Houghton Hall: Große Tradition

Britische Hocharistokratie par excellence: Lord Cholmondeley ist sowohl Träger eines klingenden Namens als auch Besitzer eines der schönsten Landsitze Englands. Und versteht es mit Wissen und Geschmack, Tradition und zeitgenössische Kunst zu verbinden. Eine Annäherung.

Große Tradition

David Cholmondeley, 7. Marquess von Cholmondeley, Angehöriger des Hochadels, Filmproduzent, Landwirt, Sammler, Connaisseur und Besitzer eines der größten Schatzhäuser Großbritanniens: Houghton Hall ist eines der prächtigsten Beispiele palladianischer Architektur in ganz England. Robert Walpole, Großbritanniens erster Premierminister, ließ es um 1720 erbauen. Als Demonstration von Wohlstand, Macht und Geschmack, wofür die damals wesentlichen Architekten Thomas Ripley und James Gibbs sowie der für das 18. Jahrhundert stilbildende Designer William Kent verantwortlich zeichneten. Im Erbweg ging das Haus an die Familie Cholmondeley, deren 7. Marquess, David Cholmondeley, es nach dem Tod seines Vaters 1990 übernahm. Mit dessen Titel erbte er auch eines der bedeutendsten Ämter im britischen Hofzeremoniell:

„Als Lord Great Chamberlain vertrete ich den Monarchen im Westminster – Palast und verwalte jene Räumlichkeiten, die im königlichen Einflussbereichs stehen. Wenn die Queen zur Parlamentseröffnung erscheint, liegen die Vorbereitungen dafür in meiner Hand. Auch Oberhäupter auf Staatsbesuch, die vor dem Parlament sprechen, werden von mir in Empfang genommen. Das Amt des Lord Great Chamberlain ist eines von zwei erblichen Hofämtern.“

Die Geschichte von Houghton Hall ist seit Generationen mit den Künsten verbunden. Robert Walpole besaß eine der weltweit herausragenden Sammlungen von Altmeistern, darunter Velázquez und Frans Hals. Spielschulden zwangen seinen Enkel dazu, einen Großteil der Werke an Katharina die Große zu verkaufen. Sie befinden sich bis heute im Besitz der Eremitage in St. Petersburg. 2013 kamen die Gemälde für eine Ausstellung wieder an ihren Ursprungsort zurück.

Houghton Hall

Steinreich: Eine Arbeit von Richard Long in der von Designer William Kent entworfenen Stone Hall des Landsitzes

 Leidenschaftlicher Sammler

David und seine Frau Rose, die Marchioness of Cholmondeley, setzen die Sammeltradition der Familie fort. Der Anstoß zum Interesse für Zeitgenössische Kunst kam aus Wien:

„Ich interessiere mich seit meinen frühen Zwanzigern für die Kunst des 20. Jahrhunderts, habe aber erst um 1998 für Houghton zu sammeln begonnen; davor ging es mir vor allem um Gemälde Alter Meister und Skulpturen, wobei mein Geschmack sehr breit gefächert ist. Eines meiner Schlüsselerlebnisse war eine James-Turrell – Ausstellung im MAK Wien. Später lernte ich den Künstler kennen und gab bei ihm zwei Arbeiten für Houghton in Auftrag. Im Jahr 2015 haben wir Werke Turrells in Houghton ausgestellt – darunter eine Installation, die die Fassade des Hauses in langsam wechselndes Licht tauchte.“

Houghton Hall

Mit James Turrell – hier seine Lichtinstallation von 2015 – begann Lord Cholmondeley zeitgenössische Kunst zu sammeln: „Die Klarheit und die pure Schönheit seiner Lichtarbeiten haben mich tief berührt. Sie scheinen direkt von der früheren Generationeines Rothko, Newman oder Reinhardt abgeleitet.“

