Seine Porträts nehmen einen besonderen Stellenwert in Andy Warhols popkulturellem Œuvre ein. „Portrait of a Lady“ von 1983 besticht durch Inhalt und Ausführung. Erinnert es nur zufällig an ein berühmtes Vorbild?
Andy Warhol – Porträtist der New Yorker Gesellschaft
Andy Warhol, ab den 1960er-Jahren einer der führenden Künstler der Pop-Art, war als leidenschaftlicher Fotograf und Porträtist der New Yorker Gesellschaft bekannt. Mit seiner Polaroidkamera fertigte er Schnappschüsse von sich und seinen Freunden sowie von Begegnungen mit berühmten Persönlichkeiten an, die oft zur Grundlage seiner Kunstwerke wurden. Möglicherweise auch im Fall dieses Porträts.
Dargestellt ist eine attraktive junge Frau vor einem leuchtend roten Hintergrund. Die Frau wird im seitlichen Profil gezeigt, dennoch blickt sie den Betrachter direkt an. Sie trägt eine Kurzhaarfrisur, die ihr linkes Ohr freilegt und den Blick auf ihren markanten goldenen Ohrclip preisgibt. Die intensive Farbgebung des Porträts erzeugt eine besondere Anziehungskraft, die den Betrachter einfängt und in einen konstruierten Dialog führt. Die Darstellung erzeugt Neugierde beim Betrachter, man möchte wissen, wer die dargestellte Frau ist: Handelt es sich um eine Auftragsarbeit? Eine Bekannte oder Freundin von Andy Warhol? Wir können die Frage um die geheimnisvolle Dame auflösen: Es handelt sich um die Grande Dame der amerikanischen Kunstszene, Dorothy Berenson Blau (1917–2014). Sie wurde als Verfechterin der zeitgenössischen Kunst und Pionierin der Kunstszene in Miami bekannt. Als Galeristin und zugleich gute Freundin von Andy Warhol gehörte sie zu den Ersten, die seine Arbeiten in Südflorida präsentierten. Dorothy Berenson Blau war eine treibende Kraft in Andy Warhols Leben und in den 1980er-Jahren, das heißt zur Entstehungszeit des Porträts, maßgeblich an seinem Erfolg beteiligt.
Faszination für künstlerische Vorgänger
Darüber hinaus erinnert die Darstellung an eine Ikone der Kunstgeschichte: an das „Mädchen mit dem Perlenohrring“ des niederländischen Malers Jan Vermeer. Bildaufbau und Positionierung der beiden Protagonistinnen ähneln einander stark. Die monochromen Hintergründe lenken den Blick auf die Gesichter der Dargestellten und vor allem auf den markanten Ohrschmuck, den beide Frauen tragen. Wir wissen natürlich nicht, inwiefern das Gemälde von Vermeer Andy Warhol in der Konzeption des Porträts von Dorothy Berenson beeinflusste. Dass der Künstler einen solchen kunsthistorischen Bezug herstellt, wäre allerdings nicht das erste Mal der Fall. So rezipierte er beispielsweise die Motive „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci, „Judith mit dem Haupt des Holofernes“ von Lucas Cranach dem Älteren und „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Andy Warhol war fasziniert von Bildern, die seiner Zeit vorausgingen.
AUKTION
Zeitgenössische Kunst, 23. Juni, 16 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386