Jean-Louis Remilleux – Medienmensch, Schlossherr und Sammler – führte das myART MAGAZINE durch sein imposantes Château de Digoine bei Paris. Und erzählte über sein Faible für historische Bauten sowie seine Vergangenheitssuche mithilfe des Sammelns, Recherchierens und Re-Möblierens.
Jean-Louis Remilleux, früher durch seine „People-Sendungen“ bekannt, widmet sich heute historischen Themen. In der von Remilleux produzierten Dokumentarfilmreihe „Secrets d’histoire“ („Geheimnisse der Geschichte“) geht es unter anderem um die oft unbekannten Lebensgeschichten außergewöhnlicher historischer Persönlichkeiten. Eine besondere Nähe zur Vergangenheit pflegt Remilleux auch durch seine Lebensweise – momentan im Château de Digoine. Das Schloss aus dem 18. Jahrhundert, in Teilen ein Werk des Architekten Edme Verniquet, beherbergt nebst anderen Kostbarkeiten auch ein schlosseigenes kleines Theater. Dort wurde der von Jacques Offenbach für die damalige Schlossherrin, die Comtesse de Chabrillan, komponierte „Valse triomphale du châteu de Digoine“ zur Aufführung gebracht, und dort probte Sarah Bernhardt das für sie verfasste Stück „L’Aiglon“. Als Jean-Louis Remilleux das Schloss 2012 erwarb, war es gänzlich ohne Einrichtung. Durch seine Teilnahme an Auktionen und viele Besuche bei Antiquitätenhändlern gelang es ihm, historisches Mobiliar in sein Schloss zurückbringen. So sind die Räume jetzt wieder mit den für die Epoche Ludwigs XV. typischen Baldachinbetten ausgestattet, und sogar ein Canapé mit Beauvais-Tapisserie findet sich darin, das einem im Louvre ausgestellten Stück aufs Haar gleicht. In der imposanten Eingangshalle, für die Clodion die Fresken geschaffen hat, befindet sich auch ein großes Porträt der Königin Christina von Schweden aus dem Atelier Ferdinand Voet, das Jean-Louis Remilleux im Dorotheum erstanden hat.
myART MAGAZINE: Monsieur Remilleux, Sie sind Filmproduzent, Schlossherr, Sammler. Früher waren Sie Journalist und Schriftsteller. Wer sind Sie wirklich?
Jean-Louis Remilleux: Ich bin neugierig. Ich war Journalist, und als Journalist ist man zur Neugierde verpflichtet. Ich interessiere mich für alles, aber meine besondere Leidenschaft gilt der Geschichte; das hat mich dazu veranlasst, mich für Schlösser zu interessieren, ganz in deren historischer Atmosphäre aufzugehen, sie originalgetreu zu renovieren und einzurichten. Meine Neugierde war auch ausschlaggebend dafür, dass ich mich für Raritäten aus dem Frankreich und dem Portugal des 17., 18. und 19. Jahrhunderts interessiere; je ungewöhnlicher und begehrenswerter sie sind, desto besser. Alle Räume des Schlosses beherbergen solche Objekte. Ähnlich halte ich es mit den Menschen: Ich liebe starke und tiefgehende Persönlichkeiten. Ich kann die Welt nicht verändern und liebe daher das Theater, das Spektakel, die Künstler, also die Welt des Spiels und des Scheins. Wobei ich natürlich weiß, dass das Leben eine sehr ernste Angelegenheit ist …
Sie haben Ihren Hauptwohnsitz hier auf diesem Anwesen. Empfinden Sie sich als Schlossherr im traditionellen Sinn?
Ja, ich habe das Château de Groussay in Montfort-l’Amaury verkauft, um mich hier, in dem kleinen Dorf Palinges im südlichen Burgund, niederzulassen. Ich liebe das Leben hier, ich bin nicht mondän und sehe in meinem Status als Schlossherr eine Verpflichtung den anderen gegenüber. Das Schloss, die dazugehörigen Gebäude und die Innenräume müssen möglichst vielen Menschen zugänglich sein, daher ist das Anwesen für das Publikum geöffnet. Ich mache es zu einem lebendigen Ort.
Wie kann man sich diese Öffnung für das Publikum vorstellen?
Anlässlich der „Nuit Blanche“ im vergangenen Oktober habe ich zum Beispiel eine Führung angeboten, während der der Schlosspark und die Innenräume ausschließlich mit Fackeln und Kerzen beleuchtet waren. Die Begeisterung der Besucher ist der Dank für die Zeit und die Energie, die ich in das Schloss investiere. Die Sorge, die mich manchmal angesichts dieses riesigen Kolosses beschleicht, verschwindet angesichts der Anteilnahme und der positiven Reaktionen der Besucher.
Wohnen zwei Seelen in Ihrer Brust? Die eine, die Paris und das Reisen liebt, die andere, die die Ruhe hier im Schloss vorzieht? Sind beide durch die Leidenschaft zur Kunst verbunden, die Sie dazu verleitet hat, ihre persönliche „Abbaye de Thélème“ zu schaffen, wie François Rabelais in seinem Roman „Gargantua“ die utopische Abtei nennt, in der das Motto gilt: „Fais ce que voudras“ – „Tu, was du willst“?
