Lorenz Bäumer: Sammler von Sammlungen

Er inszeniert Meteoriten, tätowiert Diamanten und ist seit 30 Jahren Sammler mit Herzblut. Der französisch-deutsche Edeljuwelier Lorenz Bäumer spricht bei einem Treffen mit myART MAGAZINE an der prestigeträchtigen Adresse Place Vendôme 19 in Paris über Juwelen-Speed-Dating, seine Sammlungen und seine erste Kreation.

Lorenz Bäumer in seiner Pariser Boutique mit Katharina zu Sayn-Wittgenstein und Astrid Fialka-Herics (v. l. n. r.)
Lorenz Bäumer in seiner Pariser Boutique mit
Katharina zu Sayn-Wittgenstein und Astrid Fialka-Herics (v. l. n. r.)

Der legendäre Place Vendôme in Paris hat die weltweit höchste Dichte an Haute Joaillerie. Auch an diesem verregneten Sommernachmittag kutschieren Limousinen die betuchte Klientel zu den Geschäften und zum Hôtel Ritz. Seit zehn Jahren zählt Lorenz Bäumer zur Riege der führenden Juweliere am Platz. Den Place Vendôme hat er sich kurzerhand in die Geschäftsräume geholt – mit einer Sammlung von rund 150 Fotografien seines Wahrzeichens, der Siegessäule. Bäumers Boutique an der edlen Adresse gleicht einem Kristall: Fragmentierte Spiegel und Treppen verleihen dem Raum Strahlkraft und erweitern ihn um mehrere Dimensionen. Die Fauteuils sind um den aus einer gewaltigen Amethystdruse gefertigten Couchtisch gruppiert, auf dem Lorenz Bäumer aus einer von ihm entworfenen Flasche Hennessy Cognac kredenzt. Die derart Bewirteten sind Astrid Fialka-Herics, Leiterin der Juwelen- und Uhrenabteilung des Dorotheum, und Dorotheum-Deutschland-Chefin Katharina zu Sayn-Wittgenstein, die den Diplomatensohn seit der Kindheit kennt.

Dorotheum myART MAGAZINE: Wir sind uns erstmals in den 1970er-Jahren in Ottawa begegnet; unser beider Väter waren Diplomaten. Hatten Sie schon zu jener Zeit eine Leidenschaft für Kunst?

Lorenz Bäumer: Meine Mutter malte damals auf Porzellan. Sie hatte sich ein Atelier zu Hause eingerichtet, und manchmal malte ich sie. Sie war sehr kunstaffin, sagte immer zu uns: „Wenn du einen Traum hast, dann verwirkliche ihn!“ Dieser Gedanke hat mich seither begleitet.

Sie haben schon als Kind gesammelt. Wie kam es zu dieser Leidenschaft?

Ich habe tatsächlich immer schon gesammelt. Man kann sammeln, ohne Geld auszugeben. Bei mir waren es zunächst Weinetiketten und Briefmarken. Heute sammle ich Sand von Stränden, an denen ich gesurft bin. Beim Sammeln geht es nicht um Geld; es geht da- rum, sich mit Freude einer Sache hinzugeben.

© Guillaume de Laubier

Ihr Heim strotzt vor Designermöbeln, zeitgenössischer Kunst, Fotografien und anderem. Was war Ihre erste Kunstanschaffung, und welche Künstler und Designer sprechen Sie am meisten an?

Als Sammler interessiert man sich immer nur für das nächste Objekt seiner Begierde (lacht). Ganz großartig finde ich zum Beispiel Hubert Le Gall, Hervé van der Straeten und René Lalique, aber auch Jean Puiforcat ist wunderbar inspirierend. Eines meiner ersten Stücke war ein schmiedeeisernes Pariser Möbelstück aus den – damals nicht gerade gefragten – 40er-Jahren. Ich klapperte anfangs Flohmärkte und Auktionen nach solchen Gegenständen ab. Mittlerweile finden sich in meiner Sammlung auch Objekte aus den 30ern, 70ern und zeitgenössische Arbeiten. Ich mag die Mischung. Ein Gegenstand muss eine Seele haben, sonst ist er uninteressant; er muss mich sprichwörtlich ansprechen.

© Guillaume de Laubier

Inwiefern eine Seele?

Er muss mich emotional berühren, mich inspirieren. Ich kaufe selten im Affekt, sondern warte zu und lasse den ersten Eindruck auf mich wirken. Wenn Sie Schmuck bei mir kaufen, ist es nicht anders: Schlafen Sie darüber! Wenn Sie am nächsten Tag noch an das Stück denken müssen, dann ist es das Richtige für Sie. Ich interessiere mich auch immer für die Geschichte hinter den Gegenständen, die ich kaufe.

