Anna Netrebko: Kontrolliert crazy

Sie schreibt Operngeschichte. Und hat in Pandemiezeiten gezwungenermaßen erstmals mehr Zeit für Dinge „just for fun“: Star-Sopranistin Anna Netrebko im Gespräch mit Dorotheum myART MAGAZINE über Kunst und Sammeln, Mode und Instagram.

Selbst Opernstars brauchen eine funktionierende Netzverbindung. Vor dem Interview im holzgetäfelten riesigen Dorotheum-Sitzungssaal blickt Anna Netrebko fragend auf ihr Handy und singt das Interrrrnet mit rollendem R quasi herbei.

Dorotheum myART MAGAZINE:
Willkommen im Dorotheum! Sie singen auf den großen Weltbühnen, aber auch quasi um die Ecke in der Wiener Staatsoper. Erst im Vorjahr haben Sie unser Auktionshaus entdeckt. Wie kam das?

Anna Netrebko: Ich dachte, es sei eine Art Museum, ein Kunsthaus. Im Dezember, als ich ein besonderes Geschenk für meinen Mann suchte, riet mir meine Assistentin, das Dorotheum zu besuchen. Ich war angenehm überrascht und beeindruckt: so ein schönes Gebäude … und die Art der Präsentation, wie in einem Museum!

Was haben Sie schlussendlich erstanden?

Zuerst habe ich mich bei den Alten Meistern umgesehen, dann wurden es zwei Silber-Kandelaber. Mein Mann war begeistert!

Ein Sammlertyp?

Sind Sie grundsätzlich der Sammlertyp?

Ich liebe Kunst und schöne Dinge, will aber nicht allzu viel Geld dafür ausgeben. Das goldene Bild in meinem New Yorker Apartment etwa [zu sehen auf dem Cover, Anm.] habe ich einem Straßenkünstler in Soho abgekauft. Mir gefällt es, mich – am Flohmarkt beispielsweise – auf die Suche zu machen, um Schönes zu finden. Ich liebe Schönheit. Gemälde muss ich nicht unbedingt zu Hause hängen haben, aber ich betrachte sie liebend gerne und versuche auch meinen Sohn dafür zu sensibilisieren. Wir sehen uns zusammen viele Ausstellungen an. Er hat schon seinen eigenen Geschmack, steht auf moderne und zeitgenössische Kunst. Picasso ist sein Held.

Sie sind gerade von einem längeren Aufenthalt in Russland zurückgekommen, mit Auftritten im Sankt Petersburger Mariinski-Theater als „Turandot“. Ermöglicht Ihnen die spezielle Situation derzeit mit reduziertem Jetset-Life, mehr von der Welt abseits der Oper zu erleben?

Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mehr Zeit. Natürlich habe ich dazwischen Auftritte. Ich sehe zu, dass ich viel hinauskomme. Schließlich haben wir nur ein Leben und es gibt so viel zu sehen! In Phasen der Lockerungen besuchten wir unterschiedlichste Ausstellungen und Museen in verschiedenen Städten. Auch rund um Wien haben wir sehr viele schöne Plätze entdeckt, Klöster zum Beispiel. Oder in Wien das Ernst Fuchs Museum.

Es ist also auch für Sie eine ungewohnte Situation?

Ich hoffe, dass das bald vorbeigeht. In Russland konnte ich aber in den vergangenen Monaten dankenswerterweise arbeiten, auch in Spanien und in der Hofreitschule. Im Sommer ist die Situation hoffentlich eine andere.

über Kunst …

Sie begeistern sich für moderne Kunst ebenso wie für die Kunst des Symbolismus, für den Jugendstil ebenso wie für russische Malerei. Was fasziniert Sie daran? 

Ich habe viele Vorlieben, ich mag klassische Kunst, moderne Kunst, Kunst aus dem 19. Jahrhundert … Postmoderne Kunst, deren Werke verstörend und düster sind, mag ich nicht so sehr und verstehe ich auch weniger. Sehr gut gefallen mir dagegen Skulpturen, Porzellan und Keramik. Ich wollte immer schon auch selbst etwas mit meinen Händen schaffen … eines Tages vielleicht? Das Einzige, was meine Hände bisher hervorgebracht haben, war eine selbst bemalte Yoda-Lampe.

