Große, realistische Landschaften voller Lyrik und Detailtreue: Die Malerei des russischen Künstlers Andrei Nikolajewitsch Schilder lässt an die imposanten Werke russischer Literaten denken. Diese beiden zur Auktion gelangenden Bilder überzeugen durch ihre kompositorische Perfektion und dürften laut russischen Experten wohl die frühesten bekannten Werke des Künstlers sein.
Zwei große Bilder – Gegenstücke, die einen sonnigen Sommertag und einen nebeligen Herbstmorgen darstellen – zeigen die Umgebung von St. Petersburg. Sie stammen von Andrei Nikolajewitsch Schilder (1861–1919), dessen Werke sich in vielen Museen Russlands finden, unter anderem in der Moskauer Tretjakow-Galerie und im Russischen Museum in Sankt Petersburg.
Der Einfluss Iwan Schischkins
Nachdem Andreis Vater, der Maler Nikolai Schilder (zu seinen bekanntesten Werken gehören die im Musée d’Orsay in Paris befindlichen Porträts Zar Alexanders III. und seiner Gemahlin Maria Fjodorowna), Zeichnungen seines 14-jährigen Sohnes dem damals größten Landschaftsmaler Russlands, Iwan Schischkin, gezeigt hatte, lud dieser den Jungen ein, in seinem Atelier zu studieren. Zwischen Lehrer und Schüler entwickelte sich ein sehr enges Verhältnis: Schilder begleitete Schischkin auf Reisen, arbeitete wochenlang mit ihm auf der Insel Walaam im Ladogasee. Es war Schischkin, der Schilder damit vertraut machte, jeden Sommer im Freien zu skizzieren. 1903 wurde Schilder Mitglied der Kaiserlichen Kunstakademie in Sankt Petersburg, ohne dort jemals Student gewesen zu sein.
Ein wahrer Landschaftsmaler
Während die Moskauer Landschaftsmaler der damaligen Zeit ihre Eindrücke zunächst in einer Studie festhielten, um sie dann in das Bild zu übernehmen, gingen ihre Petersburger Kollegen von einer vorgefassten Idee aus. Dies barg die Gefahr, sich von der Natur zu entfernen. Die ganzheitliche Persönlichkeit des Petersburgers Schischkin erlaubte es ihm, kompositorische Perfektion und Beobachtung in der Natur in Einklang zu bringen. Diese Fähigkeit ging auf seinen begabten Schüler über, der jedoch seinen Gemälden mehr Sanftheit und Lyrik verlieh.
Die Wandermaler
Schilder stellte bis zu seinem Tod am häufigsten bei den Peredwischniki aus, die als die einflussreichste Vereinigung von Künstlern Russlands gelten. Sie waren Vertreter des Realismus und hatten zum Ziel, die Malerei Publikum nicht nur in Sankt Petersburg und Moskau, sondern in vielen Städten des riesigen russischen Reiches zugänglich zu machen – daher auch der Name der Gruppe, zu Deutsch „Wanderer“. Zwischen 1871 und 1923 veranstalteten sie 48 Wanderausstellungen. Als Jakov Mintschenkow, ein Mitglied dieser Künstlervereinigung, seine Erinnerungen an die Peredwischniki schrieb, wählte er für sein Buch aus den mehr als 100 Mitgliedern der Gruppe 20 Künstler aus, darunter Andrei Schilder. Das Buch entwirft das Bild eines gutherzigen Künstlers, dessen Freundeskreis nicht nur Künstlerkollegen, sondern auch Schachspieler umfasste – Schilder war selbst ein hervorragender Schachspieler. Sein Haus frequentierten ebenso Schriftsteller und progressive Politiker.
Die frühesten bekannten Werke des Künstlers
Der betont Schischkin’sche Charakter beider Landschaften, ihr großes Hochformat und die Tages- wie Jahreszeiten als Themen lassen die Gemälde in die 1880er-Jahre datieren. Laut russischen Experten handelt es sich bei den Gemälden wohl um die frühesten bekannten Werke von Andrei Schilder!
Olga Sugrobova-Roth ist Expertin für russische Kunst.
AUKTION
Gemälde des 19. Jahrhunderts
7. Juni 2021