BODY OF WORK
In Österreich wurde sie lange Zeit verkannt bis gefürchtet, international hingegen früh beachtet: VALIE EXPORT, Pionierin der Medienkunst. Ein Interview mit DOROTHEUM myART MAGAZINE über Freiräume und Provokation, über das Sammeln
und über Kreditkarten, die unter die Haut gehen.
Dorotheum myArt Magazine: Das Cover des aktuellen DOROTHEUM myART MAGAZINE ist Ihrer 1970 entstandenen Fotoserie „Body Sign“ entnommen. Darin inszenieren Sie sich vor der Kamera, präsentieren das Tattoo eines Strumpfbandes auf Ihrem Oberschenkel. Beschreiben Sie bitte die Hintergründe. Gab es Anweisungen? Welche Idee steckte dahinter?
VALIE EXPORT: Dieses Bild ist aus einer sogenannten Körperaktion entstanden, damals gab es das Wort „Performance“ noch nicht. Ich wollte eine Tätowierung am Körper tragen, verstanden als Kunstwerk, das so lange lebt wie ich. Man sieht es ja nicht so oft, weil es meist verdeckt ist. Deshalb entstand diese Fotoserie. Es ist so etwas wie ein Körper-Identitäts-Transfer: Ich bin eine Künstlerin, ein Mensch, eine Frau, die dieses Kunstwerk mit sich herumträgt – direkt am Körper.
Der nächste Schritt wäre dann ein Implantat?
Dazu fällt mir ein: In meinem Film „Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut“ (1986) gibt es eine Szene, in der ein Freier einer Dame an der Bar seine Kreditkarte unter die Haut schiebt und auf diese Weise zahlt.
Weder Tattoos noch englische Titel waren damals fancy. Warum „Body Sign“?
Der Begriff kam aus dem US-Umfeld, wo Body Art durch Fluxus und Happening bereits viel präsenter war … obwohl Oswald Wiener bei einem Auftritt der Wiener Gruppe diesen auch schon „Happening“ nannte, im Sinne von „what happens“. Gewisse Richtungen sind global vorhanden, jeder löst sie auf seine Art. Das sind Schritte in der Wahrnehmung, ein ähnlicher Denkprozess.
Ihr berühmtes Strumpfband-Tattoo steht als Symbol für Unterdrückung und Versklavung. Welche Bewandtnis hatte die geplante Schlange, die sich über den Bauch bis zum Hals hinaufwinden sollte?
Es blieb bei der Idee! Ich wollte mir zusätzlich zum Strumpfband eine Schlange auf den Hals und auch Speisereste in die Nähe des Mundes tätowieren lassen – als hätte ich schlampig gegessen. Jeder meinte: „Um Gottes willen, alle werden sagen: ,Da hast du etwas beim Mund …!‘“ In den 1970er-Jahren ist man eben an die Dinge ganz anders herangegangen.
… und mit jugendlicher Power. War es damals ein Gefühl der Wut oder ein außerordentliches Bewusstsein von Freiheit? Lust an der Provokation?
Es war ein Gemisch. Es war eigentlich Aufstand.
Tattoos waren zu dieser Zeit absolut nicht in. Sie exponierten Ihren Körper auch im TAPP- und TASTKINO, brachen laufend Tabus. Wo kam Ihr unglaublicher Mut her?
Schwer zu sagen. Ich war mir bewusst, was ich machen will, und das habe ich durchgezogen.
Was gaben Sie später, als Medienkunst-Professorin, Ihren Studierenden mit auf den Weg?
Am wichtigsten ist die Selbstanalyse: In sich hineinhorchen, was man machen will und wie. Und immer wieder Experimente machen. Was auch immer spannend war: Meine Studierenden mussten ihre Arbeiten auf anderen Kunstunis präsentieren.
Sie haben einen Mann – Ihren damaligen Lebenspartner, den Künstler Peter Weibel – wie einen Hund an der Leine durch die Straßen geführt, haben sitzend mit offenem Schritt und Maschinengewehr posiert, den Feminismus auf die Spitze getrieben. Wer sind Ihrer Meinung nach die Revoluzzer von heute? Hacker zum Beispiel?
Ich denke, dass der digitale Bereich viel hergibt, weil hier noch so vieles ungeschützt ist.
Im digitalen Bereich bewegen wir uns an der Grenze zum Illegalen. Wo gibt es sonst Raum für Provokation?
Illegal waren unsere Aktionen auch.
Einen Mann Gassi zu führen war gegen das Gesetz?
Es war weder illegal noch legal. In dieser gesellschaftlichen und politischen Umbruchszeit damals existierte, trotz aller Unterdrückungen, noch ein gewisser Freiraum: benützbare Räume, die man nicht zuordnen konnte. Ob das TAPP- und TASTKINO heute noch möglich wäre? Ich sage nein! Sofort würde die Polizei kommen und mich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses abführen. Das ist mir nie passiert.
