Im Mai 1916 wurde der umfangreiche Nachlass von Friedrich Amerling zugunsten bedürftiger Wiener Künstler in einer aufsehenerregenden Auktion im Dorotheum versteigert. Fast 100 Jahre danach liegt nun erstmals ein fundierter Catalogue raisonné der Werke einer der führenden Künstlerpersönlichkeiten der Biedermeierzeit vor.
Friedrich Amerling zählt zu den bedeutendsten Wiener Malern des 19. Jahrhunderts. Beliebt war er vor allem für seine einfigurigen Genredarstellungen, in denen vorzugsweise hübsche Mädchen in anmutiger Haltung posieren. Von besonderer Bedeutung aber waren Amerlings Porträts, die ihm aufgrund der geschmackvollen Arrangements den Ruf einbrachten, der „fashionabelste“ Maler von Wien zu sein. Sein Œuvre liest sich wie ein „Who is Who“ der Kaiserstadt Wien. Mitglieder des Hofes, der Hocharistokratie sowie des gehobenen Bürgertums wollten von ihm gemalt werden, denn kein anderer vermochte Sein und Schein so treffend ineinander zu verweben. Daneben beobachtete Amerling sich selbst zeitlebens mittels vieler Selbstporträts und malte zahlreiche seiner Künstlerkollegen zu seiner persönlichen Erinnerung.
Die bedeutendste Zeit seines Schaffens lag in den 1830er- und 1840er-Jahren, und es waren die Werke aus ebendieser Zeit, die bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte hinein vorbildlich auf seine Zeitgenossen wirkten. So übernahmen die Maler der nächsten Generation – allen voran Hans Makart und Hans Canon – seine innovativen und bahnbrechenden Ideen, entwickelten sie weiter und wurden dadurch zu den tonangebenden Porträtmalern des Historismus in Wien. Welche Ironie des Schicksals, dass Amerling seine Nachfolger überlebte: Hans Makart starb drei Jahre vor ihm, 1884, im darauffolgenden Jahr dann auch Hans Canon.
Am Lebensende war es still geworden um die Person Amerling. Auch das bald nach seinem Tod vom Freund Ludwig August Frankl verfasste „Lebensbild“ des Malers vermochte nicht, Amerlings Ruhm neu zu beleben. Dieses Vergessen sollte bis 1927 dauern, als Günther Probszt die erste Monografie herausbrachte. Probszt setzte sich kritisch mit Amerlings Œuvre auseinander und positionierte dessen Bedeutung für die Kunstentwicklung des 19. Jahrhunderts in einem neuen Licht. Ab nun war Amerlings Verdienst unbestritten, was zur Folge hatte, dass seine Werke bei zahlreichen Ausstellungen zum „Wiener Biedermeier“, zur „Kunst des 19. Jahrhunderts“ oder zur „Kunst in Österreich“ vertreten waren. Die erste monografische Ausstellung über Amerling fand dann im Frühjahr 2003 im Oberen Belvedere statt. Seit damals besteht der Gedanke, das Œuvre des Malers neu zu bearbeiten. Basierend auf Günther Probszts wertvoller Pionierarbeit liegt ab Herbst 2024 endlich ein bebildertes Werkverzeichnis in digitaler und in gedruckter Form vor, das Amerlings etwa 1.300 Gemälde vereint. Ergänzt wird dieses Verzeichnis durch Essays, die vom Leben und Werdegang des Künstlers berichten, von seiner Kunstauffassung, seinen Modellen sowie von seinem reich ausgestatteten Wohnsitz, dem sogenannten Amerling-Schlössl.
Sabine Grabner, Kuratorin für Gemälde des 19. Jahrhunderts an der Österreichischen Galerie, ist Autorin der im Rahmen der vom Dorotheum gesponserten Serie „Belvedere Werkverzeichnisse“ herausgegebenen Monografie „Friedrich Amerling“ (November 2024).
AUKTION
Gemälde des 19. Jahrhunderts, 23 Oktober 2024, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
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