DAS AUGE ALS SKALPELL
Vom Krieg in die Materialschlacht, vom Chirurgen zum Künstler: Alberto Burri (1915–1995) gilt neben Lucio Fontana als einer der einflussreichsten Nachkriegskünstler Italiens. Zwei Werke Burris offeriert das Dorotheum im November.
Wegbereiter der Arte Povera
Neben Lucio Fontana prägte er Italiens Nachkriegskunst wie kaum ein anderer: Alberto Burri, so singulär seine Kunst anmutet, gilt als einer der Wegbereiter der Arte Povera. Sein Einfluss reichte freilich weit über Italiens Grenzen; berühmte Maler wie Cy Twombly oder Robert Rauschenberg besuchten den 1915 in Umbrien Geborenen in seinem Atelier. Schon früh wurde auch das Guggenheim Museum in New York auf ihn aufmerksam und stellte seine Collagen und Materialassemblagen 1954 aus.
Im November werden im Rahmen der Auktion Zeitgenössische Kunst zwei bedeutende Werke Alberto Burris aus europäischem Privatbesitz im Dorotheum angeboten. Dabei handelt es sich um ein unbetiteltes, 1988 vollendetes Bild, das auf eine Version von 1947 aufgebracht wurde, und um eine „Combustione“ (dt. Verbrennung).
Vom Chirurgen zum Künstler
Quelle dieser Formensprache, die trotz experimenteller Techniken recht klassisch anmutet, sind Burris Kriegserlebnisse. Ursprünglich als Arzt ausgebildet und in dieser Funktion im Kriegseinsatz, verarbeitet er seine Traumen bereits im Kriegsgefangenenlager in Texas, USA, in das er von den Briten 1943 transferiert worden war. Damals tauschte er sein Chirurgenbesteck für immer mit Malwerkzeugen. Das Bildmaterial – in den frühen Jahren etwa Sackleinen aus Hilfslieferungen, später Furnier und Plastikfolie – wurde gerissen, genäht, gebrannt. Aus den Rissen sickerte auch rote Farbe durch, ins Plastik schmolz Burri Löcher wie Wunden. Zuweilen wölbte er die Bildoberflächen durch dahinterliegende Metallstangen.
Einschnitte der Vergangenheit
Der mehrfache Biennale- und documenta-Teilnehmer schuf 1981 auch eines der gewaltigsten Beispiele von Land Art und Denkmal zugleich. Über die Ruinen des von einem Erdbeben zerstörten sizilianischen Dorfes Gibellina legte Burri eine dicke Betonschicht, in der die alten Gassen als begehbare Einschnitte, ähnlich den Rissen in manchen seiner Materialbilder, bestehen blieben.
AUKTION
Zeigenössische Kunst, 25. November 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386