KNEBL & SCHEIRL: FLEXIBEL BEGEISTERT

„Dinge, die wir sammeln, werden zu Props unserer Identität, zu einer Art Körpererweiterung“, sagt das Duo Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, Österreichs – spätestens seit der Biennale Venedig 2022 – angesagtester Kunst-Export. In einem künstlerischen Raum, in dem die Grenzen zwischen ihrer persönlichen Identität und ihrer kreativen Schöpfung fließend sind, schaffen sie eine Welt der Transformation. Ein Gespräch über die Kunst der Verführung, Groteske und Humor, Alfred Kubin und Joe Colombo.

Bühne für quietschbunte Referenzen an die
Seventies, „weil ihre Utopien und Themen
unsere Gesellschaft bis heute prägen“:
Österreich-Pavillon von Knebl & Scheirl bei der Biennale Venedig 2022, Foto: Georg Petermichl

Dorotheum myART MAGAZINE: Könnt ihr uns ein bisschen über die Entstehung des Coverbildes dieser Ausgabe und die Idee dahinter erzählen?

Jakob Lena Knebl & Ashley Hans Scheirl: Man sieht uns im „Badezimmer“, einer Installation in unserer Ausstellung im Palais de Tokyo. Das Bad ist von Luigi Colani, einem Designer, der schon ab den 1970er Jahren biomorphes Design entwickelt hat und hinsichtlich seiner Autos und Lastwagen an Energieeffizienz interessiert war.

Euer generelles Faible für die 1970er ist unverkennbar. Könnt ihr Alten Meistern und Meisterinnen ebenfalls etwas abgewinnen?

Lena: Die Seventies waren im Zentrum unseres Biennale-Venedig-Beitrags 2022, weil ihre Utopien und Themen unsere Gesellschaft bis heute prägen. Im Palais de Tokyo haben wir uns der Schwarzen Romantik, dem Grotesken und Cyborg-Ästhetiken zugewandt. Wir bleiben beständig in Bewegung.

Ashley: Ich setze mich bewusst mit der Geschichte der Malerei auseinander, indem ich verschiedene Genres aufgreife und imitiere: Die Malerei von Romantik, Impressionismus, Surrealismus, Abstraktem Expressionismus wird mit piktogrammartigen Elementen in eine Dynamik versetzt.

Eure Arbeit verbindet verschiedene künstlerische Ansätze. Ashley hebt insbesondere die Malerei im Raum hervor. Lena fokussiert sich mehr auf den Körper (als Skulptur) und dessen Inszenierung. Diese manchmal seltsam humorvollen Figuren wirken wie Bühnenbilder. Wird es irgendwann ein Theaterstück geben?

Ashley: Das Theaterstück beginnt, wenn das Publikum in die Installation hineingeht.

Lena: Da wir offen für außerkünstlerische Kontexte sind, wäre es auch interessant, einmal ein Bühnenbild für ein Theaterstück zu kreieren. So haben wir z. B. letztes Jahr gemeinsam mit Markus Pires Mata die Schaufenster für die Shop-Eröffnung von Hermès in Wien gestaltet. Derzeit entwickle ich mit der Firma Kohlmaier ein Möbelstück.

Performen auch selbst als
Gesamtkunstwerk:
Jakob Lena Knebl (li.) und
Ashley Hans Scheirl
Foto: Christian Benesch

Als Künstlerduo porträtiert ihr euch selbst als Teil eurer Arbeit und gestaltet ein künstlerisches Gesamtwerk, das mit euch als Personen verwoben ist. Wann sind die Kunstpersonae mit den privaten Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl ident?

Lena: Studiert man bewusst eine Rolle ein, könnte man vielleicht sagen, diese ist vom Privaten getrennt. Aber das tun wir nicht. Insofern sind die Grenzen fließend.

Ashley: Zum Gesamtkunstwerk gehört für mich das Performative, in das Privates einfließen kann, aber ident wird das Private nie.

Was können eure Arbeiten bewegen – individuell, aber auch gesamtgesellschaftlich?

Lena: Uns ist der Kontakt mit einer möglichst breiten Öffentlichkeit wichtig. Insofern wollen wir durch die Sinnlichkeit von Farben, Oberflächen, Beleuchtung und den Bezug zum Körper im Alltag emotional berühren. Mit diesem Trick sollen eventuell herausfordernde Inhalte und alternative Sichtweisen vermittelt werden.

