Eigentlich wollte Pier Paolo Calzolari ja Geigenspieler werden. Ohne recht zu wissen, wie dies geschah, schlug er jedoch den Weg des Künstlers ein. Ähnlich willkürlich entwickelten sich seine Karriere und die Idee seiner Kunst als Transformation und Veränderung. Von der sich stets wandelnden Poesie zeugen zwei im Dorotheum zur Auktion kommende Werke.
„Beständigkeit ist kein Teil von mir – absolut nicht“ (Pier Paolo Calzolari)
1943 wird Pier Paolo Calzolari in Bologna geboren. Kindheit und Jugend verbringt er in der Lagunenstadt Venedig, taucht ein in ihre nicht greifbare Atmosphäre, das geheimnisvolle Licht, das Giorgione in seinen Gemälden eingefangen hat. Auf der Suche nach dem idealen Ort, seine künstlerische Ausdrucksfähigkeit und sein plastisches Vokabular weiterzuentwickeln, beginnt Calzolari 1965 durch die Welt zu reisen: Bologna, Paris, New York, Berlin, Mailand, Wien, Kreta, Marokko, …
Die unterschiedlichen künstlerischen Verfahren, die er sich aneignet – von Skulptur über Malerei bis Performance, Installation und Video –, erschweren die Einordnung seines Werkes. Wenngleich üblicherweise der Arte Povera zugerechnet, lässt sich der Künstler nicht in einen bestehenden Rahmen pressen. Zwar gilt seine Schrift „La Casa Ideale“ als eines der Schlüsselwerke jener Bewegung, der Germano Celant den Anstoß gibt. Tatsächlich jedoch kennt Calzolari keinen Vertreter der Arte Povera, ehe ihn der Turiner Galerist Gian Enzo Sperone, ein Förderer der Arte Povera, dafür gewinnen kann.
Wie viele Arte-Povera-Künstler verwendet auch Calzolari flüchtige, vergängliche, natürliche Materialien und schafft damit Werke, deren Poesie nicht ihrer endgültigen Form entspringt, sondern der Idee, die sie evozieren, dem Gefühl, aus dem sie sich speisen, der Empfindung, die sie auslösen, dem vergessenen Traum, den sie der Wirklichkeit wiedergeben. Die Objekte und Materialien, die er ab 1967 einsetzt – Feuer, Eis, Blei, Zinn, Filz, Salz, Tabak –, werden in seinen Assemblagen mit Leben erfüllt, nehmen symbolisch-evokative Bedeutung an und erscheinen als lebendige Protagonisten der Wirklichkeit.
Dass Calzolari diese Materialen für seine Suche nach dem Absoluten heranzieht, zeigt deutlich sein Konzept von Kunst als unaufhörliche Transformation und Veränderung. Die Bedeutung des Bestehenden im Wechselspiel mit zufälligen Ereignissen bestimmt das Werk des Künstlers. „Beständigkeit ist kein Teil von mir – absolut nicht“, betont er. Tatsächlich zeugen seine Werke auch von steter Bewegung und kontinuierlicher Veränderung. Die Poesie und die formale Eleganz seiner Schöpfungen, die ihnen zugrunde liegende gedanklicheFeinheit und die Schönheit seiner Lösungen, die aus der Wertschätzung der intrinsischen Qualität der Materialen resultiert, machen Calzolari zu einer Schlüsselgestalt der italienischen gleichwie der internationalen Kunst der späten 1960er-Jahre, der Arte Povera und der Konzeptkunst ebenso nahe wie dem amerikanischen Minimalismus oder den künstlerischen Entwürfen eines Joseph Beuys.
Der Wert von Calzolaris Œuvre steigt stetig und sein Name nimmt bei Auktionen für italienische Kunst weltweit einen besonderen Platz ein. Dennoch, so Calzolari, habe er ein schwieriges Verhältnis zu seinen Werken und öfters versucht, diese zurückzukaufen, als sie zu verkaufen. Was, meint er, wird von seinem Schaffen bleiben? „Ich hoffe, die Neugierde, die Stille, ein emotionales Flüstern. Irgendetwas wird überdauern … noch ist es zu früh, um das sagen zu können.“
Im November 2016 gelangen zwei sehr schöne Beispiele für Calzolaris Poesie im Dorotheum zur Auktion: Bei einem Werk aus dem Jahr 1970 bringt das flackernde Licht einer Kerze die gekräuselte Bleioberfläche zum Leuchten und lässt sie dramatisch, geheimnisvoll und faszinierend erscheinen. Für das zweite, entstanden 1974, verwendete er schlohweißen Filz mit starker Oberflächenstruktur; in der Mitte bilden eingebrannte Buchstaben den Schriftzug „Agua silente“ (stilles Wasser).
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