Mona Lisa auf Schokolade: Tano Festa war neben Mario Schifano einer der bedeutendsten Protagonisten der römischen Szene der 1960er- und 1970er-Jahre, der
„Scuola di Piazza del Popolo“.
Er übersetzte unteranderem die Pop und Op Art ins Italienische,
entzauberte Gegenstände und nahm sich sogar den Himmel vor.
VON MARIA CRISTINA CORSINI
„Mit einer Unbekümmertheit und Autorität, die für einen jungen Maler bei seiner ersten Einzelausstellung wahrlich erstaunlich sind, fügt sich Tano Festa in jene bedeutende kleine Gruppe italienischer und internationaler Maler ein, die am Schnittpunkt zwischen neo-dadaistischen, neo-geometrischen und neorealistischen Strömungen wirken.“ Das schreibt Cesare Vivaldi im Vorwort zum Katalog der ersten Einzelausstellung Tano Festas, die im Mai 1961 in Gian Tomaso Liveranis Galerie La Salita stattfindet.
Die Ausstellung zeigt Werke, deren oftmals monochrome und von leichten Kräuselungen durchzogene rote und schwarze Oberflächen von Rechtecken aus bemaltem Holz unterteilt sind. Sie erinnern gleichermaßen an Mondrian wie an die Strenge und die typisch amerikanische Spiritualität von Barnett Newman und Ellsworth Kelly.
Zwischen 1963 und 1965 widmen Tano Festa bedeutende Galerien Ausstellungen: im März 1963 die Mailänder Galleria Schwarz (sie präsentiert 1966 eine weitere Einzelschau von Festa); im Mai die Galleria La Tartaruga von Plinio De Martiis in Rom (die nach ihrem Umzug auf die Piazza del Popolo der Gruppe der jungen römischen Pop-Artists ihren Namen geben wird); und in Paris stellt Festa in der Galerie J aus.
Um das Jahr 1963 geht der Künstler von den monochromen, durch reliefartige, senkrechte Linien durchzogenen Bildern zu Gegenständen über, die seiner Malerei lediglich als Untergrund dienen. Schränke, Spiegel, Türen und Fenster, aber auch Klaviere, Obelisken und Grabsteine werden von Festa vielmehr „geschaffen“ denn gefunden. „Hätte ich gefundene Gegenstände (alte Türen, Fenster etc.) verwendet, dann hätten diese – wiewohl ihrer eigentlichen Funktion entledigt – ihren Gebrauchssinn und ihre eigene Geschichtlichkeit durch ihre persönliche und private Benutzung bewahrt (…). Daher sind meine Fensterläden, meine Türen und die anderen Gegenstände vollkommen nutzlos, denn sie sind so gebaut, dass sie niemals funktionieren können. (…) Mein Klavier besitzt Tasten aus Holz, die nicht gedrückt werden können, die Spiegel reflektieren kein Bild, die Schränke sind leer und durch die Fenster scheint kein Licht.“
In einem berühmten Brief, den Festa 1966 an Arturo Schwarz schreibt, erklärt der Künstler, dass er sich zwei Jahre lang „durch die Gegenstände“ ausgedrückt und „die Malerei nur genutzt habe, um sie anzustreichen“. Er erzählt ferner, wie ihn diese Besessenheit überkam, als er auf einem Spaziergang durch eine römische Gasse im Schaufenster einer Buchhandlung eine Replik des berühmten Gemäldes „Die Arnolfini-Hochzeit“ von van Eyck sah:
Nicht die Figuren hätten ihn angesprochen, sondern der große Kronleuchter in der Mitte des Gemäldes, der für Festa die Unabwendbarkeit und die Vergänglichkeit menschlicher Existenz symbolisiert. Dieser Gegenstand wird die Eheleute überleben und ist fortan zentrales Objekt seiner Besessenheit.
Um 1964 und in den Folgejahren verlegt sich Festa immer mehr auf die ikonografische Erzählung, die in vielerlei Hinsicht Gemeinsamkeiten mit der jungen amerikanischen Pop Art aufweist. „1964 habe ich eine Reihe von Gemälden zu Michelangelo gemacht (…). Als diese Michelangeli entstanden sind – wobei ich übrigens nie die Sixtinische Kapelle besucht habe –, waren Rom als Stadt und die hier konsumierte Art von Malerei für mich sehr prägend. (…) Einen Michelangelo zu malen ist für mich wie für einen Amerikaner eine Coca-Cola zu malen, denn wir leben in einem Land, in dem man statt Essen aus der Dose die Mona Lisa auf einer Pralinenverpackung konsumiert.“ (Interview mit Tano Festa, Giorgio De Marchis, April 1967)
„Einen Michelangelo zu malen ist für mich wie für einen Amerikaner eine Coca-Cola zu malen, denn wir leben in einem Land, in dem man statt Essen aus der Dose die Mona Lisa auf einer Pralinenverpackung konsumiert.“
TANO FESTA
Festa reproduziert diese michelangelesken Elemente (ein Detail aus dem „Jüngsten Gericht“, die Allegorie der „Nacht“ der Medici-Kapelle etc.) in schematisch-mechanischer Weise, indem er sie mithilfe von Fototechniken oder alleine aus dem Gedächtnis nachbildet.
Die Beobachtung und die Bearbeitung von Gegenständen im Raum verschiebt sich ins Freie und wird zur Beobachtung von externen Gegenständen in Museen und auf Plätzen – bis hin zur kompletten Erweiterung um Großräume und schließlich um die Dimension des Himmels.
Ab 1965 steht der Himmel – etwa über New York – im Zentrum einer Gemäldeserie. „Cielo meccanico“ („Mechanischer Himmel“) und „Le dimensioni del Cielo“ („Die Dimensionen des Himmels“) sind „keine impressionistischen Geistesprodukte, sondern statische Diagramme der Natur. An den blauen Himmel wird aus dem zwingenden Drang, alles zu vermessen, der Zollstab angelegt, ist doch auch der Himmel ein Produkt des Menschen.“ (Maurizio Fagiolo dell’Arco, 1966)
In den Himmel werden Fensterläden, Türen und skurrile Ansammlungen von Kugeln eingefügt, die der Künstler mit der, während seines New-York-Besuchs in den 1960er-Jahren angesagten, optischen Kunst assoziiert.
Maria Cristina Corsini ist Expertin für Zeitgenössische Kunst und Klassische Moderne im Dorotheum.