
Das brennende Troja vor dem Fenster in der Leopoldstadt … Was passiert, wenn einen „Restaurateur“ eine schmerzvolle Schattenempfindlichkeit plagt, wenn er in der schwarzen Nacht Wien als viele Städte sieht und Dinge aus den Fugen geraten? Inspiriert vom Gemälde „Aeneas und Anchises fliehen aus dem brennenden Troja“ von Jan Brueghel I., bringt Ferdinand Schmalz im neuen Beitrag zu unserer Literaturserie mit seiner singulären Sprachkunst das Dunkel zum Leuchten.
als neulich ich bei hellstem tageslicht, an einem knie, das mir zuvor nicht aufgefallen, an einem knie da am kanal, kurz innehielt, um dann das sonnenlicht, das gleißend helle, zu genießen, hörte ich hinter mir jemanden krächzen. dort lag, alle viere von sich gestreckt, die finger und die zehen gespreizt wie ein bräunungssüchtiger sonnenanbeter, ein hagerer herr. dass ich ihm da aus dem licht gehen solle. dass ihm der schatten unerträglich sei. ja, dass wie manche eine lichtempfindlichkeit ihn eine schattenempfindlichkeit plage, ja, dass er eine regelrechte dunkelheitsunverträglichkeit entwickelt habe. sprach’s unversehens da aus ihm heraus. obwohl er als ein restaurateur doch zeitlebens mit materialien, kunstobjekten, mit gemälden gearbeitet habe, die auf das äußerste lichtempfindlich gewesen seien, die er nur in dunklen oder halbdunklen räumen restaurieren durfte, vielleicht aber habe er dadurch erst diese schattenempfindlichkeit entwickelt. so wie die bilder, die er restauriert habe, schon beim allerfeinsten schimmer eines tageslichts schaden davontragen könnten, so könne er, der restaurateur, schon beim unscheinbarsten schatten schaden davontragen. wie das tageslicht die obersten lackschichten der gemälde, die er restaurierte, zum erblinden gebracht hätte, so würde der schatten seine obersten schichten, die empfindlichsten zonen seiner haut, angreifen. ich solle ihm nur ja schnell aus der sonne gehen, da dieser schatten, den ich ihm verursache, da dieser schatten, wie er jetzt drauf auf ihn falle, wie er da von meinem körper auf seinen körper runterfalle, ihm die übelsten schmerzen verursache. gerade jetzt, wo der tag sich seinem ende zuneige, müsse er, der restaurateur, die letzten sonnenstrahlen nutzen. alles an licht in sich aufsaugen, bevor dann wieder die nacht mit ihrer dunkelheit über die stadt hereinbreche. ich könne mir wohl vorstellen, dass die nacht mit ihrer schwärze für jemanden wie ihn, den restaurateur, jemanden mit seinen empfindsamkeiten, mit seiner schattenreizbarkeit, etwas besonders einschüchterndes habe. er habe zu hause tageslichtlampen, dutzende tageslichtlampen, um zu ein paar stunden schlaf in der nacht zu kommen, da ihm das schlafen in absoluter dunkelheit gänzlich unmöglich. „passen sie mir bloß auf ihren schatten auf! der schatten, ihrer, hat schon wieder mich gestreift“, herrschte dieser wächserne herr mich an. nachdem er sich aufgesetzt und seinen dürren körper wieder etwas mehr der tiefstehenden sonne zugewandt, meinte er, der restaurateur, dass es ihm manchmal so vorkomme, als sei die dunkelheit in dieser stadt eine viel dichtere als anderswo. dass die dunkelheit hier in dieser stadt von einer seltenen materialität. dass die dunkelheit in dieser stadt nicht die abwesenheit des lichts sei, nein, dass die dunkelheit in dieser stadt gerade die anwesenheit von etwas anderem, einer finsteren substanz, die sich immer wieder über alles hier ergieße. dass sie sich wie velours, wie molton über die stadt lege. wie ein dunkler stoff, der die stadt bedecke, einhülle, der die stadt vermumme. ein faltenreicher stoff, der taschen werfe, dunkle samtbesetzte taschen. ja, dass die dunkelheit hier anders funktioniere. dass unter ihrem mantel, unter ihrem schwarzen überwurf die dinge aus den fugen. ja, dass es ihm manchmal so vorkomme, als ob diese stadt, die stadt, die er bei tag so sehr liebe wie keine andere, als ob diese stadt bei nacht eine gänzlich andere stadt. wenn er, da oben, aus dem fenster sehe, dort, wo sein schlafzimmer, das hell erleuchtet von dutzenden tageslichtlampen, wenn er da in das schwarze loch vor seinem fenster blicke, dann komme es ihm vor, als würde er bei nacht andere städte in dieser ihm vertrauten stadt sehen, dass er da in der dunkelheit schemenhaft prag erkenne, dass er die karlsbrücke sehe, er sehe paris, er sehe die hochhausschluchten von chicago, er sehe rom, die engelsburg, den vatikan, er sehe in dem dunklen loch da vor dem fenster, seinem, das brennende troja, immer wieder blicke er nachtblind da aus dem fenster, geblendet von den tageslichtlampen, blicke er hinaus da in die nacht