Porträts aus dem 16. Jahrhundert gewähren Einblick in den gesellschaftlichen, politischen und sozialen Wandel ihrer Zeit.
Am 21. April 2015 kommen bei der Auktion Alte Meister im Dorotheum unter anderem zwei bedeutende Porträts aus dem 16. Jahrhundert zur Versteigerung: das „Porträt eines Herrn in einem Mantel mit Pelzbesatz“ von Prospero Fontana (Bologna 1512 – 1597) und das „Bildnis der Lavinia della Rovere (?)“ von Federico Barocci (Urbino 1535 – 1612). Die Werke stammen aus Norditalien und zeigen deutlich die Einflüsse der Zeit, in der sie entstanden sind.
Kunst spiegelt die Gesellschaft wider, und die Porträtmalerei gewährt im Allgemeinen einen besonders guten Einblick in das menschliche Leben. Tatsächlich sind Porträts aber mehr als bloß Spiegel – vielmehr erfüllen sie als komplexe Konstruktionen zur Präsentation der Identität des Dargestellten eine ganze Reihe von Funktionen. Sie dienen der Machtdemonstration, sind Statussymbol und Abbild der Gesellschaft in einem bestimmten historischen Moment.
Die beiden Porträts stammen aus Städten mit unterschiedlicher Geschichte und künstlerischer Tradition: Das eine entstand in Bologna, der zweiten Stadt im Kirchenstaat, das andere im Herzogtum Urbino, einem souveränen Staat im damaligen Norditalien. Auf beide Zentren übte der Papst starken Einfluss aus, war er doch bestrebt, sein Hoheitsgebiet auf die italienischen Stadtstaaten auszudehnen und den aufkeimenden Protestantismus mittels der Gegenreformation zurückzudrängen. Der politische Alltag zeigte sich zudem vom Ringen Frankreichs und Spaniens um die Kontrolle über italienische Gebiete geprägt. Es waren Zeiten großer Verunsicherung, in denen die italienische Gesellschaft ihre Identität behaupten wollte.
Bologna war im 16. Jahrhundert eine bedeutende Stadt: Nicht nur, dass 1530 Karl V. hier zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde, diente Bologna auch als einer der beiden Tagungsorte des Konzils von Trient (1545 – 1563), eines der wichtigsten Konzile der römisch-katholischen Kirche, das den Grundstein für die Gegenreformation legte.
Das Konzil verurteilte die „ketzerischen“ protestantischen Lehren, erließ Dekrete über die Doktrin der römisch-katholischen Kirche und definierte auch die Aufgaben der bildenden Kunst. In seinen Richtlinien „De imaginibus sacris, et profanis“ von 1582 maß Gabriele Paleotti, Kardinal und Erzbischof von Bologna, der Kunst und der Position des Künstlers eine wichtige Position in der gegenreformatorischen Kirche bei: Von der Kirche geleitet, sollte der Künstler die katholischen Richtlinien in Moral und künstlerischer Gestaltung hochhalten. Paleotti lehnte die Exzesse des Manierismus entschieden ab und befürwortete ausdrücklich einen naturalistischen Stil.
Bei dem „Porträt eines Herrn in einem Mantel mit Pelzbesatz“ von Prospero Fontana handelt es sich, wie die Kunsthistorikerin Vera Fortunati belegt, um ein herausragendes Werk der Porträtmalerei in der frühen Phase der Gegenreformation. Anschaulich illustriert es die neuen künstlerischen Auffassungen und die aufkeimende Vorliebe für naturalistische Kunst, die in Kardinal Paleottis Schriftwerk zum Ausdruck kommt. Der Porträtierte zeigt sich in einer Rolle, die seinem gesellschaftlichen Status entspricht; neu sind aber vor allem die verblüffende Eindringlichkeit und Natürlichkeit. Prospero Fontana bekennt sich zu einer neuen Form der „Authentizität“ in der bildenden Kunst. Die durch präzise stilistische Eingriffe erzielte Natürlichkeit im Ausdruck entspricht ganz den Prämissen des Bologneser Kardinals. Der optische Eindruck von Natürlichkeit stand im Widerspruch zum Manierismus der etablierten zeitgenössischen Malerei und sollte prägend für die jungen Carracci sein, die schon bald darauf die italienische Malerei revolutionierten.
Wie Prospero Fontanas Gemälde, so spiegelt auch Federico Baroccis „Bildnis der Lavinia della Rovere (?)“ das aufkeimende Verlangen nach naturalistischen Bildern im Einklang mit der Einfachheit und Wahrheitssuche wider, wie sie die katholische Lehre forderte. Einer jüngst durchgeführten Untersuchung an dem Gemälde nach veränderte der Künstler ein Detail an der Pupille des rechten Auges nachträglich, um ein ebenso besonderes wie charmantes Merkmal des Mädchens hervorzuheben: Es wirkt, als würde das Mädchen schielen und als hätte der Künstler ganz bewusst ein verklärendes höfisches Porträt in ein realistisches umgearbeitet, um die Porträtierte in all ihrer Unvollkommenheit ungekünstelt und ehrlich zu zeigen. So etwas hatte es in der Porträtmalerei bis dahin nicht gegeben. Das Bildnis gibt die für das Jugendalter typische Mischung von Melancholie und Staunen wider und schenkt dabei dem leichten Schielen im rechten Auge des Mädchens liebevolle Beachtung.
Barocci war ein äußerst kultivierter, feinfühliger Künstler mit einer eigenen Vorstellung von finitura, Vollendung. Bei manchen seiner Gemälde – darunter auch einige seiner größten, anspruchsvollsten Werke – wechseln sich bis ins kleinste Detail ausgearbeitete und rein schematisch angedeutete Bereiche ab. Das vorliegende Gemälde, so könnte man meinen, wurde in seinen Grundzügen fertiggestellt. Es lässt ganz bewusst die weiche, pastellartige Öltechnik erkennen, wie sie für Baroccis Arbeiten ab den 1560er-Jahren typisch ist, aus denen auch das vorliegende Porträt stammt. Barocci war einer der führenden italienischen Maler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und hatte größeren Einfluss auf die damalige Kunst als seine Zeitgenossen. Er zählte den Papst, Kaiser Rudolf II., den spanischen König und den Großherzog der Toskana zu seinen Förderern.
Eine neue historische Epoche war angebrochen, und das spiegelte sich nicht zuletzt in der Kunstproduktion und in neuen stilistischen Einflüssen wider.
Mark MacDonnell ist Experte für Alte Meister im Dorotheum.
(Dieser Artikel erschien im myART MAGAZINE Nr. 05/2015)