Der Code der Kaiserin

Ein verschlüsseltes Schreiben Maria Theresias, das am 17. Dezember im Dorotheum zur Auktion gelangt, gibt Einblick in den geheimen diplomatischen Informationstransfer im 18. Jahrhundert.

Am Vorabend des Zweiten Schlesischen Krieges gegen Preußen (1744/45) adressierte Kaiserin Maria Theresia ein mit 31. Juni 1744 datiertes und eigenhändig unterfertigtes Geheimschreiben an den Grafen Nikolaus Esterházy (1714–1790), ihren damaligen Gesandten am befreundeten kursächsischen Hof in Dresden. Für Außenstehende oder feindliche Agenten enthielt die kaiserliche Post aus Wien in ihren wesentlichen Teilen lediglich mysteriöse Zahlenreihen. Esterházy jedoch gehörte zu einem exklusiven Kreis hoher staatlicher Würdenträger, die über den streng gehüteten Chiffrenschlüssel verfügten. Er war daher in der Lage, den komplizierten Geheimcode zu dechiffrieren.

Martin van Meytens (1695–1770) Umkreis, Porträt von Maria Theresia
Martin van Meytens (1695–1770) Umkreis, Porträt von Maria Theresia
Kaiserin Maria Theresia (1717–1780), Chiffriertes Schreiben, Wien, 31. 7. 1744, Schätzwert € 800 – 1.600
Kaiserin Maria Theresia (1717–1780), Chiffriertes Schreiben, Wien, 31. 7. 1744, Schätzwert € 800 – 1.600

Noch heute stellen alte Geheimschriften, sofern der zugehörige Dechiffrierungsschlüssel nicht bekannt ist, Historiker und Kryptoanalytiker vor teilweise unlösbare Probleme. Es ist daher als Glücksfall zu betrachten, dass dem Originalschreiben der Kaiserin der im Österreichischen Staatsarchiv verwahrte Ziffernschlüssel in Kopie beiliegt, weshalb sich die kaiserliche Note in Klarschrift übertragen und inhaltlich fast vollständig erschließen lässt. Wie aus der Chiffrentabelle ersichtlich ist, handelt es sich beim verwendeten Code nicht um ein kryptographisches System, das einzelne Buchstaben durch andere Buchstaben, Zahlen oder Zeichen ersetzt, sondern um eine numerische Verschlüsselung, die in Form eines Wortersatzcodes Begriffe in streng alphabetischer Reihung auflistet und als dreistellige Zahlen darstellt. Beispielsweise bedeutet die Nummer 400 das Wort Schlacht, 401 steht für Schlesien und 402 für das Verb schließen. Um eine Codierung weiter zu erschweren, lässt das Verschlüsselungssystem das Alphabet mit dem Buchstaben K beginnen und streut fallweise Blender, also Ziffern ohne Bedeutungsinhalt, in die Zahlenfolge ein. Da Graf Esterházy mit diesem System vertraut war, konnte er dem Schreiben der Kaiserin die beunruhigende Nachricht entnehmen, dass die preußische Diplomatie Geheimverhandlungen mit dem Osmanischen Reich aufgenommen hatte. Er sollte sich daher unter Rücksichtnahme auf verschiedene, genau definierte Punkte mit den sächsischen Stellen ins Einvernehmen setzen. Nicht geklärt ist, wer mit dem „Griechen“ gemeint ist, der in Ungarn zu arretieren sei. Hier dürftes sich um einen dem Empfänger bekannten Decknamen handeln. Abschließend charakterisiert Maria Theresia ihren Hauptgegner, König Friedrich II. von Preußen, als „gefährlichen und sich an keine Traktate nach Zusage sich bindenden Nachbarn“.

Da verschlüsselte Geheimschreiben nach der Dechiffrierung vielfach absichtlich vernichtet wurden, stellt das Schreiben an Esterházy ein seltenes Beispiel für die diplomatische Geheimkommunikation im 18. Jahrhundert dar.

AUKTION

Autographen, Handschriften, Urkunden
17. Dezember 2024, 14 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

Besichtigung: 12. – 17. Dezember 2024

books@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-389

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