Lucio Fontana: Dritte Dimension

Raumschaffend – Bildgebend

Lucio Fontanas Werk zielt auf die Verschmelzung von Architektur, Malerei und Skulptur ab.
Auf der Suche nach einer neuen Raumkunst, welche die Zweidimensionalität der Bildfläche überwindet, erweist er sich als einer der wegweisenden Künstler des 20. Jahrhunderts. Zwei raumgreifende Arbeiten von Fontana sind in der Auktion Zeitgenössische Kunst im Mai vertreten.

 

Lucio Fontana, Concetto Spaziale, Attesa, 1964/65, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 46 x 38 cm, Schätzwert: € 480.000 – 650.000

 

Lucio Fontana, Concetto Spaziale, Attesa, 1968, Dispersionsfarbe auf Leinwand, 55 x 46 cm Schätzwert € 400.000 – 600.000

Ein Künstler mit Schneid

Im Jahr 1949 entstehen die ersten perforierten Leinwände von Lucio Fontana; rund ein Jahrzehnt später beginnt der Künstler mit seinen berühmten Schnitten in die Leinwand: brachialen Eingriffen mittels scharfer Messerschnitte in die meist monochrom bemalte Fläche.

„Erst einmal würde ich nicht von ,Bildern‘ sprechen“, so Lucio Fontana in einem Interview mit Daniela Palazzoli 1967. „Schon meine Arbeiten von ’46 habe ich nie als solche bezeichnet, sondern sie von Anfang an ,Concetti Spaziali‘ (Raumkonzepte) genannt, weil für mich die Malerei ganz und gar in der Idee liegt. Die Leinwand diente mir damals und dient mir noch heute dazu, eine Idee zu dokumentieren. Was ich jetzt mache, sind Variationen meiner beiden grundlegenden Konzepte: des Lochs und des Schnittes. In einer Zeit, da die Menschen von ,Ebenen‘ sprachen – der Ebene der Oberfläche, jener der Tiefe etc. –, war mein Durchlöchern ein radikaler Gestus, der den Raum des Bildes durchbrach und zum Ausdruck brachte: Jetzt sind wir frei zu tun, was wir wollen. Der Raum des Bildes lässt sich nicht in den Grenzen der Leinwand einschließen, sondern muss auf den umgebenden Raum aus- gedehnt werden.“

Die Dimensionen Verschwimmen

Lucio Fontana
Ambiente spaziale con neon, 1967
rötlich-violette Neonröhre Foto: Stedelijk Museum, Amsterdam

Fontanas genialer Akt zielt darauf ab, den realen und den imaginierten Raum zu vereinen. Seine Schnitte sind unmittelbar, präzise wie bei einem chirurgischen Eingriff, von Schnelligkeit und manuellem Geschick geprägt. Vor der Schlitzung war die Bildfläche ein leerer, unmarkierter Raum, dessen Reinheit die Unverfrorenheit des Schnittes noch verstärkt. Er überführt die Bildflächen in eine neue Räumlichkeit, indem er in die Materie der geschlossenen Form eindringt. Das Durchdringen der Bildflächen macht den Stoff, das Körperhafte der Leinwand sinnlich erfahrbar, während das Licht in der Tiefe des Spalts verschwindet und sich hinter dem Bild ein neuer Raum öffnet, der die Imagination der Betrachtenden herausfordert. Die Doppel- natur der Bildfläche tritt dadurch deutlich zum Vorschein: Sie ist zugleich materieller Träger und immaterieller Erscheinungsort eines Abwesenden. Bezeichnenderweise etabliert Fontana die Dialektik zwischen Materialität und Immaterialität, indem er im selben Zuge sowohl den Illusionismus der traditionellen Malerei als auch den flachen Bildträger als das Kennzeichen der Moderne überwindet.

„Der Raum des Bildes kann nicht in den Grenzen der Leinwand eingeschlossen, sondern muss auf den ganzen umgebenden Raum ausgedehnt werden.“ – Lucio Fontana

Lucio Fontana in his studio, Milan, 1965 © Archivio Ugo Mulas

Die Unermesslichkeit des Raums

Die vorliegenden Arbeiten aus den Jahren 1964/65 und 1968 kennzeichnen die eindringliche und klare Qualität der späten Werke. Setzte Fontana seine ersten Schnitte meist orthogonal, in rhythmischen Folgen und auf polygene Bildfelder, so reduziert er die Ausführung hier auf einen nahezu senkrechten Einzelschnitt in der Mittel- achse rechteckiger Bildfächen. Die leuchtenden Farbtöne – sowohl das strahlend grelle Pink als auch das satte Grün – weisen dabei erstaunliche Parallelen zu den weniger bekannten, aber äußerst visionären Environments des Künstlers auf, in denen er mit Leuchtstoffröhren, Neon- und UV-Licht experimentiert, um den Raum und seine Wahrnehmung zu modi zieren. Beispielhaft daf̈ür steht „Ambiente spaziale con neon“ – eine Rauminstallation, die Fontana 1967 im Stedelijk Museum in Amsterdam und später im Van Abbe Museum Eindhoven, den europäischen Stationen seiner großen Wanderausstellung des Museum of Modern Art New York, realisiert. Eine in S-Form gebogene rote Neonröhre durchzieht einen gänzlich mit rotem Stoff ausgekleideten Raum. Für „Fonti di energia, soffitto al neon per ,Italia 61‘“ wiederum installiert er 1961 in Turin blaue und grüne Neonrö̈hren unter einem hohen schwarzen Himmel, die den Raum auf zahlreichen Ebenen horizontal durchschneiden. Wie bei den Schnitten streben die Environments nach der Einheit der Wahrnehmung, während sich im Zusammenspiel von Farbe und Licht sowie Linie und Körper zugleich die Unermesslichkeit des Raums eröffnet.

AUKTION

Zeitgenössische Kunst I
16. Mai 2018, 18 Uhr
Palais Dorotheum Wien

Information:

Patricia Pálffy und Alessandro Rizzi, Experten für Zeitgenössische Kunst

Foto oben:

Lucio Fontana, Fonti di energia, soffitto al neon per “Italia 61”, Turin, 1961/2017
Installationsansicht Pirelli HangarBicocca, Mailand, 2017
Courtesy Pirelli HangarBicocca, Milan
© Fondazione Lucio Fontana, Foto: Agostino Osio

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