Das großformatige Ölgemälde von Giacomo Balla, das im November im Dorotheum zur Auktion gelangt, bringt nicht nur die bedrohlichen politischen Verhältnisse der 1920er-Jahre auf die Leinwand. Es verblüfft auch durch eine stilistische Erneuerung, die einen Vorgriff auf künstlerische Bewegungen späterer Jahre bedeutet.
Die Beziehung zwischen Giacomo Balla und dem Faschismus ist symptomatisch für die Dynamik zwischen Kunst und Politik im Italien der 1920er- und 1930er-Jahre. Zu Beginn des diktatorischen Regimes nahm Balla, wie auch zahlreiche andere Vertreter des Futurismus, den Faschismus mit Begeisterung auf. Sie betrachteten ihn, ganz im Sinne der futuristischen Prinzipien von Geschwindigkeit und Dynamik, als Katalysator für die Modernisierung, für den endgültigen Bruch mit der Vergangenheit und das neue Regime als logischen Verbündeten einer Bewegung, die den technischen Fortschritt und die ästhetische Revolution pries. Mit der Zeit wurde Künstlern und Intellektuelle jedoch klar, dass der vom Faschismus eingeschlagene Weg nicht zu Hoffnung und Veränderung, sondern zu Unterdrückung und Zensur führen und so die Erwartungen vieler enttäuschen würde, die in ihm einen möglichen Komplizen der Erneuerung gesehen hatten.
Giacomo Balla konzipierte „Futurismo; Fascismo e Sovversivismo; Fascisti e Antifascisti“ in den für den endgültigen Aufstieg des Mussolini-Regimes entscheidenden Jahren 1924 und 1925. Diese Periode prägten Ereignisse von außergewöhnlicher historischer Tragweite: die Ermordung des Sekretärs der Sozialistischen Einheitspartei, Giacomo Matteotti; die von schwerem Betrug und korrupten Wahlvorgängen gekennzeichneten Wahlen; und vor allem die Einführung der „faschistischen Gesetze“ 1925 und 1926. Mit diesen Maßnahmen wurde ein radikaler Wandel vollzogen, der Italien in einen totalitären Staat verwandelte und die politischen und sozialen Strukturen des Landes unwiderruflich neu definierte.
Ballas Werk entstand vor diesem Hintergrund tiefgreifender politischer Spannungen. In ihm spiegeln sich die Komplexität und die Gegensätze einer Epoche, in der Futurismus, Faschismus und oppositionelle Kräfte auf problematische und zutiefst widersprüchliche Weise miteinander verwoben waren. Erstmals wurde das Gemälde 1925 bei der Terza Biennale Romana im Palazzo delle Belle Arti präsentiert; nun, genau ein Jahrhundert nach seiner Entstehung, ist es als Zeuge der Ängste, Erwartungen, aber auch Hoffnungen eines Teils der italienischen Gesellschaft von besonderer historischer und soziologischer Bedeutung.
Die ikonografische Struktur des Werks ist durch eine klare Polarisierung gekennzeichnet: Im linken Raster sind die Mitglieder der faschistischen Bewegung mit strenger Präzision über der italienischen Flagge angeordnet; sie evozieren ein Bild der Ordnung und des Zusammenhalts. Auf der gegenüberliegenden Seite finden sich Alexander Israel Helphand, genannt Parvus, Lenin und Trotzki mit grotesk entstellten Gesichtern und bedrohlichem Ausdruck dargestellt; belebt durch das Hammer- und Sichelsymbol, vermitteln ihre Augen Unruhe. Um diese Figuren windet sich als kraftvolle Metapher für Dunkelheit und Leid eine rätselhafte Schlange, die dem Werk eine intensive allegorische Symbolik verleiht.
Der wichtigste Aspekt liegt jedoch weniger in der ikonografischen, eindeutig politisch motivierten Lesart als vielmehr in der ebenso eigentümlichen wie innovativen Ausdrucksweise: Stilistisch unter- scheidet sich Ballas Gemälde radikal von der üblichen bewegten Bildsprache des Futurismus und geht auch in Distanz zum starren, konventionellen Kanon des Realismus, typisch für totalitäre Regime. Wahrscheinlich wurde es deshalb in die Biennale Romana aufgenommen, zusammen mit früheren Werken wie „Pessimismo e Ottimismo“ (Inv.-Nr. 8162, GNAM Rome) von 1923 und „Sorge l’idea“ (Inv.-Nr. 8159, GNAM Rome) von 1920, die sich heute in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom befinden. In der Tat erscheint das Werk fast wie ein Unikat, das in kühner Voraus- sicht künftige Trends vorwegnimmt und Elemente einführt, die in der Pop Art ihren vollen Ausdruck finden sollten. Dieser Meinung ist auch die Kuratorin des Giacomo Balla Archivs, Dr. Elena Gigli. Ebenso beeindruckt vom vorpopulären visionären Ansatz des Künstlers zeigt sich der Kunsthistoriker Giovanni Lista, der sich der Untersuchung der oberen Tafel eines großen Emailgemäldes aus derselben Zeit („Le mani del popolo italiano“) widmete. Giacomo Ballas Œuvre jener Zeit ist ein herausragendes Beispiel für die Originalität im ästhetischen Panorama der Avantgarde des 20. Jahrhunderts.
AUKTION
Moderne, 19. November 2024, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386