KUNSTWERK DES TAGES – Oskar Kokoschka

Die Liebe zwischen Amor und Psyche, das ist wohl eine der schönsten und wegen der ihr innewohnenden Sinnlichkeit auch beliebtesten Erzählungen der griechischen Antike. Sie wurde erstmals in den Metamorphosen des Apuleius aufgezeichnet und inspiriert bis heute Literatur und Kunst, denn die Dramen der Liebe, schwankend zwischen höchstem Glück und tiefstem Leid, sind ein bleibend komplexes wie faszinierendes Thema.

Und damit wie geschaffen für Oskar Kokoschka, dem einstigen „Oberwildling“ der Kunst, der die Macht der Liebe und die nachfolgende Verzweiflung als junger Mann mit Alma Mahler in seltener Intensität erfahren hatte. Kokoschka, der barocke Sinnenmensch und große Europäer verankerte in seinem Spätwerk die menschlichen Empfindungen in der Weisheit der griechischen Mythologie.

Ein interessanter Auftrag zur Ausgestaltung einer Zimmerdecke eines Londoner Sammlers führte den Maler 1955 zum Thema von Amor und Psyche. Er sollte es letztlich dafür nicht umsetzen, sondern vollendete es als eigenständiges und großformatiges Gemälde in seinem neuen Atelier in Villeneuve am Genfersee.

Oskar Kokoschka (1886–1980), “Amor und Psyche”, 1955,Tempera auf Leinwand, 238 x 233 cm, Schätzwert € 300.000 – 500.000 
Oskar Kokoschka (1886–1980), “Amor und Psyche”, 1955,Tempera auf Leinwand, 238 x 233 cm, Schätzwert € 300.000 – 500.000 

Kokoschka wählte den entscheidenden Höhepunkt der Erzählung, als Psyche, die schöne und unwissentlich von Amor entführte Königstochter, trotz des Verbotes den ihr unbekannten nächtlichen Liebhaber, nämlich Amor, im Licht der Öllampe erblickt. Ihre zwei Schwestern – im Bild sind ihre neugierig hervorschauenden Köpfe zu sehen – haben sie aus Neid und Neugier zu dieser Handlung geraten, die kurz danach zur Trennung und zu den leidvollen Irrwegen der Psyche führen sollte.

Erschrecken und Verzweiflung liegen denn auch im Ausdruck der beiden Liebenden, Psyche hält die Öllampe wie mahnend in der Höhe, während das Messer, mit der sie das vermeintliche Ungeheuer töten wollte, zu Boden gefallen ist. Mit diesen vielen Details lässt uns Kokoschka genau die antike Erzählung nachvollziehen, nur das Ideal klassischer Schönheit spart er aus. Vielmehr ist es die innere Seelenqual, das Drama der aufgewühlten Empfindungen der Liebenden, die der Maler in seiner so unnachahmlichen dynamischen Malweise und der bewussten Verzerrung der Formen zum Ausdruck bringt. Mit den transparenteren Temperafarben wird das Märchenhafte, Traumhafte des Geschehens noch weiter unterstrichen.

Oskar Kokoschka ließ das Gemälde auch als Wandteppich ausführen, der später über seinem Schreibtisch in seinem Wohnsitz im schweizerischen Villeneuve hing, wohin er nach Jahren im englischen Exil übersiedelte. Sein Sohn, Bohuslav Kokoschka, übergab das Gemälde von 1961-1965 als Leihgabe an die Österreichische Galerie Belvedere.

Oskar Kokoschkas Schreibtisch in Villeneuve, mit dem Wandteppich nach dem Gemälde “Amor und Psyche”, 1966 © Universität für angewandte Kunst Wien, Oskar Kokoschka Zentrum, Inv. Nr. OKV/1050/F / Fotograf: Walter Dräyer / reproduction: Birgit & Peter Kainz © Bildrecht, Wien 2020
Oskar Kokoschkas Schreibtisch in Villeneuve, mit dem Wandteppich nach dem Gemälde “Amor und Psyche”, 1966 © Universität für angewandte Kunst Wien, Oskar Kokoschka Zentrum, Inv. Nr. OKV/1050/F / Fotograf: Walter Dräyer / reproduction: Birgit & Peter Kainz © Bildrecht, Wien 2020

Auktion Klassische Moderne
24. November 2020

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