Nein, ich habe nicht zwei Persönlichkeiten, ich bin nur einfach leidenschaftlich an Geschichte, Kunst und Schönheit interessiert. Ich sehe mich als Erben Talleyrands, der sich für die Erhaltung seines kulturellen Erbes verantwortlich fühlte. Das ist ein Virus, den ich schon als ganz junger Mensch aufschnappte. Bevor ich Digoine kaufte, lebte ich zwölf Jahre im Château de Groussay, das ich ebenfalls zur Gänze restauriert und eingerichtet habe. Ich fühle mich verantwortlich, empfinde mich aber nicht als Besitzer dieser Kulturgüter. Digoine und mein Sitz in Noto in Sizilien werden für mich immer Häuser sein, die den Geist der Geschichte und einen Hauch von Schönheit spüren lassen. Diese Häuser sind für mich Zeugnisse einer wahren Lebenskunst, einer Feierkunst – da ich mir aber bewusst bin, dass ich alles verlieren kann, bin ich auch so ungeduldig.
Hat das Château de Digoine Sie so unentrinnbar in seinen Bann gezogen, dass Sie sich von dem Anwesen in Groussay abwenden mussten?
Ich habe das Château de Groussay 1999 aus derselben Liebe zur Geschichte heraus gekauft wie das Chateau de Digoine. Nachdem die Restaurierung des Schlosses abgeschlossen und es wieder öffentlich zugänglich war, begann ich mich für Digoine zu begeistern. Ich lebe jetzt zwischen Digoine und Noto in Sizilien. Ich mag die Vorstellung nicht, mich endgültig an einem Ort niederzulassen.
Wie haben Sie mit dem Sammeln begonnen? Wussten Sie schon immer, dass Sie einmal der Sammler werden würden, der Sie jetzt sind?
Es fing an, als ich im Alter von 20 Jahren ein Kunstwerk aus Ton kaufte, das zwei Paviane darstellt. Fragen Sie mich nicht, wieso ich diese Paviane haben wollte, sie gefielen mir einfach. Nach und nach habe ich immer mehr Objekte gekauft, stets Werke aus dem 17., 18. oder 19. Jahrhundert, denn ich mag moderne Kunst nicht.
Ich verbringe viel Zeit damit, Auktionskataloge zu studieren, da ich immer auf der Suche nach Stücken bin, die die Einrichtung der Zimmer des Schlosses ergänzen könnten oder die einfach nur Gefühle bei mir auslösen. Mir geht es nicht darum, Geld zu investieren. Ich habe keine wirklich rationale Erklärung für das Sammeln. Ich kaufe, was mir gefällt.
Was gefiel Ihnen im Dorotheum?
Ich habe im Dorotheum einige Bilder und Objekte für Digoine und für Noto gekauft. In Noto habe ich ein Bild hängen, das ich sehr liebe: eine Ansicht des Vesuv, vom Hafen von Neapel aus gesehen, gemalt von Gennaro Mascacotta Greco. Ich bin ein treuer Besucher von Auktionshäusern; das Ersteigern eines Objektes ist wie eine Droge, man ist erfüllt und erregt von einem einzigen Wunsch: das begehrte Objekt mit nach Hause zu nehmen.
Im Unterschied zu vielen Sammlern haben Sie keine Experten um sich, die Sie bei der Wahl von Bildern oder Objekten beraten. Warum?
Ich könnte meine Suche nach Kunstschätzen niemandem anderen überlassen. Vergessen Sie nicht, dass ich leidenschaftlich an Geschichte interessiert bin und für mich jeder Gegenstand Ausgangspunkt für ein neues Abenteuer ist. Ich studiere fast täglich Ausstellungskataloge, und ich liebe es, ein Bild lange anzusehen, es zu studieren, es mit einem anderen Blick anzusehen, um das Verborgene zu erkennen. Niemand kann das an meiner Stelle tun.
Haben Sie Verborgenes entdeckt?
Als Historiker geht es mir immer um den besonderen Blick auf die gekauften Werke: Im Dorotheum habe ich zum Beispiel das Bild einer „Dame in Schwarz“ erworben, das François-Pascal Simon zugeschrieben wird. Dieses Porträt hat sofort meine Aufmerksamkeit geweckt, da es mich an die Züge der Gräfin Walewska, der Geliebten Napoleons, erinnerte. Ich habe nachgeforscht. Derzeit ist ein Gutachten in Arbeit, um meine Hypothese zu bestätigen, aber ich bin überzeugt, dass es sich bei der dargestellten Dame tatsächlich um Maria Gräfin Walewska handelt.
Wie Sie bei unserem Rundgang feststellen konnten, sind die Mauern eines Zimmers im Schloss mit Pferdegemälden geschmückt – dieses Genre interessiert mich sehr. Ich habe herausgefunden, dass ein Bild von Philips Wouwerman in Wirklichkeit von Adam Frans van der Meulen gemalt wurde.
Jean-Louis Remilleux, hat Ihre Beschäftigung mit Kunst Sie verändert?
Kein bisschen.
Jöelle Thomas ist Repräsentantin des Dorotheum in Paris.
(myART MAGAZINE Nr. 05/2015)