Sammlung Durazzo Pallavicini war als Gegenstück seiner bereits erwähnten „Kleopatra“ konzipiert.
Von wem stammt nun die Idee zu dieser spezifischen Komposition des Sujets?
Wie so oft bei Arbeiten des römischen Barock dürfte der Ursprung in der antiken Bildhauerkunst zu finden sein. In der Gartenanlage der Villa Medici in Rom befand sich eine der berühmtesten Skulpturengruppen der „Niobiden“. Diese römische Nachbildung des griechischen Originals war seit dem späten Cinquecento den meisten italienischen Künstlern bekannt; sie wurde 1770 in die Uffizien von Florenz überführt. Auch die „Niobide Chiaramonti“ in den Vatikanischen Museen war im 17. Jahrhundert dank etlicher antiker Vorbilder weithin bekannt; sie diente Artemisia bei der Darstellung der „Lucretia“ ebenfalls als Inspirationsquelle. Ganz bestimmt trugen diese Skulpturen dazu bei, dass Vouet, Reni, Artemisia und Stanzione ihre Protagonistin in dramatisch geneigter Pose zeigten. Eine der Niobiden versucht sich vergebens gegen die Pfeile des Apoll zu schützen. Bei den hier beschriebenen Gemälden nimmt die römische Edeldame Lucretia ebendiese Pose ein. Allerdings war in Neapel um 1630 die Verwendung antiker Vorbilder unüblich. Artemisia fand bei ihrem Aufenthalt in der südlichen Hauptstadt wohl Anregungen bei Stanzione, brachte aber auch römische Einflüsse und ihre starke künstlerische Persönlichkeit ein. Lucretia darzustellen bedeutet bis heute, sich mit der Gewalt an Frauen und dem Triumph über die erlittene Pein auseinanderzusetzen. Wer wäre dazu eher berufen gewesen als Artemisia, deren kraftvolles Bild uns bis heute den Atem raubt!
AUKTION
Gemälde Alter Meister
23. Oktober 2018, 17.00 Uhr
Palais Dorotheum
Information:
Mark MacDonnell, Experte für Alte Meister im Dorotheum
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