Marina Hoermanseder: MORE IS MORE

Lackleder und Fetisch, Stoffbärlis und Kitsch: Die in Berlin ansässige Modedesignerin Marina Hoermanseder, eine bekennende Maximalistin, findet Gegensätze im wahrsten Wortsinn anziehend. Auch beim Sammeln.

Text: Doris Krumpl | Fotos und Collagen: Klara Johanna Michel

Berlin, Skalitzer Straße. An dieser Hauptschlagader Kreuzbergs, zwischen Spätis, Dönerbuden und Shisha-Bars, findet sich hinter dem vollgesprayten Holzportal eines Gründerzeitbaus eine zeitgenössische Spielart der Villa Kunterbunt. Nichts deutet freilich darauf hin, wenn man im Hinterhof-Stiegenhaus vor einer nüchternen Tür mit dem dezenten Schriftzug „HOERMANSEDER“ steht. Dahinter dann aber der Wow-Effekt – eine durchaus geordnete Explosion an Farben, Stoffen, Lackleder sowie Pastell-Plüschbären, mittendrin das „mh“-Logo als Neonlampe. Unter von der Decke hängenden „Vasen“- und „Torso“-Kleiderskulpturen aus Lackleder, teils mit Lego beklebt, sitzen Atelier-Mitarbeiterinnen, über hautfarbene Stoffe gebeugt, und applizieren mikrokleine Swarovski-Steinchen.

In dieses kraftstrotzende Imperium schneit nun Marina herein, im Schlepptau ihr Hund Taco. Sie trägt Hoermanseder: einen kurzen schwarzen Ballonrock, dazu ein asymmetrisches ärmelloses Top. Auf einem der Träger prangt, selbstverständlich, das Markenzeichen jedes ihrer Designs: die Schnalle.

Marina Hoermanseder mit einer Handvoll Erwerbungen aus dem Dorotheum. Die außereuropäische Tasche ganz links, aus dem 19. Jahrhundert, hängt in ihrer Berliner Wohnung hinter Glas
Marina Hoermanseder mit einer Handvoll Erwerbungen aus dem Dorotheum.

Dorotheum myARTMAGAZINE: Bei Hoermanseder heißt es oft: „Ah, die mit den Schnallen!“ Das ist zwar das Signature Piece, aber deine Mode ist ja weitaus mehr. Stört es dich, dass man deine Arbeit darauf reduziert?

Marina Hoermanseder: Nein, denn das ist tatsächlich so seit meiner Diplomkollektion, bei der ich von der Orthopädie ausgegangen bin. Die Schnalle nimmt mir die Angst vor dem weißen Blatt Papier, sie ist mein absoluter Rettungsanker, weil ich sie über- all einsetze. Ich musste mich nie hinsetzen und überlegen: „Ach, wovon lasse ich mich jetzt inspirieren?“, und ich bin nicht so, dass ich spazieren gehe. Ich brauche Objekte zur Inspiration!

Die da etwa wären?

Das menschliche Gehirn oder das orthopädische Korsett oder das Buch „Max und Moritz“. Ich habe bei jeder Kollektion spezielle Objekte, die ich als Referenzen einbauen kann. Egal, wovon ich mich inspirieren lasse: Ich kann es mit der Schnalle zuzurren!

Schnittstelle von Mode, Design und Kunst: Marina in ihrem typischen Strap-Lederrock im Kreuzberger Atelier, umgeben von Torsi, Modellen, Vasenkleidern und der fleischfarbenen „Venus“

Dieser Wiedererkennungswert hat dir vermutlich auch Tür und Tor für deine unzähligen Kooperationen und Lizenzen geöffnet. Darin bist du ja Meisterin.

Karl Lagerfeld hat gesagt, ein Label brauche zwei Dinge, um erfolg- reich zu sein: ein gutes Logo und ein Alleinstellungsmerkmal. Das heißt für einen Brand: Wenn du ihn sofort erkennst, dann hat er es geschafft. Es freut mich, dass ich bei Rihanna und Co. präsent bin, aber auch dass quasi jede Frau Produkte von mir auch für zwei Euro auf der Straße tragen kann.

Letzteres hat auch Kritik eingebracht …

Ja, dass das quasi nicht künstlerisch genug sei im Anspruch. Aber man muss halt irgendwann entscheiden, ob man allein in seinem Atelier herumwerkt oder ein Unternehmen daraus macht mit Mitarbeitern und Verantwortung. Ich mache das, was ich will, und nicht, was gekauft werden muss, was gefallen muss. Und das ist für mich die Stufe, die der Künstler erreichen möchte – dass er das kreiert, was er möchte.

War der – zum Beispiel für Amerikaner etwas sperrige – Brandname immer klar?

Es ging alles so schnell am Anfang, dass ich mir nicht viele Gedanken darüber gemacht habe. Eine Zeitlang habe ich bereut, dass der Brand so sehr mit meinem Namen und mir als Person verwoben ist – ich kann ihn quasi nie als eigenständig darstellen.

Du bist mit deiner massiven Präsenz im Netz und auf Social Media in gewisser Weise auch Influencerin.