Ashley: Unsere Arbeiten erweitern die Frage nach Identität, die meist verkürzt und essentialistisch oder auch biologistisch gestellt wird, zu einem Gefüge von Relationen.

Die Groteske als Leitmotiv: Einblick in die Ausstellung "Doppelgänger!", Palais de Tokyo, Paris 2023/24

Eure Arbeiten zeugen von einer großen Vielfalt und zitieren verschiedene Themen. „Trans“ ist in gewisser Weise das Credo, unter dem ihr arbeitet. Es bezieht sich auf verschiedene Aspekte wie Medium, Identität, Kontext und Ästhetik. (De-) Konstruktion von Genre, Materialität, Kontexten und quasi Erziehung der Menschen durch Verführung und Humor. Ist die Zeit reif für gute Komödien?

Lena und Ashley: Erziehung ist ein starkes Wort. Es geht eher um eine Öffnung der ästhetischen, sinnlichen und gedanklichen Rahmen. Vielleicht Neugier auslösen, ein Erstaunen, ein Schmunzeln, vielleicht ein zweifelndes Kopfschütteln. Je schwieriger die Zeiten, desto eher braucht man Humor. Für die Ausstellung in Paris haben wir die Groteske als Leitmotiv hergenommen, Humor von der bissigen Art, Übertreibungen, die grenzwertig sind.

Einblick in die Ausstellung "Doppelgänger!": Metaphorisch aufgeladenes Setting im Pariser Palais de Tokyo, 2023/24

Was motiviert euch in der Kunst, und wie findet ihr zu immer neuen Themenbereichen?

Ashley: Wir führen miteinander anregende Diskussionen. So entwickeln sich Sammlungen an Ideen und Ästhetiken. Dabei entstehen Verbindungen. Unsere Arbeiten sind immer vielschichtig. Auch der jeweilige Ort und dessen architektonische sowie geschichtliche Charakteristiken spielen eine zentrale Rolle in der Entwicklung einer Ausstellung. Die Formel Trans- (-genre, -kontext, -materialität, -identität usw.) ist zentral für uns und verweist auch auf das Prozesshafte.

Lena: Ich habe lang als Altenbetreuerin gearbeitet. Es gab damals eine Studie darüber, was Menschen am Ende des Lebens bereuen. Das sind nicht jene Dinge, die schiefgegangen sind, die schwierig waren, sondern Dinge, die man nicht gewagt hat. Diese Erkenntnis treibt mich an, auch in meiner Kunst. Ich bleibe neugierig, lasse mich von meiner Begeisterung leiten und interessiere mich für vieles – auch außerhalb des Kunst-Kontexts. Dabei reizt es mich auch, die Distanz zu jenen Formen und Themen zu überwinden, die mich herausfordern.

Ein im Dorotheum von Jakob Lena Knebl
ersteigerter Sessel als Thron für den
goldenen „Emanuel“, 2019 ausgestellt in
der Einzelschau „I am he as you are he as
you are me and we are all together” in der Galerie Belmacs, London, Foto: Christian Benesch

Sammelt ihr selbst Kunst oder Design, oder auch Stoffe und Kleidung? Seid ihr grundsätzlich so etwas wie Sammeltypen?

Lena: Ja, das bin ich, mit Leib und Seele. Daher fließt auch mein Begehren, meine Begeisterung in meine eigene Arbeit und in Sammlungsausstellungen ein, die ich kuratiere. Nicht nur, dass die Dinge, die mich anziehen, einen Einfluss auf meine eigenen Werke haben. Ich bin auch immer sehr angetan, andere Sammlerinnen und Sammler kennenzulernen und mich auszutauschen. Begonnen hat die Sammlerei als Teenager mit Vinyl. Es ging dann später weiter mit Lampen, Geschirr, Möbeln und, ja, auch antiker Christbaumschmuck darf da nicht fehlen. Das eine oder andere Kunstwerk ist ebenfalls dabei. Ich bin ja leider sehr flexibel, was meine Begeisterung betrifft …

Welche Kriterien gelten bei der Auswahl/beim Kauf der von euch gesammelten Artefakte, und wie bewahrt oder präsentiert ihr die Werke?

