Franz West: Neurosen Offenbarer

Franz West ist eine der einflussreichsten und eigenwilligsten österreichischen Künstlerpersönlichkeiten der Postmoderne. Mit seinen Arbeiten hat er sich längst einen bedeutenden Platz in der jüngeren Kunstgeschichte erobert.

Das Œuvre des mit Materialien und Medien experimentierenden Künstlers ist weit gefasst: Skulpturen, Installationen, Möbelobjekte und Papierarbeiten zählen ebenso dazu wie Videoarbeiten und Performances.

Schon als Teenager lernte Franz West (1947–2012) die Kunst der damaligen Avantgarde kennen und begann Anfang der 1970er-Jahre selbst künstlerisch zu arbeiten. Hermann Nitschs Aktionen bezeichnete er später als traumatische Erlebnisse. Im Alter von 30 Jahren begann West sein Studium an der Akademie der bildenden Künste unter Bruno Gironcoli.

Der ersten Präsentation seiner Arbeiten in der Wiener Galerie Hamburger folgten zahlreiche Ausstellungen. 1993 war er für den österreichischen Beitrag zur Biennale in Venedig verantwortlich, 1992 und 1987 nahm er an der documenta in Kassel teil. 2011 erhielt Franz West den Goldenen Löwen der Biennale von Venedig für sein Lebenswerk. Seine Arbeiten finden sich in zahlreichen internationalen Museen, zuletzt wurde er mit Retrospektiven im Centre Pompidou in Paris und in der Tate Gallery in London geehrt.

HINTERGRÜNDIG

Revolutionär, vielfältig, hintergründig, kritisch, manchmal lasziv, voller Witz: Franz West stellte sich mit seiner Kunst gegen Autoritäten seiner Zeit. Nahezu allergisch reagierte er auf Kunstetikette und wehrte sich gegen Vereinnahmung. Theoriebildung in der Kunst kam für ihn einer Zerstörung gleich. Die Wiener Kunstszene prägte West mit einem Mix aus Sprachphilosophie und Trivialkultur.

Entscheidend für seine Arbeiten war die Beschäftigung mit experimenteller Literatur und die Auseinandersetzung mit Philosophie und Psychoanalyse, mit den Schriften von Wittgenstein, Freud, Hegel und Lacan. Philosophie sei für ihn Input, die Kunst hingegen Output, so West. Eine besondere Leidenschaft hegte er für neue Musikrichtungen wie Techno. Helmut Qualtiger oder Joe Berger zählten zum engen Bekanntenkreis. Wests älterer Bruder, der Schauspieler und Dichter Otto Kobalek, war sein „Lebensmensch“.

Von Beginn an setzte sich Franz West in ironischer Weise mit menschlicher Physiognomie auseinander. Aus dem Jahr 1972 stammt seine Arbeit in fünf Abfolgen mit dem Titel „Die Werdung des Seienden“. Schon damals typisch für West: der kühle Charakter dieser Gouachen, das Maskenhafte und Unpersönliche der Gesichter – formale und inhaltliche Charakteristika, die sich auch in späteren Arbeiten finden.

Der Künstler soll ein solches Werk auch als „Watschenaltar“ bezeichnet haben: Franz West Ohne Titel, vormals „Requisit“, 1989 erzielter Preis € 253.000
Der Künstler soll ein solches Werk auch als „Watschenaltar“ bezeichnet haben:
Franz West, Ohne Titel, vormals „Requisit“, 1989
erzielter Preis € 253.000

UNANGEPASST PASSEND

Für Wests Arbeiten generell, besonders aber für seine zum Markenzeichen gewordenen Passstücke gilt: Sie dürfen berührt werden. Das ist nach Wests Ansinnen nicht nur erlaubt, vielmehr wird der Betrachter in Ausstellungen bisweilen explizit zur Interaktion angewiesen. „Hängen Sie sich ein Passstück um den Hals und setzen Sie sich in Szene“, hieß es einmal. Die strenge Trennung von Kunst und ihrem Betrachter wird damit aufgehoben. Kunst soll man verwenden. Die Passstücke sind Prothesen zur Komplettierung des menschlichen Körpers, ausgestattet mit Bezeichnungen voller Sprachwitz wie „Maulschelle“, „Tuttlschupfer“ oder „Schnorrhut“. „Ich behaupte, wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus“, so der Künstler in einem Interview mit der Zeitschrift „Wiener“ im Juni 1980.

Franz West Sechs „Kodu“-Stühle, Entwurf 1999, Ausführung kurz danach, Signatur FRANZ WEST UND DAVID ZWIRNER NEW YORK erzielter Preis € 106.250
Franz West, Sechs „Kodu“-Stühle, Entwurf 1999, Ausführung kurz danach, Signatur FRANZ WEST UND DAVID ZWIRNER NEW YORK
erzielter Preis € 106.250

BESESSEN

Franz Wests Kunst kann man „besitzen“. Ende der 1980er-Jahre begann er mit der Konzeption von Sitzmöbeln die Grenzen zwischen Kunstgegenstand und Gebrauchsobjekt auszuloten. Das Möbel als Kunstgegenstand oder Kunstobjekte als Möbel: Die Intention des Künstlers war hier offenkundig die Vervollständigung seiner Arbeit durch deren Verwendung.

West war davon überzeugt, dass Kunst nie nur eine und schon gar nicht eine absolute Bedeutung hat. Sie solle wandelbar sein, und zwar im Kontext, in dem sie gezeigt wird, und durch die Reaktion des Betrachters. Seine Kunst ist der Beginn eines Dialogs. Franz Wests Arbeiten rücken im wahrsten Sinne des Wortes den Menschen auf den Leib.

Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000
Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000
Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000
Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000
Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000
Franz West Serie: „Die Werdung des Seienden“ eine Abfolge in 5 Bildern, 1972 Gouache, Filzstift auf Papier, davon eines mit Goldfarbe, je ca. 15 x 21 cm Schätzwert € 60.000 – 80.000

AUKTION

Zeitgenössische Kunst, 29. und 30. November 2023, 18 Uhr
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at

Tel. +43-1-515 60-358, 386, 765

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