Klassische Moderne: Chaim Soutine

Tiefenblick

Chaim Soutines Modelle, dem Maler zumeist fremd, sind dem Betrachter durch die tiefe Auseinandersetzung des Künstlers mit den Dargestellten schnell vertraut. Hierin liegt die Kunst Soutines, der heute als Pariser Expressionist verehrt wird. Eine Arbeit von 1928, aus seiner Pariser Zeit, gelangt im November im Dorotheum zur Auktion.

Pariser Expressionist
Soutine with a chicken, hanging in front of a broken brick wall, Le Blanc, western France (Indre), 1927

Die Malerei Chaim Soutines zeichnet sich durch ihre intensive Emotionalität und Direktheit aus. Aufgrund seiner kraftvollen Gestik, des intensiven Ausdrucks seiner schwungvoll belebten Oberflächen, der Leidenschaft für die Struktur und Farbe des Fleisches sowie der Auflösung des Volumens ins Flächige wird er in der Literatur häufig als in Paris lebender Vertreter des Expressionismus beschrieben. Soutine, der als zehntes von elf Kindern eines jüdischen Flickschneiders 1893 in der Nähe von Minsk geboren wurde, lebte auch in seinen ersten Jahren in Paris in unerträglicher Armut und arbeitete in einem baufälligen Atelier am Montparnasse. Neben Modigliani, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, hatten Van Gogh, Cézanne, El Greco sowie später Rembrandt und Courbet wichtigen formalen Einfluss auf ihn. Seinen innovativen individuellen Stil entwickelte er, indem er auf der Bedeutung der konkret wahrgenommenen Gegenstände und auf dem Malen nach der Natur als Grundlage für seine freien Auseinandersetzungen mit Form, Farbe und Textur beharrte.

Porträts mit Tiefgang

Das Porträt gewann als Motiv ab Mitte der 1920er-Jahre im Werk Soutines zunehmend an Bedeutung. Zu dieser Zeit genoss er nicht zuletzt dank der Entdeckung und des Ankaufs zahlreicher Werke durch den amerikanischen Sammler Barnes zunehmend finanzielle Sicherheit. Die Gemälde aus dieser Zeit kennzeichnen – wie das spätere Werk allgemein – eine starke Betonung des Sujets, ein überlegter Pinselstrich und zurückhaltende, harmonische Formen, die von einem strukturellen Gleichgewicht getragen sind. Die Personen sind gewöhnlich als Halb- oder Dreiviertelporträts aus nächster Nähe und zentral in die Bildmitte eingebettete Einzelfiguren dargestellt. Der Künstler beschränkte sich auf wenige Variablen und reduzierte Kompositionsschemen, die er wie eine Art Folie nutzte, um ihr mit seinem seriellen Ansatz zahlreiche Variationen und Nuancen abzugewinnen. Obwohl er es vorzog, Modelle zu porträtieren, die er nicht kannte, setzte er sich intensiv mit ihrer Persönlichkeit auseinander und konzentrierte sich ganz auf die Individualität der Personen mit ihren tiefer liegenden Eigenschaften.

Chaim Soutine, Frau in Rot vor blauem Hintergrund um 1928, Öl auf Leinwand, 75,5 x 54,9 cm, € 1.500.000 – 2.500.000
Frau in Rot

Das Bildnis „La femme en rouge au fond bleu“ ist für diesen einzigartigen Ansatz Soutines in der Porträtmalerei charakteristisch. Das Gemälde besticht durch seine großflächige Komposition mit einer klaren Umrisszeichnung und pastoser Farbgebung in leuchtenden Rot- und Blautönen. Die in sich geschlossene Form des weiblichen Körpers und der Schwung der runden Oberarme lenken die Aufmerksamkeit auf die in den Schoß gelegten Hände und den Gesichtsausdruck der Frau. Mit dem leicht gesenkten Blick und den aufmerksamen Augen strahlt sie eine ruhige Stimmung mit einem träumerischen Anklang aus. Ihre besonnene, nicht aus der Ruhe zu bringende Persönlichkeit steht allerdings in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu dem lebendig aufgewühlten Rhythmus der Pinselführung im Hintergrund, was dem Gemälde seine besondere Dynamik verleiht.

AUKTION

Klassische Moderne, 24. November 2020
Palais Dorotheum, Dorotheergasse 17, 1010 Wien

20c.paintings@dorotheum.at
Tel. +43-1-515 60-358, 386

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