Gilt das auch für Paul Troubetzkoys Bronzeskulptur aus dem Jahr 1893, die Sie im Dorotheum erstanden haben?

Ich hatte schon länger nach einer mondänen Troubetzkoy-Skulptur im Stil eines Giovanni-Boldini-Gemäldes gesucht und war sehr angetan von einer Skulptur im Musée d’Orsay. Dann stieß ich im Dorotheum auf „Carla Erba auf einer Bank sitzend“ und war ihr augenblicklich verfallen. Genau die richtige Epoche! Die Skulptur hat etwas Spontanes, Leichtes, Glamouröses an sich. Ich kaufe in der Regel nicht aus dem Katalog, aber das Dorotheum beschrieb sie mit so viel Liebe und so anschaulich, dass ich sofort zuschlug.

Wo bewahren Sie sie auf?

Sie ist bei mir und in Verwendung, wenn man so will, wie alle Dinge, an denen ich hänge, darunter ein wunderbares Puiforcat-Teeservice aus Silber. Die Troubetzkoy-Statue ist in meinem Zimmer. Ich sehe sie jeden Morgen, wenn ich aufwache, nebst unzähligen anderen Lieblingsstücken.

Wo kaufen Sie bevorzugt?

Mal da, mal dort – bei Auktionen, in Galerien, auf Flohmärkten … Viele der zeitgenössischen Stücke stammen von befreundeten Künstlern. Ich kaufe sie ihnen ab oder tausche mit ihnen, wenn sie an einer meiner Schmuckkreationen Gefallen finden. Bei uns zu Hause hängen im Eingangsbereich zum Beispiel die Porträts unserer Kinder – sie stammen von Philippe Pasqua.

© Vik Muniz

War das auch bei Vik Muniz’ Porträt von Ihnen so?

Definitiv. Ich bin eng mit Vik befreundet. Die Frauen in seinem Leben lieben Schmuck, was sich sehr positiv auf meine Muniz-Sammlung ausgewirkt hat. Werke zu tauschen hat eine lange Tradition in der Kunst, die ich mit vielen befreundeten Künstlern pflege. Als Vik das Porträt von mir anfertigte, brachte ich Goldstaub mit. Er bestreute das Bild damit und ich applizierte Schmuck darauf. So fließt immer ein kleiner Teil von mir ein.

Ist Ihr Schmuck von der Kunst inspiriert, die Sie kaufen?

Marcel Proust, den ich sehr verehre, sagte einmal, dass man durch die Lektüre eines Buchs in einen Dialog mit dem Autor tritt – zum Beispiel mit Tolstoi oder Balzac. In meinem Fall ist es ein Dialog mit der wunderbaren Kunst, die mich umgibt und meine Arbeit inspiriert. Ich finde zum Beispiel Ihre Ohrringe sehr interessant (deutet auf Astrid Fialka-Herics). Ich hätte sie als tolle Ausgangsbasis gekauft und neu interpretiert. Oder nehmen Sie den Konsolen- tisch meines Freundes Hervé van der Straeten: Er hat mich zu dem wunderbaren, mineralisch-pyritartigen Treppenaufgang in der Boutique inspiriert.

Was kommt bei Ihnen zuerst, der Stein oder der Entwurf?

Bei ganz besonderen Steinen wie dem Meteorit würde ich tatsächlich vom Stein ausgehen, aber bei leichter verfügbarem Material mache ich zuerst den Entwurf und passe dann den Stein an.

Wie wichtig ist Ihnen, dass Auftragsarbeiten Ihre Handschrift tragen?

Manche Künstler sagen: „Meine Arbeit gefällt Ihnen nicht? Dort ist die Tür!“ Andere wiederum arbeiten strikt nach Kundenvorgaben. Ich bewege mich irgendwo dazwischen. Wenn man für jemanden ein Schmuckstück entwirft, ist das wie eine Hochzeit: Man nimmt das Beste von beiden und lässt etwas entstehen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Ein gutes Beispiel ist meine Tiara für Fürstin Charlène. Uns verbindet die Leidenschaft für den Ozean: Ich surfe für mein Leben gern – sie war olympische Schwimmerin; und Monaco hat naturgemäß auch einen starken Bezug zum Meer, also haben wir das Element Wasser als Basis genommen.

Wie viele Sitzungen haben Sie mit Kunden, bis ein Stück fertig ist?

