Die Themse entlang, über Märkte und in Cafés, zu Museen und Kunsträumen: Martina Batovic, Repräsentantin des Dorotheum in London und überzeugte Wahl-Londonerin, führt durch das alte und neue London zu ihren Lieblingsplätzen.
Wie viele andere Londoner auch wurde ich nicht hier geboren, lebe hier aber seit mehr als zehn Jahren. Ich bin also eine Londonerin, und London ist meine Stadt. Da sie das Beste aus Menschen herauszuholen vermag, überrascht es wenig, dass hier immer schon Trends und Entwicklungen von historischem Ausmaß ihren Anfang genommen haben.
Schlendert man durch London, wird man unweigerlich von jener Tradition und Vergangenheit in Bann gezogen, die die Stadt atmet – gepaart mit einer einzigartigen Atmosphäre von Dynamik und Lebensfreude. Während der Osten als Wirtschaftszentrum gilt, spielt sich das kulturelle und gesellschaftliche Leben vor allem im West End ab.
Die Geschäftsräume des Dorotheum befinden sich im Herzen von St James’s, einen Steinwurf von Buckingham Palace, St James’s Palace, Green Park und St James’s Park entfernt. Das Dukes Hotel, das meinen Weg zur Arbeit säumt, ist bekannt für seine Martinis. Von meinem Büro aus blicke ich auf das imposante Spencer House. Wenngleich wir uns hier inmitten einer der größten und belebtesten Städte der Welt befinden, herrscht in unserer Straße die Stille eines englischen Dorfes.
Kunstinstitutionen und Rückzugsräume
Die Londoner sind stolz darauf, jeden Winkel ihrer Stadt zu kennen. Ich persönlich halte stets die Augen nach neuen Lokalen abseits des Rummels offen. In der Crown Passage in St James’s zum Beispiel oder in der Avery Row, einer Seitengasse der Bond Street (im Everbean-Café gibt’s Londons besten Zitronenkuchen!), wird man immer fündig.
Gleich um die Ecke meines Büros befindet sich eine meiner liebsten Kunstinstitutionen, die Royal Academy of Arts. 1768 von Künstlern für Künstler gegründet, ist sie dem Prinzip der Unabhängigkeit bis heute treu geblieben.
Der kürzlich renovierte Academicians’ Room (1) eignet sich hervorragend für diskrete Kundengespräche, ist man hier doch von wechselnden Kunstwerken der Akademiemitglieder oder gar von den Künstlern selbst umgeben. Bei der Renovierung des Raumes aus dem Jahr 1883 ließ das Martin Brudnizki Design Studio die wunderschöne, in Rot gehaltene ursprüngliche Wandtäfelung unberührt; man sieht sogar noch die Aufhängelöcher von Zeichnungen, die Künstler einst ausstellten.
In unmittelbarer Nähe des Sackler-Flügels im zweiten Geschoss befindet sich der bestgehütete Schatz der Royal Academy: „Tondo Taddei“ (2), die einzige in Großbritannien befindliche Marmorskulptur Michelangelos. Dies ist einer meiner Lieblingsorte in London. Wenn ich Zeit finde, komme ich hierher, um einen Blick auf das Relief zu erhaschen – so verborgen, wie es hängt, scheine ich es stets für mich alleine zu haben.
Köstliche Versuchungen
Ein Stück weiter wartet eine köstliche Versuchung: die Makronen in dem einer goldenen Höhle gleichenden Ladurée-Shop am Piccadilly. Das Kaufhaus Fortnum and Mason gleich gegenüber macht diesen Stadtteil endgültig zum Ort der Verlockungen. Ganz in der Nähe befindet sich der Dover Street Market. Ursprünglich 2004 in der Dover Street gegründet, übersiedelte der Concept-Design-Store erst jüngst in die Haymarket Street. Ich liebe die Atmosphäre des stilvollen Durcheinanders.
Will man sich zwischendurch mit einem gesunden Mittagessen, Tee oder Kaffee stärken, dann ist man in der Rose Bakery (3) genau richtig. Die Mischung aus kühlem Industriedesign und der Wärme von Speisen und Getränken finde ich sehr ansprechend.
Ein weiteres verborgenes Juwel ist Liberty, eines der legendärsten Warenhäuser Englands. Seit seiner Gründung vor 141 Jahren will man der Welt der Haushaltswaren und Modeartikel hier seinen eigenen Stempel aufdrücken. Oscar Wildes berühmtes Bonmot, das Liberty sei „das erklärte Ziel des kunstaffinen Einkäufers“, gilt jedenfalls noch heute.
London pulsiert.