Spätestens da habe ich verstanden, dass es funktioniert. Dass es eben nicht ein gesichtsloses Branding ist, sondern emotional aufgeladen werden kann mit einer Person, ist heute so wichtig – früher war es das weniger. Aber heute musst du einen Brand, eine Geschichte mit Emotionen aufladen. Das schaffen wir Menschen halt am besten mit uns selbst, mit einem Menschen, mit dem man sich identifizieren kann.

Es gibt bei dir sowohl online Kleiderkollektionen von der Stange als auch im Showroom in Los Angeles Starkollektionen für Rihanna, Lady Gaga, FKA Twigs und wie sie alle heißen.

Bei Letzteren bin ich Vollblutkünstlerin. Da geht es nicht um Verkauf, sondern um Momente und Kreationen. Was wir als Label online verkaufen, ist hingegen Streetwear. Sie verschafft mir künstlerische Unabhängigkeit und Freiheit.

Funktioniert der Showroom auch als Shop?

Für die Marke Marina Hoermanseder rentiert sich kein Shop. Was will man in so einem Shop verkaufen? Ich will keine Blusen und Hosen machen! Ich will Show Pieces, ich will Kunst, ich will mein orthopädisches Leder, ich will Handwerk – all das, was man nicht will, wenn man in den Laden reingeht. Vereinzelt kaufen Men- schen, die sich damit auch wirklich identifizieren, unsere Strap Skirts, Kunstsammler oder Museen kaufen unsere Leder-Vasen.

Diese „Vasen“ genannten skulpturalen Kleider liegen an der Schnittstelle von Mode, Design und Kunst. Sie könnten auch in einer Galerie stehen.

Das würde ich auch gerne einmal machen: in einer Galerie ausstellen!

Du betätigst dich zudem als Gestalterin von Produkten, von Uhren bis Taschentücher-Boxen. Was bedeutet für dich gutes Design?

Etwas, woran ein Mensch länger denkt, nachdem er es gesehen hat. Unabhängig von einer ästhetischen Bewertung. Dass es irgendwie bleibt, Emotionen auslöst.

Du bist Wienerin, jetzt aber schon lang in Berlin. Ist das ein gutes Pflaster für dich?

Ich liebe Berlin. Mit 25 bin ich hierhergekommen, wollte Mode studieren, um mich dann selbstständig zu machen. Wenn meine WG-Freunde vom Feiern in der Früh nach Hause gekommen sind, habe ich noch meine Zeichenmappe gemacht, die ich für die Uni abgeben musste. Heute lebe ich ein wenig außerhalb im Grünen; mit einem Garten und Gemüsebeet und Kindern bin ich da in meiner eigenen heiligen Welt. Und ich habe hier auch noch Kreuzberg. Was ich an Berlin von Anfang an schätzte: Es ist alles erlaubt. Berlin urteilt nicht, und das ist etwas, was Wien noch nicht kann.

Eine Freiheit auch für deine Mode?

Ich denke nicht, dass ich den Erfolg gehabt hätte, wenn ich in Wien mit dem Stil begonnen hätte. „Orthopädie und Hautkrankheiten. Muss das sein?“ In Berlin soll es sein.

Lackiertes orthopädisches Leder als Kleiderskulptur mit händisch aufgeklebten Legosteinen

Du vereinigst sehr viele Aspekte auch in deinem Wohnstil, verbindest mit Comics und Mangas und Kunst High und Low, Soft und Hard. Lebst du nach dem Credo Maximalismus?

Ich bin der größte Maximalist, den es gibt, weil ich so viele Sachen habe, die ich liebe. Ich werfe auch nichts weg.

Du bist also der Inbegriff des Sammlertyps?

Absolut. Ich klammere mich an alles, ob wertvoll oder nicht – und wenn es die Verpackung ist, die vor 100 Jahren entstanden ist.

Hast du beim Sammeln eine Systematik?

Es ist einfach nur viel … Ich bin mit jemandem zusammen, der sich wünschen würde, dass auf einem leeren Couchtisch drei Fernbedienungen parallel zueinander liegen. Ich habe ihm aber beigebracht, wie ich sortiere: nicht, um weniger zu haben, sondern um Platz für Neues zu schaffen! So viele Dinge können bei mir Emotionen erzeugen. Ich fühle mich wohl, wenn es voll ist. Dass mir so viel daran liegt, geht vielleicht zurück auf die Kindheit. In der Küche meiner Eltern wurde zum Beispiel der Toaster nach dem Frühstück immer in eine Lade geräumt. Die Küche war leer.

Wie in der Werbung?

Absolut leer. Ich war schon als Kind das Gegenteil. Dieses Maximale bestimmt auch meine Kollektionen. Das habe ich heuer im Jänner, bei der ersten Präsentation nach Corona, auf die Spitze getrieben. Unfassbar viel Deko, kein Look zum Aufatmen fürs Publikum. Deshalb dieses Zirkus-Thema und dieses „more is more“. Es war all das, was sich so während dieser Zeit, wo wir gar nicht sein durften, angestaut hat.