Gehen Sie in der Auswahl der Museen, der Künstlerinnen und Künstler, mit denen Sie sich auseinandersetzen, intuitiv vor? Lassen Sie sich etwas vorschlagen oder recherchieren Sie selbst?

Ich suche alles selbst aus. Bei unserem jüngsten Petersburg-Besuch waren wir allein vier Mal im Russischen Museum! Besonders begeistert hat mich der Symbolist Michail Wrubel, der russische Märchen und Heldenepen umsetzte, aber auch der nach Ausbruch der Russischen Revolution nach 1917 in die USA ausgewanderte Maler und Kostümbildner Nicholas Roerich, der 1913 Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ ausstattete.

Haben Sie ein Lieblingsmuseum?

Die Ermitage in Sankt Petersburg! Aber ich war noch nie im Louvre. Jedes Mal, wenn ich ihn besuchen wollte, waren so lange Warteschlangen davor, dass ich lieber in Richtung Chanel abgebogen bin. Ich mag große Museen ebenso wie ganz kleine, etwa die Fuchs-Villa. Sie haben eine ganz eigene Atmosphäre …

… im Sinne eines Gesamtkunstwerks. Woher kommt Ihre Kunstbegeisterung?

In Krasnodar, wo ich aufgewachsen bin, gab es nur zwei Museen. In meiner Kindheit besuchte ich immer nur diese beiden Häuser, deren Ausstellungen nie gewechselt haben! Meine Eltern nahmen mich dorthin mit, um mir Kunst näherzubringen.

So wurde ihre Kunstliebe schon früh gefördert …

Ja, aber eher durch meinen Onkel, einen Maler. Ich habe ihm gern beim Malen zugesehen, er hat mir viel erklärt. Er verfügt auch über eine antike Büchersammlung mit Unikaten. Er vermachte mir ein Ritterpoem aus dem 19. Jahrhundert; das Buch ist 20 Kilogramm schwer und mit Lithografien von Gustave Doré ausgestattet.

auf Instagram …

Ihre Insta-Posts zeigen oft schöne Interieurs. Ist Inneneinrichtung ein Thema, das Sie jetzt gerade besonders beschäftigt?

Nicht mehr. Wir haben die Wiener Wohnung mithilfe eines Designers aus Italien renoviert. Ich wählte die Stoffe und Farben aus und designte zwei Sofas, damit ich beschäftigt war. Im vergangenen Jahr habe ich während der Pandemie auch die Terrasse renoviert und die Wände gestrichen. Nun werde ich Sachertorten-Kisten bemalen. Außerdem gestalte ich Taschen, just for fun.

Auch in „normalen“ Zeiten vermitteln Sie Lebensfreude, eine gewisse Leichtigkeit und Vielseitigkeit. Wie lässt sich das mit der Disziplin des Probens und Übens vereinbaren, das, wie man hört, oft acht Stunden täglich dauert?

Ich bin sehr gut organisiert. Das sagt man dem Sternzeichen Jungfrau nach, wenn man daran glauben will …

Ein Opernstar!

Auf der Website der Wiener Staatsoper steht zu lesen, dass Sie den Begriff des Opernstars neu definieren. Dazu gehört, dass Sie auf Instagram sehr aktiv sind. War es Ihre Entscheidung, Menschen so intensiv an Ihrem privaten wie beruflichen Leben teilhaben zu lassen?

Absolut! Ich schreibe alle Beiträge selbst. Seit 2014, als ich meinen Ehemann kennenlernte, bin ich auf Instagram. Zuvor gab es für mich exakt zwei Knöpfe am Handy: den roten und den grünen, keinen Computer, kein E-Mail – ein richtiger Dinosaurier eben. Ich poste nichts wirklich Persönliches, schreibe fast nie, was ich mir denke … Ich halte nur fest. Dass es Momentaufnahmen sind, macht meine Posts interessant; es braucht keine Perfektion.

