DIONYSISCH
Die Prachtbauten der Wiener Ringstraße beschwören das Lebensgefühl einer Epoche. Man inszeniert Kunst und Gesellschaft. Auch der junge Gustav Klimt wird zur Ausstattung des Burgtheaters herangezogen und schafft Prächtiges.
Boomtown Wien in den 1880er-Jahren
In der theaterverliebten Stadt gilt der Neubau des Wiener Burgtheaters als besonders prestigereich. Der junge Gustav Klimt, obwohl kaum 24 Jahre alt, wird 1886 zur Ausstattung des Theatertempels herangezogen. Gemeinsam mit Franz Matsch und seinem Bruder Ernst Klimt soll er in den beiden prächtigen Stiegenhäusern einen mehrteiligen Bilderzyklus schaffen, Meilensteine in der Entwicklung des europäischen Theaters darstellend.
Über die einzelnen Projektphasen sind wir gut informiert.
Am 20. Oktober des Jahres tagt das Hofbaukomitee. Laut „Akkordprotokoll“ wird Klimt auf der Grundlage gemalter
Skizzen für das große Mittelfeld zum Thema „Das antike Theater in Taormina“ und mit weiteren kleineren Szenen beauftragt. Zudem wird Klimt aufgefordert, auch für die bislang nicht berücksichtigten Giebelfelder einen Entwurf einzureichen. Die Wahl des Themas bleibt ihm freigestellt. Diese ungewöhnliche Entscheidung mag darauf zurückzuführen sein, dass Position und Format – es geht um eine 12 Meter lange, aber schmale Bogenfläche – nicht leicht zu bewältigen sind.
Altar des Dionysos
Klimt aber findet für das Problem, mit dem im Dorotheum nun zur Versteigerung kommenden Entwurf, eine souveräne Lösung. Unter dem Scheitelpunkt des Bogens besetzt ein Altar das Zentrum der Darstellung, darauf die Büste des antiken Dionysos. Die kultisch-rauschhaften Veranstaltungen, Zeremonien und Musenspiele zu seinen Ehren gelten als Ursprung des Theaters. Neben dem Altar reckt sich links eine kniende, nackte Frau dem Abbild des Gottes zu. Es ist eine Mänade, eine der Begleiterinnen des Dionysos, mit dem Thyrsosstab als Attribut in ihrer Hand. Auf der rechten Seite liegt von flatterndem Weiß umhüllt hingestreckt eine zweite Dienerin des Dionysos, erschöpft nach der „Raserei“, dem Gott des Weines einen goldenen Lorbeerkranz entgegenhaltend.
Klimt entwickelt die Komposition in starker Untersicht. So suggeriert er erfolgreich einen Treppenaufgang, den der Betrachter hinaufzuschreiten scheint. Hinter der Terrasse, auf der sich die Altarszene abspielt, öffnet sich eine Tempelarchitektur, deren Konstruktion Klimt in der Untermalung mit feiner Bleistiftvorzeichnung skizziert. Im linken Bildzwickel gibt Klimt einen spitzohrigen Satyr aus dem Gefolge des Dionysos, der die Handtrommel schlägt, als muskulösen Männerakt wieder. Während die Komposition durch kenntnisreiche Motivik besticht, changiert die Maltechnik souverän zwischen feiner Bleistiftvorzeichnung, lasierendem Farbauftrag und lebhaften Wechseln zu dynamisch-pastosen Stellen. In Summe entsteht eine spannungsreiche Dynamik, überwölbt vom „tiefblauen griechischen Himmel“ (Nossig 1888). Als die Kommission dem Entwurf zustimmt, geht Klimt an die Herstellung jener Übertragungskartons auf Papier, die vor etlichen Jahren auf dem Dachboden des Burgtheaters entdeckt wurden und jetzt im Pausenfoyer des Theaters zugänglich sind.
Mithilfe der Kartons entsteht das finale Bild in Öl-Mischtechnik auf Marmorputz. Motivisch ändert Klimt nur noch wenig. Das betrifft besonders die liegende Frau rechts. Sie ist in der Endfassung völlig nackt dargestellt, womit sie noch mehr in Richtung von Klimts „Femme-fatale“-Darstellungen geht. Auch der nackte Knabe, der in hellen Farben links im Hintergrund aufscheint, wird geändert. Aus ihm wird eine dunkel patinierte Bronzefigur im Stil der griechischen Archaik.
Ruhm des europäischen Historismus
Bei der feierlichen Eröffnung des neuen Theaterhauses erhalten Klimts Stiegenhausbilder großen Beifall, Kaiser Franz Joseph I. zeichnet den Künstler mit dem Goldenen Verdienstkreuz aus, und schon wenig später folgt der Auftrag zur Ausstattung des Stiegenhauses im Kunsthistorischen Museum. Wie schon im Burgtheater entsteht auch dort dank Gustav Klimt einer der kostbarsten Innenräume des europäischen Historismus.
Der in Öl auf Leinwand ausgeführte Entwurf zum Dionysosaltar
gelangt zu einem unbekannten Zeitpunkt in den Besitz des Sammlers Eduard Palmer. Klimts Zeitgenossen ist er als Bankier und Generaldirektor der Österreichischen Länderbank bekannt und mehr noch als Finanzberater der legendären Schauspielerin Katharina Schratt. Auch der Kaiser schätzt Palmer in dieser Funktion und empfängt ihn angeblich wiederholt in Ischl und in Schönbrunn in Privataudienz. Für Ausstellungen wird das Gemälde nur selten entliehen, zuletzt 2017 an das Untere Belvedere, als Teil der Ausstellung „Klimt und die Antike. Erotische Begegnungen“ mit dem „Altar des Dionysos“ als ein Glanzlicht der Schau.
AUkTION
Klassische Moderne, 24. November 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386