Apropos Freiraum: In den 1960ern und bis in die 1980er-Jahre stellte Medienkunst, die Idee des „Expanded Cinema“, eine Nische für Künstlerinnen dar. Weil sie noch unbesetztes Gebiet war, anders als die männerbesetzten klassischen Kategorien Gemälde und Skulptur. Gibt es heute überhaupt noch Nischen? Wenn ja, wo?
Am ehesten im Digitalen. Die Wiener Secession beispielsweise greift das in ihrem Ausstellungsprogramm auf: Hier sind immer wieder zeitgenössische Auseinandersetzungen mit Medien zu sehen.
Sie haben zeitlebens mit Film gearbeitet, u. a. mehrere Langfilme produziert. Welche Bedeutung hat der damals „experimental“ genannte Film aus Ihrer Sicht heute?
Experimentelles zählt heute weniger, man will alles gleich richtig machen. Das Wichtigste damals war hingegen zu experimentieren. Jede Leistung, auch in der Wissenschaft, kommt ja vom Experimentellen her.
Welche Filmsprache sagt Ihnen am meisten zu?
Jene des kanadischen Experimentalfilmers, Musikers und Künstlers Michael Snow. Auch sein Buch „Cover to Cover“ von 1975 hat meine Ästhetik mitgeprägt.
Sie haben Ihren Künstlernamen ausgehend von einer Packung „Smart Export“-Zigaretten gebrandet und den Namen später als Markennamen eintragen lassen. Wo befindet sich besagtes Zigarettenpackerl heute?
Es ist im Museum of Modern Art (MoMA) in New York, hat
dort seinen – vielleicht ewigen – Platz eingenommen.
Ihr Signature-Foto mit der Packung ist aus heutiger Sicht inszeniert wie ein Selfie. Wie beurteilen Sie den grassierenden Selfie-Kult?
Hierbei handelt es sich um kein Selfie! Ich machte meine ersten entsprechenden Fotos mit zirka 16 Jahren. Damals hieß es aber noch „mit Selbstauslöser“. Ich verstehe, dass Selfies heute attraktiv sind, man kann sie sofort verschicken und erhält welche
als Antwort.
Interessiert Sie der wirtschaftliche Aspekt des Künstlertums?
Natürlich, er gehört ja dazu. Ich beobachte, wie sich die Preise für zeitgenössische Kunst verändern, sehe mir an, in welchen Sammlungen Werke sind – aber nicht akribisch-systematisch, sondern eher spontan.
Sammeln Sie Kunst?
Schon vor 30, 40 Jahren hätte ich gern internationale Kunst gekauft, das war mir finanziell aber nicht möglich. Was aber wohl funktionierte, war der Austausch mit anderen Künstlerinnen und Künstlern, mit deren Arbeiten ich mich in meiner Wohnung umgebe. Der Austausch ist ein laufender Prozess. Ich habe mehrere Lieblingsobjekte.
Was verbindet Sie mit dem Dorotheum?
Ich gehe seit Jahren ins Dorotheum und sehe mir Kunst und Kataloge an, manchmal kaufe ich Schmuck.
Würden Sie sich generell als Sammlertyp bezeichnen?
Eher schon. Ich habe eine große Sammlung von Salz- und Pfefferstreuern, von historischen bis zum modernen Design – kleine, hübsche Objekte, die leicht zu sammeln sind; sie geben oft Ausdruck vom Herkunftsland und seiner Tischkultur. Die Verwendung eines Streuers setzt das Zusammensein am Tisch voraus. Er ist also ein sozialer Gegenstand und auch sehr interaktiv!
Ganz zum Schluss: Beschreiben Sie sich bitte mit einem Wort.
Anti-handsome.
Das Gespräch führte Doris Krumpl, Pressesprecherin des Dorotheum.
VALIE EXPORT
ist eine der bedeutendsten wie einflussreichsten Pionierinnen der Medien-, Performance- und Filmkunst weltweit. Seit den 1960er-Jahren bewegt sich die 1940 in Linz, Oberösterreich, geborene Künstlerin an den Schnittstellen zwischen Kunst, feministischer Praxis und Theorie. Ihr Konzept des „Expanded Cinema“ erregte mit Körperaktionen im öffentlichen Raum Aufsehen, u. a. mit dem TAPP- und TASTKINO. Ihren Nom de Guerre leitete die Künstlerin von einer populären Zigarettensorte („Smart Export“) ab und ließ ihn als Trademark gesetzlich schützen. Die in Wien beheimatete zweifache documenta-Teilnehmerin (1977, 2007) lehrte an Kunsthochschulen in den USA, in Berlin und Köln. VALIE EXPORT, Trägerin zahlreicher nationaler wie internationaler Kunstpreise und Auszeichnungen, war 1980 neben Maria Lassnig die erste Frau, die Österreich bei der Biennale Venedig vertrat. 2017 wurde in Linz das VALIE EXPORT Center Linz, Forschungszentrum für Medien- und Performancekunst eröffnet.
Besuchen Sie bis 10. Januar 2021 die Ausstellung „Hommage à VALIE EXPORT“
Lentos Kunstmuseum in Linz, in Kooperation mit dem VALIE EXPORT Center
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