50 Jahre 1968:
„Kunst und Revolution“ in Österreich kulminierte in der vom Boulevard als „Uni-Ferkelei“ titulierten Hörsaalaktion einer Künstlergruppe an der Wiener Universität. Zum gesellschaftlichen Befreiungsschlag holten auch Künstlerinnen aus, ebenfalls mit größtem Körpereinsatz. Ein Rückblick zum Jubiläum.
von Doris Krumpl
Der Körper als Kunstmedium
Weitpinkelwettbewerb oder Fleischknödelwurf gegen das Establishment. Einen Mann – zu damaligen Zeiten in Österreich per Gesetz das Familienoberhaupt – wie einen Hund an der Leine Gassi führen. Und das im Namen der Kunst. Während sich in Paris oder Berlin die 1968er-Rebellion in Straßenschlachten entlud, trat der Aufstand in Österreich poetisch bis chaotisch fast allein in der Kunst auf.
Kunst und Revolution“ nannte sich der folgenschwere Vortragsabend an der Wiener Uni, der in eine veritable Aktion ausartete und die Aktionisten zu Staatsfeinden machte. Haftstrafen inklusive. Jener Abend des 7. Juni 1968 markierte mit dem folgenden Exil von Oswald Wiener und Günter Brus den Endpunkt des Wiener Aktionismus, der den Körper als Medium bis zur „Zerreißprobe“ einsetzte. Rückblickend war es die einzige wirklich relevante Kunstrichtung Österreichs im 20. Jahrhundert, auf die sich noch Dekaden später renommierte Westcoast-Künstler wie Mike Kelley oder Paul McCarthy berufen sollten.
„Uni – Ferkelei“
Was geschah damals im Hörsaal? Peter Weibel und Oswald Wiener deklamierten kunsttheoretische Reden, während der nackte Günter Brus unter anderem beim Absingen der österreichischen Bundeshymne sämtliche Körpersäfte auf Katheter und Staatsflagge entlud und sich mit Exkrementen beschmierte, Otto Muehl nackte Kommilitonen weitpinkeln ließ und die Ergebnisse auf der Tafel notierte. Die vom Boulevard als „Uni-Ferkelei“ titulierte Aktion gilt als österreichische „heiße Viertelstunde“ des gesellschaftlichen Befreiungsschlages. Hintergründe und Auslöser gab es genug:
Aufstand gegen die Vätergeneration und den Muff der Institutionen. Das Trauma des Weltkrieges und die Verdrängung der NS-Zeit. Sigmund Freud und die Psychoanalyse, die Befreiung durch Sexualität. Aufbegehren gegen die „Veredelung“ (Brus) des Körpers durch die Nationalsozialisten.
Zerreißprobe
Günter Brus, der später bis zur „Zerreißprobe“ seiner selbst ging, hatte bereits 1965 mit seinem „Wiener Spaziergang“ Furore gemacht: Komplett weiß bepinselt und mit einem schwarzen Strich ab dem Scheitel geteilt, war er durch die Wiener Innenstadt gegangen. Damals ein Skandal.
Ebenso wie das durch die Polizei aufgelöste „Zock-Fest“ 1967, an dem unter anderen Hermann Nitsch beteiligt war und Oswald Wiener als GARTH „mit extra Fleischkraft“ gezielt Fleischknödel ins Publikum warf.
1968 in Österreich: Das hieß auch künstlerischer Aufstand gegen die „Wichtelordnung“ der bürgerlichen Familie. VALIE EXPORT posierte in ihrer „Aktionshose Genitalpanik“ mit offenem Schritt und MP in der Hand, demonstrierte die Souveränität der Frauen. Sie ließ durch das über den Körper gestülpte „Tapp und Tastkino“ Passanten ihre Brüste berühren, führte Peter Weibel an der Leine durch die Straßen.
Die Spätfolgen sind bis heute nicht abzusehen.
Bild oben:
Dokumentiert nur auf Fotos: Gelatinsilber-Abzug aus der Mappe „Aktionen 1966-68“ von Otto Muehl. Im Dorotheum versteigert für € 7.500.