Tribut an eine Ikone

Seit der Jahrtausendwende hat die Familie Cholmondeley bei namhaften Künstlern zahlreiche Skulpturen in Auftrag gegeben, wovon viele als permanente Installationen dem weitläufigen Anwesen um den Landsitz ihren künstlerischen Stempel aufdrücken. Land Art von Richard Long prägt das Gelände, ein Brunnen von Jeppe Hein spendet Wasser und Feuer gleichzeitig. Weitere Arbeiten stamen von Zhan Wang, Stephen Cox, Phillip King, Rachel Whiteread. Und nun auch von Damien Hirst. Eine Arbeit fällt auf: „The Sybil Hedge“ der Schottin Anya Gallaccio, eine Blutbuchenhecke in Form einer Unterschrift, zollt jener außergewöhnlichen Frau Tribut, die Houghton Hall aus einem über 100-jährigen Dornröschenschlaf weckte:

„Meine Großmutter Sybil lebte von 1918 bis zu ihrem Tod 1989 in Houghton. Sie hatte großen Einfluss auf mein Leben und gab alles Wissen, das sie über das Haus und die Sammlung besaß, an mich weiter. Ihrem Freundeskreis gehörten zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Musiker an. Ein besonders enges Verhältnis hatte sie zu Sir Winston Churchill. Meine Großmutter begründete den Women’s Royal Naval Service mit und wurde im Zweiten Weltkrieg Superintendentin. Ich habe ihr Leben für das Fernsehen verfilmt .“

Sybil Sassoon, die 5. Marchioness of Cholmondeley, brachte Ehre und Reichtum der Rothschilds und Sassoons in die Familie. Sie rettete den Landsitz ideell wie finanziell. Da die Cholmondeleys mehr als100 Jahre den zweiten Familiensitz Cholmondeley Castle in der Grafschaft Chesire vorgezogen hatten, war Houghton Halls kostbares Inventar wie in einer Zeitkapsel konserviert gewesen. Der damalige Malerstar John Singer Sargent, ein Freund der Familie, porträtierte Sybil 1913 – sein Hochzeitsgeschenk.

Erweckte Houghton Hall im 20. Jahrhundert zu neuem Leben: David Cholmondeleys Großmutter Sybil Sassoon, Frau des 5. Marquess of Cholmondeley, auf einem familieneigenen Porträt von John Singer Sargent, 1913

Auf der Jagd nach dem Schönen

Aktuelle Kunst-Inspirationen holt sich David Cholmondeley heute unter anderem in seiner Lieblingsstadt New York. Jüngst hat ihn aber eine Schau in London tief beeindruckt:

„Eine kleine Ausstellung von Skulpturengruppen Medardo Rossos in der Galerie Thaddaeus Ropac – ätherische Köpfe in Wachs oder Gips. Es war unglaublich ergreifend!“

Das ist ganz das Verdienst von Lord Cholmondeley, der Haus und Gärten für Besucher geöffnet hat, die Familientradition des Sammelns mit höchsten Ansprüchen neu aufleben zu lassen, damit „Houghton zu einem Must-See für Menschen wird, die sich für zeitgenössische Kunst und Skulptur interessieren.“

David Cholmondeley ist der 7. Marquess of Cholmondeley und in seiner Funktion als Lord Great Chamberlain einer der höchsten Würdenträger im Zeremoniell des britischen Königshauses. Dieses Amt wurde ihm nach dem Tod seines Vaters 1990 übertragen. Lord Cholmondeley, 58, lebt mit seiner Frau Rose, geborene Hanbury, und den gemeinsamen Kindern in Houghton Hall in der Grafschaft Norfolk. Das Landhaus, Sitz der Marquesses of Cholmondeley, ist eines der prächtigsten Zeugnisse palladianischer Architektur in England. Errichten ließ es um 1720 der erste Premierminister Großbritanniens, Sir Robert Walpole, Besitzer einer hochkarätigen Altmeistersammlung. Dessen Tochter Mary heiratete in die Cholmondeley – Familie ein. Der durch die Linie seiner Großmutter auch mit den Familien Sassoon und Rothschild verwandte Lord Cholmondeley, ausgebildet am Eton College sowie an der Pariser Sorbonne und als David Rocksavage als Filmregisseur tägig, ist überaus kunstaffin. Seit 1998 fördert er vermehrt zeitgenössische Kunst.

Aufgezeichnet von Doris Krumpl, Pressesprecherin des Dorotheum

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