Farbe, Tempo, Improvisation – Georges Mathieu bannt den Moment der Kreation auf die Leinwand. Die großformatige Arbeit aus dem Spätwerk des Malers ist ein besonders schönes Beispiel für seine intensive und farbgewaltige Bildsprache.
Französisches Informel
Georges Mathieu ist einer der Hauptvertreter des französischen Informel. Seine ungegenständliche, impulsive Malerei, für die er selbst den Begriff „abstraction lyrique“ prägte, kennzeichnen das energische und schnelle Tempo seiner Malstriche, die kalligraphische Linienführung und seine Methode, die Farbe ohne Pinsel direkt aus der Tube auf die Leinwand zu drücken. Die Unmittelbarkeit und der Entstehungsprozess seiner Werke waren für ihn von besonderer Bedeutung, was sich nicht zuletzt in der häufigen Inszenierung seines Malvorgangs ab 1954 als happeningartige Aktionen vor Publikum zeigt.
Reife Empfindsamkeit und präzise Technik
Das vorliegende großformatige Gemälde demonstriert die reife Empfindsamkeit und präzise Technik, mit der Mathieu im Spätwerk seine in den 1950er-Jahren entwickelte gestische Formensprache erneut aufgreift. Es überzeugt durch eine dichte Komposition mit einem dynamischen Gleichgewicht zwischen den zentrifugalen Kräften der Farbexplosionen und dem horizontalen Bildaufbau.
„Le temps a laissé son manteau“
Der Titel „Le temps a laissé son manteau“ entstammt einem Gedicht des mittelalterlichen Naturlyrikers Charles d’Orléans über die Ankunft des Frühlings. Der Künstler verwendet für sein Bild eine abstrakte, kontrastreiche Palette aus dunklem Schwarz und glühenden Rottönen vor grau-grünem Hintergrund, um die Vitalität und emotionale Intensität des Frühlings auszudrücken. Die im Feuerwerk der Farben vereinzelt aufblitzenden gelben und blauen Sprenkel lassen sich als die im Gedicht erwähnten Reflexionen der Sonne und des Wassers deuten.
Patricia Pálffy ist Expertin für Klassische Moderne und Zeitgenössische Kunst im Dorotheum.