und sehe das brennende troja vor dem fenster. das mache die dunkelheit mit seiner stadt. statt wien würde er bei nacht nun troja sehen. als hätte sich das bild des brennenden troja in seine netzhaut eingebrannt. troja liege irgendwo hier in der leopoldstadt. als würde diese nacht, die jeden tag die stadt heimsuche, sich da über städte, kontinente und jahrhunderte erstrecken. als hätte all das platz in dieser nacht mit ihren dunklen taschen, mit ihren falten aus velours. als würde diese stadt in ihrer nacht viele städte sein. einmal habe er trotz der schmerzen, die ihm die dunkelheit verursache, seine taghelle nachtkammer verlassen, um sich, mit einer lichterkette umschlungen, in die nacht hinauszubegeben. dort, wo das mondlicht schneisen in die nacht hineingeschnitten, wo er, der dunkle stoff, gerissen, wo da im schein einer laterne ein lichtkegel unter dem dunklen baldachin sich öffnete, dort habe er grauenhafte szenen erblickt, menschen auf der flucht, die übereinander stürzten, hasserfüllte typen, die sich gegenseitig an die gurgel wollten. so sei er, der restaurateur, immer tiefer in diese nacht hineingetaumelt, die überall dort, wo das licht sie hat gelüftet, überall nur grauen für ihn übrig hatte. er, der restaurateur, der doch wie eine motte das licht gesucht, um der schrecklichen schrecklichen finsternis zu entkommen, habe überall nur die düstersten szenerien erblicken müssen. und je weiter er in diese ihm plötzlich gänzlich unvertraute stadt hineingehastet sei, umso heller wurde es. flackernd hell das licht. bis er bemerkt, als er sich da auf einem großen platz habe wiedergefunden, der ihm unbekannt und gleichzeitig vertraut erschienen sei, wie eine erinnerung an etwas, das nie stattgefunden habe, ein déjà-vu, traumreste, auf diesem platz, in dessen mitte eine riesige hölzerne reiterstatue aufgestellt gewesen sei, da habe er erst gemerkt, dass die stadt um ihn in flammen stehe. dass dieses licht, dem er gefolgt, das flackernde, das nunmehr gleißend helle, dass es der schein einer lichterloh brennenden stadt. da habe sie, die menge angsterfüllter flüchtender, ihn mitgerissen. frauen, die sich schützend über ihre neugeborenen gebeugt, junge männer, die die alten auf den schultern aus der stadt getragen. kinder, die in ihren armen statuen, wie neugeboren, schützend mit sich geschleppt. alles habe hergedrängt durch die straßen auf den fluss da zu. die brücken überfüllt. da sei er dann, um nicht erdrückt, zertrampelt noch zu werden, zur brüstung hin, da an den rand gedrängt, hinaufgeklettert und, und gestürzt, kopfüber auf den fluss, den dunklen, zu. als plötzlich er die augen aufgerissen, da sei er wieder da in seinem schlafzimmer gesessen, zwischen all den gleißend hellen tageslichtlampen. manch einer würde sagen, er hätte nur geträumt, dass so etwas schon vorkomme, gerade wenn man wie er nur im hellsten tageslicht schlafe. er aber wisse ganz genau, dass er dem schattenwesen, das da draußen nacht für nacht auf ihn lauere, dass er ihm einmal noch entkommen sei. gerade darum müsse er aber nun schleunigst nach hause kommen, da die sonne schon weniger als drei finger vom horizont entfernt. drei finger, das heiße, dass er jetzt gehen müsse. da hat er schon gepackt. und ist, die liegematte unterm arm, wieder verschwunden in dem hauseingang, da am kanal. und mulmig ging ich weiter den kanal entlang, im letzten licht, mit weichem knie.

ferdinand schmalz
zählt zu den renommiertesten Dramatikern der jüngeren Generation im deutschsprachigen Raum. Für sein erstes Stück „am beispiel der butter“ erhielt der heute knapp 40-jährige, in Graz geborene und in Wien lebende Autor 2013 den Retzhofer Dramapreis. Unter den bisherigen Auszeichnungen an Schmalz finden sich unter anderem der Gert-Jonke-Preis 2025, der Arthur Schnitzler-Preis 2023 sowie der Autorenpreis des Nestroy-Preises für „jedermann (stirbt)“, eine Neuadaption von Hofmannsthals Mysterienspiel. Seine rhythmisch-musikalische Sprache, die makaber-humorig Dialektales mit barockem Eigensinn verknüpft, zieht sich auch durch seinen bisher einzigen, 2021 erschienenen Roman, „Mein Lieblingstier heißt Winter“, der für den Österreichischen wie für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Für ein Kapitel daraus hatte Schmalz 2017 den Ingeborg-Bachmann-Preis erhalten. Stücke wie „dosenfleisch“, „hildensaga“ oder, 2025 uraufgeführt, „bumm tschak oder der letzte henker“ (Bregenzer Festspiele, Burgtheater Wien) und „Sanatorium zur Gänsehaut“ (Schauspiel Frankfurt) stehen für Schmalz’ Maxime des „Theaters als wichtiger kollektiver Denkraum“.