Dennoch geben Sie etwas von sich preis, oder?

Wie gesagt: Ich zeige, was ich sehe, wohin ich gehe, manchmal Outfits. Aber wer braucht derzeit Outfits? Ich habe den ganzen Winter über einen Sportanzug getragen, kaum Kosmetik verwendet, nur heute, für Sie … Ich reagiere auch auf Fragen von Followern, über 660.000 sind es aktuell.

Apropos Outfits: Die vielen Seiten Ihrer Persönlichkeit spiegeln sich auch stark in Ihrem experimentellen und spielerischen Umgang mit Mode wider. Wählen Stylisten für Sie aus?

Ich mache das alles selbst. Ich ziehe crazy Klamotten an, weil ich selbst crazy bin.

Crazy, aber organisiert?

Meinetwegen eher kunstvoll-extravagant als crazy. Ich gebe meinen Klamotten immer eine ausgefallene Note, das gefällt mir viel besser. Schwierig wird es nur beim Kofferpacken, aber da habe ich einen Trick: Ich lege alle Outfits nebeneinander auf den Boden, überlege mir mögliche Kombinationen, das hilft. Ich kann ja nicht immer im gleichen Gewand auftreten. Für meine Instagram-Posts denke ich mir spezielle Outfits aus.

Aber dieser Aufwand: alles im Geschäft aussuchen, einkaufen …

Ich bin Shopaholic, kein Problem also!

Bei all dem sind Sie der große Opernstar. Wie fühlt es sich an, Operngeschichte zu schreiben?

Gar nicht – das sollen andere beurteilen. Ich möchte weiterarbeiten, neue Rollen studieren.

In einem Interview sagten Sie, dass Ihnen die Bühnensprache Deutsch schwerfalle.

Deutsch ist eine wunderschöne Sprache, die ich liebe, ich kann sie aber leider sehr schlecht memorieren. Zwar spreche ich akzentfrei, aber es ist immer noch schwer für mich, die Sätze zusammenzubauen. Für eine Aufnahme für die Deutsche Grammophon bereite ich mich gerade auf ein Programm in deutscher Sprache vor: Wagner und Strauss. Aber die bemalte Sachertorten-Box wird wohl früher fertig sein …

Das Interview führten Doris Krumpl, Pressesprecherin des Dorotheum und Wanda Richter, Dorotheum Client Advisory Services.

Anna Netrebko

ist eine der bedeutendsten und berühmtesten Opernsängerinnen der Gegenwart. „TIME Magazine“ listete sie als erste klassische Künstlerin unter den 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Die 1971 in Krasnodar im Süden Russlands geborene und in Sankt Petersburg ausgebildete Sopranistin gilt spätestens seit ihrem legendären Auftritt als Donna Anna in Mozarts „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen 2002 als internationaler Superstar der Oper. Sie sang sämtliche berühmte Titelpartien in allen wichtigen Opernhäusern der Welt und erweitert ständig ihr Repertoire, das sich von Mozart über Verdi bis zu Belcanto-Opern und Wagner erstreckt. Die Musikwelt begeistert sie auch mit ihren Live-Konzerten, die sie unter anderem mit ihrem Ehemann, dem Tenor Yusif Eyvazov, gibt. Anna Netrebko ist Exklusivkünstlerin bei der Deutschen Grammophon.

Ihren Status als lebende Legende der Operngeschichte bezeugen zahlreiche Auszeichnungen und Preise, darunter der International Opera Award als „Beste Sängerin“ (2017), der Opera News Award (2016), die von Musical America verliehene Auszeichnung „Artist of the Year“ (2008), zuletzt der Internationale Stanislawski-Preis (2020). Neben New York und Moskau ist Wien Lebensmittelpunkt der Sängerin, die russische und österreichische Staatsbürgerin ist. Anna Netrebko, die an der Wiener Staatsoper im Juni die Lady Macbeth geben wird, steht auch für einen natürlichen, allürenfreien und lebenslustigen Opernstar, der High und Low Life gleichermaßen schätzt und zelebriert.

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