MADONNA MIT KIND
Zwischen heiligem Ideal und realistischer Darstellung
Ein außergewöhnliches Gemälde mit hervorragender Provenienz erregt bei der Auktion Alte Meister am 22. Oktober 2019 besonderes Interesse: Stil, Bildthema, Komposition und technische Meisterschaft zeugen von großer Nähe zum religiösen Kunstschaffen des bedeutenden Renaissance-Meisters Raffael.
Das neu entdeckte Gemälde einer „Madonna mit Kind“ befand sich über Generationen in einer aristokratischen Sammlung und war einst im Besitz der Schweizer Adeligen und Künstlerin Adèle d’Affry (1836–1879). Die Bildhauerin, Malerin und Schriftstellerin wählte den Namen „Marcello“ als Pseudonym für ihr Ausstellungs- debüt im Pariser Salon von 1863, um ihre tatsächliche Identität während der Regierungszeit Kaiser Napoleons III. nicht preiszugeben. Adèle war mit Carlo Colonna verheiratet, Duca di Castiglione (1829–1856), dem Sohn von Apsreno Colonna, XII. Principe di Paliano (1787–1847). Auf einem ihrer eigenen Bilder, das einen Raum ihrer Wohnung zeigt, kann man das Madonnen-Gemälde in einem Rahmen aus dem 19. Jahrhundert erkennen (siehe Abb.1)
Das angebotene Gemälde selbst ist von höchster Qualität. Es zeigt die Gottesmutter mit dem Jesuskind, das auf ihrem Schoß steht, sich mit dem linken Arm auf der Mutter abstützt, während die rechte Hand ihren Zeigefinger umklammert. Im Hintergrund weitet sich die Landschaft, Berge, ein Fluss und Gebäude sind zu erkennen. Die Darstellung der Madonna mit dem Jesuskind vor einer Landschaft entspricht ganz dem ikonografischen Kanon, den Perugino etabliert und Raffael zur Präzision geführt hat: Mutter und Kind werden in ihrer Einzigartigkeit gezeigt, die Präsentation vereint heilige Idealisierung mit realistischer Wiedergabe.
Experten haben die Entstehung des Bildes in der Zeit um 1504 bestätigt. Das Gemälde wird als in seiner künstlerischen Qualität hochstehende Version einer Raffael-Komposition und als Werk von größtem Interesse angesehen.
Technische Untersuchungen mit Infrarot-Reflektografie zeigen, dass die auf der grundierten Oberfläche der Holztafel mit sicherer Hand ausgeführte Unterzeichnung eine künstlerische und technische Qualität hat, die mit jener von Raffaels frühestem Zeichenstil vergleichbar ist.
Die Komposition des Gemäldes weist zahlreiche Gemeinsamkeiten mit anderen „Madonna mit Kind“-Darstellungen auf, insbesondere mit der „Madonna von Northbrook“ im Worcester Art Museum, Massachusetts, die bis vor kurzem als Werk Raffaels galt. Überlegungen zufolge könnte das Dorotheum-Gemälde sogar der fehlende Prototyp für eine ganze Reihe ähnlicher Darstellungen sein.
Zeichnerisches Können und technisches Raffinement, zahlreiche bemerkenswerte Details und die technische Analyse belegen die Nähe zum Werk des jungen Raffael. Nach umfassender Forschung und der Zusammenarbeit mit internationalen Fachleuten ist der Bildautor als „Associate to Raphael“ und im engsten Umkreis Raffaels zu sehen.
Über das frühe Werk Raffaels ist wenig bekannt, Zuschreibungen für Arbeiten aus dieser Zeit sind Gegenstand fortdauernder kunsthistorischer Debatten. Zuschreibungen undokumentierter Werke können nur auf Meinungen basieren, die sich auch ändern können. Die Möglichkeit einer Beteiligung des jungen Raffael an einem Gemälde von so hohem Rang und in so eindrucksvoller Ausführung kann nicht ausgeschlossen werden.
Außer Frage steht, dass es sich bei der „Madonna mit Kind“ um ein Kunstwerk von besonderer Qualität handelt.
INFORMATIONEN zur AUKTION
Auktionsdatum: Alte Meister Auktion 22. Oktober 2019, 17:00 Uhr
Auktionsort: Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
Ausstellung: 12. Oktober 2019 – 22. Oktober 2019
Kontakt: Mark MacDonnell, Experte für Alte Meister im Dorotheum