Ambrosius Benson: Sakrale Verführung

Maria Magdalena: büßende Heilige oder attraktive Schönheit?
Der aus der Lombardei stammende Ambrosius Benson brachte Glanz und Dunkelheit in die Malerei des Nordens und versetzte die biblische Figur in die Gegenwart des flämischen 16. Jahrhunderts.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatten es die Bürger von Brügge noch gut. Auf den reich gedeckten Tischen der Familienbanken aus Florenz oder Mailand türmten sich die Goldmünzen, Händler verkauften Ballen des berühmten flämischen Tuches an Käufer aus Spanien oder dem Baltikum, und auf dem belebten Marktplatz war jede Sprache zu hören. Doch wie konnten diese kosmopolitischen, wohlhabenden Bürger das Leben Christi mit der nötigen Demut betrachten? Wie konnten sie ihren weltlichen Reichtum vor dem Hintergrund göttlicher Armut rechtfertigen und nach außen hin dennoch das Bild modischer und erfolgreicher Zeitgenossen abgeben?

Eine treffende Antwort auf diese Frage hatte der italienisch-flämische Meister Ambrosius Benson. In seiner „Maria Magdalena“, die am 9. November 2022 im Dorotheum in Wien angeboten wird, folgt er nicht nur streng den biblischen Berichten, sondern greift auch auf die italienische mittelalterliche Ikonographie-Tradition zurück. Diese verbindet Magdalena mit zwei anderen Heiligen, die ebenfalls Maria genannt werden: Maria von Ägypten, einer Prostituierten, die 30 Tage lang in der Wüste Buße tat, und Maria von Bethanien, einer Sünderin, die Jesus salbte. Anstelle eines bescheiden gekleideten Mädchens aus dem Heiligen Land sehen wir hier also eine verführerische Schönheit mit geröteten Wangen, die auf ein ziseliertes vergoldetes Parfümgefäß blickt.  

Ambrosius Benson (um 1495–um 1550), Maria Magdalena, Öl auf Holz auf Leinwand, 69 x 54 cm, Schätzwert € 300.000 – 400.000
Ambrosius Benson (um 1495–um 1550), Maria Magdalena, Öl auf Holz auf Leinwand, 69 x 54 cm, Schätzwert € 300.000 – 400.000

Bensons „Maria Magdalena“ trägt nicht nur modische Kleidung – schimmernde Samtstoffe und feine Spitzen, ganz im Sinne des Brugeoise-Luxus der 1530er-Jahre –, sondern ist auch hinsichtlich ihres künstlerischen Rahmens voll im Trend: Die dramatische Dunkelheit des Hintergrunds und die sattgrünen Vorhänge, die den Bildraum umrahmen, kontrastieren brillant mit ihrem hellen Hautton. Benson stammte aus der Lombardei, und wie sein Landsmann Leonardo da Vinci arbeitete er mit einem intensiven Hell-Dunkel-Effekt. Ein versierter Sammler konnte das sofort erkennen – auch ein Motiv, um ein Gemälde wie dieses an die Wand eines Stadthauses oder eines Schlosses zu hängen und solcherart zu zeigen, dass man mit den italienischen Trends Schritt hielt.  

Ähnlich wie heute bei Francis Bacons schreienden Päpsten führte die Popularität von Bensons Magdalena-Kompositionen dazu, dass der Meister mehrere Versionen malte, wobei das vorliegende Bild eines von wenigen ist, die sich noch in Privatbesitz befinden. Von den 1520er- bis in die 2020er-Jahre ist unsere vielleicht nicht ganz so bußfertige Heilige nach wie vor sehr gefragt, eine Grande Dame aus Brügge, die auch heute noch heiß begehrt ist. 

Damian Brenninkmeyer ist Experte für Alte Meister im Dorotheum London, Sigmund Oakeshott ist ebendort als Kunsthistoriker tätig.

AUKTION
ALTE MEISTER 

9. November 2022
Palais Dorotheum Wien

alte.meister@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-403

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