Ein langer Arbeitstag lässt sich am besten mit einem erfrischenden Drink zu Ende bringen. Zu meinen liebsten Orten hierfür zählen die Bar im überwältigenden Jugendstil-Luxushotel Claridge’s (4) im Stadtteil Mayfair und die Scarfes Bar im Rosewood Hotel in Holborn; beide bieten erstklassige Drinks in einem entspannten Ambiente von unaufdringlichem Luxus.
Kunst und Kultur
Auch in Sachen Kunst und Kultur ist London kaum zu überbieten. Nehmen Sie die Royal Albert Hall: die geschichtsträchtige Atmosphäre, die in der Konzerthalle herrscht, ich staune jedes Mal aufs Neue darüber, in welch verblüffendem Einklang ihre Architektur mit den unterschiedlichsten Musikrichtungen zu treten vermag, die im Inneren zur Aufführung gelangen.
Im Innenhof des nahe gelegenen Victoria and Albert Museum im Stadtteil South Kensington ist die National Art Library (5) untergebracht – Londons zentrale Anlaufstelle für Kunst-Fachbücher und die schönste Bibliothek ihrer Art. Die Recherchearbeit in solch prächtiger Umgebung fällt einem leichter – vorausgesetzt, man widersteht der Versuchung, einen Blick auf all die wunderbaren Kunstausstellungen im Museum zu werfen.
Traditionelle Märkte – moderne Lokale
Zu jenen Dingen, die ich an London am meisten schätze, gehört seine Vielseitigkeit. Wenige Städte vereinen Tradition und Moderne auf so harmonische Weise. Ein gutes Beispiel dafür sind die alten Märkte des East End: Auf dem Smithfield Market, einem der weitläufigsten Großmärkte für Fleisch in Europa, werden seit 800 Jahren auch Nutztiere versteigert.
Der 1887 eröffnete Old Spitalfields Market dient heute als beliebte Einkaufshalle für Mode, Kunsthandwerk und vieles mehr. Man spürt förmlich, wie der Geist des neuen London Stück für Stück die Backsteinbauten dieses alten Stadtteils durchzieht. Unweit von hier wird in der idyllischen Columbia Road sonntags ein Blumenmarkt abgehalten, für den sich großes Verhandlungsgeschick empfiehlt: Die feilgebotenen Blumen sind ebenso atemberaubend wie die Verkäufer unerbittlich.
London schmiegt sich an die Themse und ihre vielen Kanäle und Grünflächen. Zahlreiche königliche Gärten zieren die Stadt nördlich des Flusses, während großzügig angelegte öffentliche Parkanlagen als Lunge Südlondons dienen. Bei einem Spaziergang durch den Holland Park empfiehlt sich ein Besuch des Kyoto Garden, eines Ortes der Stille und inneren Einkehr.
Südlich des Flusses muss man den Richmond Park mit seinem frei laufenden Wild gesehen haben. Auch eines der nettesten Restaurants der Stadt, die Petersham
Nurseries (6), befindet sich in der Nähe.
Spaziergang durch London
Spaziergänge am Südufer der Themse sind überaus lohnend. Geht man etwa vom London Eye an der Hayward Gallery vorbei in Richtung London Bridge, sticht einem The Shard ins Auge: Europas höchstes Gebäude, von Renzo Piano entworfen und 2013 eröffnet, überragt majestätisch die kleinen Stände des traditionellen Borough Market (7) und bietet einen atemberaubenden Blick auf London.
Weiter flussabwärts kommt man an einem Nachbau des Globe Theatre vorbei.
Für Liebhaber von William Shakespeare sind Theateraufführungen hier ein Muss. Der Fluss schlängelt sich dann weiter zur Tate Gallery of Modern Art, deren im Juni 2016 eröffnete Erweiterung, das Switch House, sich in Londons unvergleichliche Kunst- und Museumslandschaft einfügt.
Auf ihrem Weg zur Flussmündung im Osten passiert die Themse schließlich das Old Royal Naval College in Greenwich; von hier aus eröffnet sich ein herrlicher Blick auf das Royal Observatory, Bezugspunkt für die Lage des Nullmeridians.
Von den schwarzen Taxis über die roten Doppeldecker-Busse, Big Ben, das London Eye und die allgegenwärtigen Under-ground-Schilder bis hin zu den roten Telefonzellen (die übrigens von Giles Gilbert Scott in Anlehnung an das Mausoleum des auf dem Friedhof von Old St Pancras ruhenden Architekten Sir John Soane entworfen wurden)… London ist auf seine Art einzigartig! Die wahre Schönheit der Stadt liegt darin, dass es hier immerfort Neues zu entdecken gibt. Ob man Feinschmecker ist oder Musikliebhaber, sportbegeistert oder kunstaffin – Londons globale Strahlkraft ist unübertroffen und macht mich zu dessen stolzer Bewohnerin.
Martina Batovic ist Leiterin der Dorotheum-Repräsentanz in London.
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