Max Oppenheimers bei seiner Flucht 1938 in Wien zurückgelassenes Selbstporträt befand sich ein halbes Jahrhundert lang im Wien Museum. Nach seiner Restitution kann dieses Hauptwerk des österreichischen Expressionisten gemeinsam mit zwei weiteren seiner Bilder zur Auktion angeboten werden.
Das Porträt sprengt fast den Rahmen. Die gespreizten Beine füllen das Bild bis in die letzte Ecke aus, während der leicht geneigte Kopf schon über die Rahmenkante führt. Es ist, als wäre dem Maler im Zuge des Malens die Leinwand zu klein geworden, als hätte er mit impulsiver Energie sich selbst immer näher an den Betrachter herangeführt.
Es ist ein Selbstporträt des Malers Max Oppenheimer (1885–1954), eine faszinierende Darstellung zwischen strotzendem Selbstbewusstsein und innerer Zerrissenheit. Seine Position in aufrechter Haltung im Zentrum des Bildes, die Arme, voll Tatkraft mit Malpalette und Pinsel angespannt erhoben, und das eine zusammengekniffene Auge vermitteln eine ungemein konzentrierte, ja resolute Präsenz. Allein die in zahllose Splitter zerbrochenen Farbflächen stürzen diesen Eindruck der Sicherheit in ein wankendes, spannungsgeladenes Chaos
„Vivisektion“, ein medizinischer Begriff für die Operation am lebenden Organismus, wurde in der Kunstkritik der 1920er des Öfteren als treffende Bezeichnung für das neue Interesse der Kunst, die psychologischen Facetten eines Menschen zu erfassen, angewandt. Zweifellos ein Meister dieses schonungslosen wie verständnisvollen Sezierens individueller Eigenschaften war der Wiener Maler Max Oppenheimer. Als 1885 geborener Sohn eines Redakteurs der „Neuen Freien Presse“ und als Akteur der späten Wiener Moderne entwickelte Oppenheimer sehr früh ein besonderes Interesse für die Natur des Menschen.
Als Kenner und Mitglied der „Cafe-Central-Clique“ in Wien bot sich ihm kurz vor 1910 ein reiches Umfeld, ungewöhnliche Persönlichkeiten wie Adolf Loos, Arthur Schnitzler, später Heinrich und Thomas Mann in ihren Eigenheiten zu studieren und auf ungewöhnliche Weise zu erfassen.
Selten hingegen und anders als sein großes Vorbild Egon Schiele beschäftigte ihn das eigene Porträt, um genau zu sein in jedem Schaffensjahrzehnt vor der Emigration nur einmal: 1908, 1911, 1924 und das letzte Mal 1932. Im Frühjahr desselben Jahres war der Maler von Berlin nach Wien zurück übersiedelt und hatte ein Atelier in der Neulinggasse 39 im 3. Bezirk bezogen. Hellsichtig hatte er die wachsende politische Aggression in Deutschland als unabwendbare Gefahr für sich als jüdischen Künstler erkannt. In Wien war er in seinem Wirken aber noch nicht eingeschränkt und in den kommenden sechs Jahren fand Oppenheimer immer wieder Möglichkeiten für Ausstellungen, Verkäufe und intensives Arbeiten.
Bald nach seiner Ankunft erhielt er im Künstlerhaus die Möglichkeit zu einer repräsentativen Schau. Von November 1932 bis Jänner 1933 wurden mehr als 30 Ölbilder ausgestellt, darunter auch dieses, wohl eigens dafür gemalte Selbstbildnis und zwei weitere Porträts ihm bekannter Persönlichkeiten: von Martin Hürlimann (1897–1984), der als Verleger und Fotograf in Zürich die Kulturzeitschrift „Atlantis“ gegründet hatte, und von Moissey Kogan (1879–1943), einem aus Bessarabien stammenden Bildhauer und Grafiker, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Mit breiten, schnellen Pinselzügen umreißt Oppenheimer die wesentlichen Charakterzüge, wobei das Porträt von Hürlimann mit den gespiegelten Brillengläsern und der Präsenz des Kopfes an das berühmte Porträt von Thomas Mann erinnert. Das Bildnis Kogans hingegen ist noch reduzierter und mit dem malerischen „Gewölk“ des Hintergrundes auf subtile Art verwoben.
Im März 1938, in der Nacht vor der Grenzschließung, gelang Max Oppenheimer gerade noch rechtzeitig die Flucht in die Schweiz, von wo er im November nach New York emigrierte. Kurz danach wurde sein Atelier in Wien geplündert, sein letztes Selbstporträt und die beiden Porträts waren Teil des Raubgutes. Sie gelangten in der Folge in die Hände des Kunstmalers und NSDAP-Mitglieds Julius Fargel, der die Werke im Februar 1939 den Städtischen Sammlungen (heute Wien Museum) spendete. 1994 wurde das Gemälde in der ersten großen Retrospektive des Künstlers nach dem Krieg im Jüdischen Museum Wien präsentiert. Nach der im Sommer erfolgten Restitution an die Erben nach Max Oppenheimer – zwei gemeinnützige Organisationen – können alle drei Werke in der Auktion Moderne im November 2024 im Dorotheum angeboten werden – 70 Jahre nach Max Oppenheimers Tod am 19. Mai 1954.
AUKTION
Moderne, 19. November 2024, 18:00 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien
20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386