Lena: Immer lustvoll in den Alltag integriert. So habe ich z. B. Zeichnungen von Kubin an der Wand und Stig-Lindberg-Geschirr am Tisch. Das Ganze wird dann von einer meiner Joe-Colombo-Lampen oder einer Midgard-Lampe ins richtige Licht gesetzt. Die Dinge, die wir sammeln, werden zu Props unserer Identität, zu einer Art Körpererweiterung. Und ja, man freut sich, Insiderwissen zu haben, dazuzugehören. Mich interessieren auch Mensch-Ding-Beziehungen. Wenn ich Besuch habe und ich entscheide mich z. B. für Teller von Herend, dann freue ich mich, wenn mein Besuch darauf wissend reagiert. Und da kommen auch Roland Barthes und Klasse ins Spiel, denn ich habe einen Working-Class Background.

Zu eurer aktuellen Ausstellung in Hamburg namens „Passage“, wo ihr Teile der Sammlung Falckenberg in eure Inszenierung einbindet: Kanntet ihr Harald Falckenberg persönlich, in dessen Areal ihr jetzt ausstellt?

Lena & Ashley: Wir trafen ihn bei der Ausstellungsvorbereitung. Ein unglaublich wacher Geist. Jemand, der ganz nahe an der Kunst war, gerne und viel darüber sprach und wegweisende Texte verfasste.

Welche Arbeiten sprechen zu euch? Weshalb?

Lena: Die Beweggründe für die Auswahl können thematisch und formal sein. Es geht u. a. auch darum, das jeweilige Narrativ zu dynamisieren, zu komplementieren oder neue Zusammenhänge herzustellen. Der neuen Generation bieten wir ebenfalls eine Bühne, mit einer Gruppenschau von Studierenden aus Wien und Hamburg. Auch interessieren uns Positionen, die noch wenig bis gar keine Aufmerksamkeit erhalten haben, und bei arrivierten Künstlerinnen und Künstlern kann es schon einmal sein, dass eine Skulptur bekleidet wird oder ein Picasso hinter einer Wand hängt und nur durch einen Zerrspiegel betrachtet werden kann.

Verbindungen von Kulisse, Objekt, Malerei und Skulptur: "Seasonal Greetings" im Kunsthaus Bregenz, 2020/21

JAKOB LENA KNEBL & ASHLEY HANS SCHEIRL

Jakob Lena Knebl, geboren 1970, studierte Mode bei Raf Simons an der Universität für angewandte Kunst Wien und „Textuelle Bildhauerei“ bei Heimo Zobernig an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2021 kehrte sie als Professorin für Transmediale Kunst an die Angewandte zurück. Knebls künstlerische Praxis verbindet u. a. die Bereiche Mode, Design und Kunstgeschichte.

Ashley Hans Scheirl, geboren 1956, erhielt eine künstlerische Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Wien und absolvierte einen Master in Fine Art am Central Saint Martins College in London. Scheirls Werk, das sich mit Machtverhältnissen im Neoliberalismus auseinandersetzt und Analogien zu queerer Sexualität zieht, umfasst Malerei, Installation und Film.

Seit 2005 unterstützen sich Scheirl und Knebl gegenseitig in ihrer Arbeit. Ihre künstlerische Synergie manifestiert sich in multimedialen Installationen, die zeitgenössische Themen humorvoll und innovativ aufgreifen und Betrachtende in spielerische Interaktionen mit gesellschaftspolitischen Themen verwickeln. Das Duo hat bei der 15. Biennale de Lyon (2019), im Kunsthaus Bregenz (2020) und im Pariser Palais de Tokyo (2023/24) ausgestellt und repräsentierte 2022 Österreich bei der 59. Biennale von Venedig. Von 27. April bis 15. September 2024 zeigen die Deichtorhallen Hamburg die Ausstellung „Passage“ in der Sammlung Falckenberg. Hier werden Scheirl und Knebl auch mit Sammlungsstücken arbeiten und Studierenden aus Wien und Hamburg eine Bühne bieten.

Jakob Lena Knebl, Ashley Hans Scheirl photo: Christophe Maout, courtesy Galerie Loevenbruck, Paris
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