Sammler Antoine de Galbert sieht rot

Zwischen den Polen “grave” und “drôle” – also ernst und komisch – ordnet er seine Kunstsammlung ein: zeitgenössische Kunst, Tribal Art, Comics und vieles mehr. Der Pariser Groß-Sammler Antoine de Galbert hat zudem vor über zehn Jahren eine bemerkenswerte Fondation gegründet, „la maison rouge“. Ein Porträt.

von Doris Krumpl

Paris, im Bobo-Viertel Bastille. Er kenne jedes Stück seiner Kunstsammlung, versichert Antoine de Galbert. Und macht dabei Wischbewegungen: Alles ist als Bilderfolge im iPad gespeichert, dem praktischen Archive to go für avancierte Kunstfreunde. Obwohl er mit den meisten seiner zeitgenössischen Kunstwerke, der Tribal-Art-Kollektion und seinen Comics in einem mehrstöckigen loftartigen Eigenheim unter einem Dach wohnt, bringt er peu à peu Teile seiner Sammlung an die Öffentlichkeit.

Licht Arbeit von François Morellet
Blickfang: Licht Arbeit von François Morellet

De Galbert, kultivierter Privatier aus französischem Hochadel, rief vor knapp zehn Jahren eine der beeindruckendsten Kunststiftungen Frankreichs ins Leben, „la maison rouge“. Dass er es ernst meint, beweist auch der unscheinbare Eingang zum 2.500-Quadratmeter-Areal. Hier hat kein Stararchitekt eine hohle Prestige-Landmark gesetzt, hier wird vielmehr musterhaft Kunst vermittelt. Mit allem, was dazugehört: Der Freunde-Verein gibt limitierte Kunstwerke heraus, das Haus publiziert zu jeder Schau Kataloge und Theoriebände. Ein Café-Restaurant beherbergt die mit 25 angestellten Personen operierende Institution ebenso wie eine große Buchhandlung.

Blumenbouquet aus Nationalflaggen von Franck Scurti
Blumenbouquet aus Nationalflaggen von Franck Scurti, im Hintergrund Objekt aus Papua-Neuguinea

Das rote Häuschen, das allem seinen Namen gab, war einst Kern eines metallverarbeitenden Betriebes. Großzügige Hallen und intime, für Video-Präsentationen bestens geeignete Räume bieten auf 1.300 Quadratmetern Platz für das avancierte Ausstellungsprogramm, das Direktorin Paula Aisemberg in Absprache mit dem Hausherren zusammenstellt. Großer Raum wird dabei Privatkollektionen eingeräumt – so zeigte man hier die Sammlungen Falckenberg und Olbricht, die Videokunst-Sammlung von Isabelle und Jean-Conrad Lemaître, Avantgarde-Werke aus dem Besitz Sylvio Perlsteins und die Art-Brut-Kollektion von Arnulf Rainer. Im Austausch wurde auch de Galberts Privatsammlung international ausgestellt, etwa seine Auswahl französischer Kunst im me Collectors Room/Stiftung Olbricht in Berlin. Ein weiteres großes Interessensgebiet des Mittfünfzigers wird im Veranstaltungsraum von „la maison rouge“ offenkundig: Hier präsentiert sich de Galberts auswahl an Tribal-Art-Kopfbedeckungen.

Über zehn Jahre „la maison rouge“ heißt nicht zuletzt Mischung von High und Low. So zeigte man etwa „Vinyl“ – eine Zusammenstellung von Künstlerplatten – oder eine Schau über Comics und zeitgenössische Kunst. Schreiend komisch dabei „L’ hospice“ von Gilles Barbier: Das lebensgroße Skulpturen-Ensemble stellt US-Superhelden im Altersheim dar, den grauhaarigen Superman in der Rollatorphase, Batman in Rentnerpantoffeln vor dem Fernseher schlafend…

Empfangsbereich "la maison rouge"
Empfangsbereich von „la maison rouge“, der privten Foundation zeitgenössischer Kunst in Paris

De Galbert schätzt sein subjektives, niemandem verpflichtetes Sammeln als Riesenprivileg. Von 1987 an führte er in Grenoble eine Galerie – bis er erkannte, dass er sein bester Kunde war. Heute kauft er Kunst von unbekannten Youngsters bei Akademie-Ausstellungen ebenso wie auf Messen wie der Art Basel. Auktionshäuser sind ebenfalls involviert, wenngleich nicht im großen maß. „Die Kunstwerke kommen zu mir“, beschreibt er seinen Zugang. Irgendwelche Gemeinsamkeiten? „Ich suche das Verstörende, Bizarre“, alles im Spannungsfeld von, wie er es französisch sagt, „grave e drôle“ („ernst und komisch“) – im Gegensatz zu dekorativ. De Galbert habe den „Blick für das herausfordernd Aabseitige“, formulierte es eine Zeitschrift. Wer hat schon eine Hyäne mit Goldzähnen (von Nicolas Milhé) im Wohnzimmer neben dem Sofa stehen? Oder ein monströses Krankenbett von Gelatin im Privathaus?

Tribal Art
Tribal Art in „la maison rouge“

Galbert blickt kritisch auf den sogenannten Kunstbetrieb. Viele Kunstwerke seien modische Machtobjekte geworden, sagt der Politikwissenschaftler in ihm, dem „la maison rouge“ auch als soziales Projekt wichtig ist. Das politische habe die Kunst verlassen. Und die Künstler heute seien sehr, sehr leise: „Picasso war berühmt und konnte dabei ein Kommunist in Shorts sein.“ Sein Glaube an Kunst und Kultur als Vektoren sozialen Aufschwungs habe ihn vor Jahren von der Businesswelt hin zum Sammeln und schließlich zur Gründung von „la maison rouge“ geführt.

Die Schau zum zehnjährigen Jubiläum der Fondation kuratierte der Computer, wichtigstes Kriterium sei das Format, sagt Antoine de Galbert mit hintergründigem Grinsen und zeigt eine Handskizze. Sie stellt das absolute Gegenteil eines White Cube dar, nämlich mit Bildern gepflasterte Wände: Der Computer geht nicht vom Inhalt, sondern von der Form der Bilder aus und berechnet die Petersburger Hängung à la 19. Jahrhundert. Etwa so verfuhr de Galbert selbst bei einer Wand seiner Wohnung mit historischen Votivbildern.

Doris Krumpl studierte Germanistik und Kunstgeschichte, war Kulturjournalistin bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ und ist seit 2004 Pressesprecherin des Dorotheum.

(Der Artikel erschien im Dorotheum myART MAGAZINE Nr. 02/2013)

Titelbild: Kunstsammler Antoine de Galbert in seiner Pariser Wohnung im Lichte von Ingo Maurens „Campari-Lampe“

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