Ein Bild konzentrierter Hingabe
Dieses Gemälde inspirierte niemand Geringeren als Malerstar Vermeer. Jahrhundertelang stand es in Familienbesitz und war der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Nun kann es im Rahmen der Auktion Alte Meister besprochen werden.
1681 wurden das Gemälde Felice Ficherellis und seine Komposition von Filippo Baldinucci erstmals beschrieben. Seither war es jahrhundertelang in Familienbesitz und der Forschung nicht zugänglich. Geht man von seiner dokumentierten Geschichte aus, wird das Werk hier nun zum ersten Mal zum Verkauf angeboten. „Die heilige Praxedis“ dürfte die Urversion einer Bildkomposition sein, von der noch zwei weitere Fassungen bekannt sind: Eine – sie gehörte früher zur Sammlung Carlo del Bravo in Florenz und befindet sich heute in einer Privatsammlung in Ferrara – trägt ebenfalls die Signatur von Felice Ficherelli. Bei der zweiten handeltes sich um die berühmte, Vermeer zugeschriebene Kopie, die am 8. Juli 2014 bei Christie’s London um 7,9 Millionen Euro versteigert wurde.
Vermeer zum Vorbild
Vermeers Fassung des Bildes war ursprünglich ebenfalls Ficherelli zugeschrieben worden. Als sie 1969 als Leihgabe für eine Ausstellung über Florentiner Barockmalerei in das New Yorker Metropolitan Museum of Art kam, entdeckten dessen Restauratoren aber eine Signatur von Vermeer. Man schloss daraus, dass Vermeer eine Kopie nach Ficherelli gemalt hatte. Laut dem Kunsthistoriker Arthur Wheelock ist Vermeers Kopie sein frühestes datiertes Werk – die Gemäldestudie eines jungen Künstlers mit Interesse an der italienischen Kunst, der gerade erst zum Katholizismus konvertiert war. Das Gemälde scheint Vermeer nicht nur künstlerisch, sondern auch wegen seines ungewöhnlichen Andachtscharakters tief beeindruckt zu haben.
Angenommen, dass Vermeer tatsächlich Zugang zu italienischen Gemälden hatte, ohne selbst je in Italien gewesen zu sein, stellt sich doch die Frage: Warum hätte er ein Werk von Ficherelli kopieren sollen?
Natürlich kann es eine Auftragsarbeit gewesen sein. Vielleicht hat ihn auch das Motiv besonders angesprochen:
Die heilige Praxedis – ein Vorbild
Die heilige Praxedis genoss im 17. Jahrhundert bei den Jesuiten, die sich der frühen Traditionen der Kirche besannen, besondere Popularität. Vermeers Interesse am jesuitischen Gedankengut scheint jedenfalls groß gewesen zu sein. Obwohl in einer reformierten Kirche getauft, heiratete er 1653 in eine katholische Familie hinein und dürfte wohl kurz davor konvertiert sein. Zeit seines Lebens war er den Jesuiten verbunden; so trug etwa sein jüngster Sohn den Namen Ignatius. Die Würde des Dienens steht nicht nur bei der „Heiligen Praxedis“ als Motiv im Zentrum; darum geht es auch in anderen frühen Werken Vermeers wie etwa „Christus bei Martha und Maria“, das sich in der Schottischen Nationalgalerie in Edinburgh befindet.
Die heilige Praxedis war eine römische Jungfrau und Märtyrerin des 2. Jahrhunderts, Tochter des römischen Senators Pudens und Schwester der heiligen Pudentiana. Beide Schwestern wurden nach ihrem Tod dafür verehrt, dass sie sich christlicher Märtyrer angenommen hatten. Das Blut, das sie auswringt, ist das eines enthaupteten Märtyrers, der hinter ihr auf dem Boden liegend zu sehen ist. Eine zweite Frau, vielleicht die heilige Pudentiana, erscheint rechts im Hintergrund vor dem Eingang eines großen antiken Gebäudes.
Das Gemälde im Dorotheum
Eine technische Analyse und Infrarotfotografien von Ficherellis Gemälde, das am 17. Oktober im Dorotheum Wien zur Versteigerung kommt, haben mehrere „pentimenti“ – Änderungen in der Bild komposition – enthüllt, die während der Erstellung des Werkes vorgenommen wurden. Demnach sollte es ursprünglich ein viel reicher verziertes Gebäude zur Rechten und eine skizzierte toskanische Säule zur Linken aufweisen; dort ist nun ein einfacher Quader zu sehen. Auch der enthauptete Märtyrer scheint anders angedacht gewesen zu sein. Die Tatsache, dass sowohl die in Ferrara befindliche Version als auch Vermeers Kopie detailliert diesem Werk folgen, lässt mit großer Sicherheit darauf schließen, dass es sich beim vorliegenden Werk um die Urfassung des Gemäldes handelt. Eine in den Uffizien erhaltene Zeichnung beweist darüber hinaus, dass Ficherelli mit verschiedenen Kompositionen für das Gemälde experimentierte. Die zentrale Figur, die sich hingebungsvoll dem Gefäß mit dem Blut des Märtyrers zuwendet, scheint schon in diesem frühen Stadium festgestanden zu sein. Der bauliche Hintergrund und die Kulisse der im Mittelpunkt stehenden Szene erfuhren jedoch mehrere Änderungen. In der Zeichnung platzierte Ficherelli die Figur zur Rechten und einen kleinen römischen Tempel links im Hintergrund. Als er auf der Leinwand zu arbeiten begann, wurde eine zunächst vorhandene Säule übermalt, als wollte er damit den Tempel zur Linken in Erinnerung rufen – Ähnliches könnte bei der Verzierung des Gebäudes zur Rechten der Fall gewesen sein.
Eine plausible Chronologie
Diese Erkenntnisse legen eine plausible Chronologie nahe, die sich aus den verschiedenen Entwicklungsstadien ergibt: Die Zeichnung repräsentiert die erste Phase, in der die Gestalt der Heiligen bereits konzipiert ist. Ihr folgt die hier vorliegende erste Fassung der „Heiligen Praxedis“ als Gemälde, die im Zuge ihrer Ausführung eine Reihe von Veränderungen erfuhr und damit eine zweite und dritte Phase der Komposition nachvollziehbar macht. Welche der beiden anderen Versionen – jene von Vermeer oder die in Ferrara befindliche – als nächste entstand, lässt sich auf Grundlage dieses Gemäldes allerdings nicht eruieren.
Ficherellis „Heilige Praxedis“ wird in einem geschnitzten und vergoldeten florentinischen Holzrahmen – vermutlich dem Original – aus dem 17. Jahrhundert angeboten.
Information: Mark MacDonnell, Experte für Alte Meister
AUKTION
Alte Meister
17. Oktober 2017
Palais Dorotheum Wien