Dabei waren auch die sogenannten Vasenkleider, skulpturenartige Konstrukte, im Grunde orthopädische Korsetts aus lackiertem Leder, die an antike Idole und hypertrophe Fruchtbarkeitssymbole erinnern. Und auch das außergewöhnliche fleischfarbene Kleid, das du „Venus“ nennst, mit üppigen Formen à la Venus von Willendorf.

Damit habe ich ein besonderes Moment getroffen. Das Showpublikum hat Rotz und Wasser geheult! Wir haben natürlich auch „Unbreakable“ gespielt, und dazu Glitzerregen. Das ist echt etwas, was ich schaffe! Es geht bei mir nur um Emotionen, um Momente, die Magie haben. Welche Momente erleben wir noch, die bleiben?

Zaubert Kollektionen aus dem Hut: Marina Hoermanseder inmitten ihres Fundus

Vielleicht noch in der Kunst, im Theater. Was gefällt dir?

Über den Flohmarkt zu gehen oder bei Auktionen einzukaufen, ist für mich viel ertragreicher als ein Galeriebesuch, die Stimmung eine andere, da bin ich freier. Ich weiß nicht, was mich erwartet und was ich bekomme. Vielleicht hat das ja wieder was mit diesem Maximalismus zu tun. Ich bin auch viel mehr impulsive Käuferin. Der Künstlername interessiert mich weniger. Mir geht es darum: Passiert da eine Verbindung?

Du hast zum Beispiel ein Mieder gekauft, das du im Atelier aufbewahrst. Was waren die Beweggründe dafür?

Beim Studium wollte ich über Korsagen lernen und erwarb im Dorotheum ein historisches Stück, um mir die Technik und die Materialien anzusehen. In diesem Prozess entdeckte ich das orthopädische Korsett für mich. Ausgangspunkt war ein gezeichnetes Bild eines Exemplars aus dem 18. oder 19. Jahrhundert, das aus Holz, Metall und Leder gefertigt war. Das wollte ich nachbauen. In meiner Londoner Zeit bei Alexander McQueen bin ich dann auf das Miederthema gestoßen.

Wie bist du zum Dorotheum gekommen?

Über meinen Vater. Er liebt das Dorotheum und versorgt mich laufend mit inspirierenden Gegenständen, etwa zwei gestickten historischen Handtaschen aus Papua-Neuguinea, die große Ähnlichkeit mit Chloé-Taschen von heute haben. Sie hängen in einer Plexibox in meiner Wohnung. Mit dem ersten eigenen Zuhause habe ich mit dem Kaufen angefangen.

Was war das zum Beispiel?

Ich suchte eine Biedermeier-Kommode. Klar war: Man geht dafür ins Dorotheum! Das Möbel steht jetzt in der Berliner Wohnung inmitten meiner Petersburger Hängung. Ich bin in Berlin und Designerin, aber ich bin schon auch noch eine Wiener Spießerin. Und diese Kommode bringt in mein buntes Designerinnen-Zuhause so eine gute Wiener Häuslichkeit. Was mir auch wichtig ist, denn ich mag diesen Kontrast, dieses Hart und Weich. Wie in den Kollektionen ist es auch zu Hause. Ich mag Herzen, aber dann auch etwas Kantiges, Hartes daneben.

Belebende Kontraste und Brüche. Und was befindet sich auf deinem Biedermeier-Möbel?

Eine schöne gelbe Vase mit schwarzen Punkten, auf der irgendwie „schick“ draufsteht.

Marina Hoermanseder

ist eine Berliner Modedesignerin mit österreichisch-französischen Wurzeln. Nach dem Studium der Internationalen Betriebswirtschaftslehre in ihrer Heimatstadt Wien studierte sie bis 2012 an der ESMOD-Modeschule in Berlin. Im selben Jahr absolvierte Hoermanseder ein viermonatiges Praktikum bei Alexander McQueen in London. 2013 startete sie mit ihrem eigenen Modelabel, das Anfang 2014 seine erste Kollektion bei der Berlin Fashion Week präsentierte. Markenzeichen des Brands sind Lederstreifen-Röcke, Lederkorsetts und Schnallen. Das Label „marina hoermanseder“, bei Stylisten internationaler Stars wie Rihanna beliebt, umfasst die künstlerische Linie mit Showroom in Los Angeles sowie Streetwear, die online unter „HOERMANSEDER“ angeboten wird. Die mit zahlreichen Modepreisen ausgezeichnete Designerin war zweimal Jurorin bei der Casting-Show „Germanys Next Topmodel“, zuletzt 2024. Über die Jahre hat sie mit zahlreichen Unternehmen kooperiert, unter anderem mit Palmers, RADO, Deutsche Telekom, Österreichische Post, Hello Kitty, Care Bears. Marina Hoermanseder, 38, lebt mit ihrer Familie in Berlin.

No Comments Yet

Comments are closed




Auktions-Höhepunkte, Rekord-Preise und spannende Kunst-Geschichten. Mit dem Dorotheum Blog sind Sie immer am Puls des Auktionsgeschehens!


Archive