Antoni Tàpies: Brutal Poetisch

Zerstörung und Schönheit, Politik und Poesie sind keine Gegensätze in der Kunst des Katalanen Antoni Tàpies. Seine tonigen Bildobjekte gehen stark vom Material aus und verbinden Historisches mit Alltäglichem.

Antoni Tàpies in seinem Atelier in Barcelona, 2002, Foto: Teresa Tápies Domènech, Wikimedia Commons

 Seine Werke muten eher wie archäologische Artefakte denn klassische Kunstwerke an. Und auch der Künstler selbst wirkt mehr wie ein Wissenschaftler und Forschender: Antoni Tàpies (1923–2012), der durch etliche Biennale-Venedig- und documenta-Teilnahmen bekannteste und wohl auch bedeutendste Künstler Spaniens der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Arbeiten kommen roh, brutal daher und gleichzeitig hochpoetisch. Angesiedelt zwischen Arte Povera und Informel, aber keinem von beiden wirklich zugehörig. Vielmehr fügt Tàpies auf Bildträgern wie Holz oder Leinwand Spuren von Alltagsgegenständen ein und setzt Schriftzeichen wie Graffiti. Bildobjekte entstehen durch das Auftragen und Abkratzen dicker Farbschichten, die immer wieder überlagert und bearbeitet werden, sich als zentimeterdicke Reliefs aus Sand, Erde, Mineralien, Zement oder Papier manifestieren. Tàpies durchspielt mit den Jahren in einem unerschöpflichen Variantenreichtum einen festen Motiv- und Materialkanon. Oft taucht das Symbol des Kreuzes auf, des Bettes, oft sind es die Buchstaben A und T.

Ein großes T prangt auch auf dem 1991 entstandenen quadratischen Großformat „Schlange in einem Quadrat“, das in der Dorotheum-Auktion Zeitgenössische Kunst angeboten wird. Tàpies hat als zentrales Motiv dafür die zum Kreis zusammengerollte Schlange gewählt, zumindest den vermutlichen Kordelabdruck eines Behältnisses so bezeichnet. Könnte man das Bild auch als Symbol für gebanntes Unheil sehen? Ja und nein … Aber genau diese Offenheit in der Interpretation charakterisiert Tàpies, der Materialien wie Strandgut der Vergangenheit in seine Kunst einverleibt.

Antoni Tàpies
Schlange im Quadrat, 1991
Mischtechnik auf Holz, 151 x 150,5 cm
Schätzwert € 160.000 – 220.000

Tàpies beschreibt diesen Vorgang so: „Wie ein Forscher in seinem Labor bin ich der erste Betrachter der Anregungen, die mir die Materialien geben. Ich setze ihre Ausdrucksmöglichkeiten frei, auch wenn ich noch keine klare Vorstellung von dem habe, was ich tun werde. Im Lauf meiner Arbeit formuliere ich meine Gedanken, und aus dem Kampf zwischen dem, was ich will, und der Realität des Materials – aus dieser Spannung – entsteht ein Gleichgewicht.“

Politisches prägt Tàpies’ Arbeit wesentlich mit. 1923 in Barcelona geboren, muss er noch den Spanischen Bürgerkrieg erleben, dem fast 40 Jahre Franco-Diktatur folgen. Als Zeitzeuge ritzt er seiner Kunst viel aktuelle Politik, Geschichtliches und Geschichten ein, aber auch das ganz Alltägliche.

Information: Alessandro Rizzi, Experte für Moderne und Zeitgenössische Kunst

AUKTION

Zeitgenössische Kunst I , 1. Juni 2022, 17 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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