Unterschiedlich. Meist setzen wir uns ein, zwei Stunden zusammen. Ich mache einen Entwurf, dann die Feinzeichnung. Es ist ein bisschen wie Speed-Dating mit Schmuck. Ich lasse sie zwei, drei Exemplare anprobieren, wir bestimmen gemeinsam den Goldton, besprechen den Zeit- und Preisrahmen …

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Stück und haben Sie es noch?

Ursprünglich entwarf ich Möbel, und was nicht alles! Mein erstes Schmuckstück war ein Ring für meine Mutter. Unsere Eltern waren Diplomaten, und wenn sie das Haus verließen, dann elegant. Sie waren wie verwandelt; meine Mutter war eine Fürstin! Edler Schmuck wirkt wie ein Zauberstab. Er macht aus einer Frau eine Prinzessin.

Legen Sie als Goldschmied selbst noch Hand an?

Nein, ich wäre längst bankrott; dafür fehlt mir das Können. Ganz am Anfang habe ich selbst Modeschmuck gefertigt, aber vom Feinschmuck lasse ich lieber die Finger. Für so ein Stück braucht es Gießer, Legierer, Oberflächenbehandler, Fasser … ein breites Spek- trum an Fertigkeiten. Mein Beitrag ist kreativer Natur. Ich dirigiere das Orchester, bringe das beste Publikum – meine Kunden – am schönsten Ort mit herausragenden Handwerkern zusammen.

Innenansicht des Shops am Place Vendôme: Interior Design trifft auf Lorenz Bäumers Sammlung zur Colonne Vendôme. © Virginie Garnier

Stellt Ihre ganze Sammlung von Arbeiten auf Papier den Place Vendôme dar?

Ich habe genau genommen eine Sammlung von Sammlungen, unter anderem von Arbeiten auf Papier. Sie erinnern mich an meine eigenen Entwürfe. Papier ist für mich Spaß und Spontaneität. Die Sammlung setzt sich vorwiegend aus Meisterstücken unbekannter Künstler des 19. Jahrhunderts zusammen, von denen manche ihrer Zeit voraus waren, mit Techniken experimentiert haben, die man heute eher mit dem 20. Jahrhundert assoziieren würde. Denken Sie zum Beispiel an Picabias Bildebenen! Aber ich sammle auch alte Rahmen. Die Pariser Bilderrahmer zählen zu den Besten ihrer Zunft; ich lasse Zeichnungen gerne bei ihnen rahmen. Dann habe ich noch die besagte Sammlung von Fotografien der Siegessäule auf dem Place Vendôme. Hier in der Boutique sind rund 150 davon ausgestellt. Es war sehr mühsam, sie aufzutreiben: Sie müssen alt sein, etwas Lustiges oder Interessantes zeigen, und die Säule muss zu sehen sein.

Als Juwelier sind Sie geradezu ein Jungspund auf dem Place Vendôme, wo 2013 Ihre Boutique eröffnet hat. Welche Bedeutung hat dieser geschichtsträchtige Ort für Sie?

Ich hatte schon immer vom Place Vendôme geträumt. Als erfolgreicher Edeljuwelier gehörst du auf den Place Vendôme! Der Place Vendôme ist wie das Dorotheum: Da musst du hin!

Katharina zu Sayn-Wittgenstein ist Kunsthistorikerin, Geschäftsführerin von Dorotheum Deutschland und Leiterin der Hamburger Repräsentanz. Astrid Fialka-Herics ist Leiterin der Abteilung Schmuck und Uhren im Dorotheum, Expertin für Juwelen, Juristin und gelernte Goldschmiedin.

LORENZ  BÄUMER

ist einer der berühmtesten und innovativsten Entwerfer von Haute Joaillerie sowie Kunstsammler. 1965 in Washington als Sohn eines deutschen Diplomaten und einer Französin geboren, lebte Bäumer in Jordanien, Österreich, Deutschland und Kanada, ehe er an der École Centrale Paris Ingenieurswissenschaften studierte. 20 Jahre lang engagierte ihn Chanel als Creative Director für Juwelen, 2007 wurde er von LVMH beauftragt, für Louis Vuitton Schmuck zu entwerfen, für Guerlain kreierte er unter anderem einen Parfum-Flacon in Form einer Biene und den G-Lipstick. Anlässlich 75 Jahre NBA designte Lorenz Bäumer für Hennessy Paradis einen Cognac-Dekanter in Form eines Basketballs. 2010 bekam er den Auftrag zum Entwurf der Hochzeitstiara für Fürstin Charlène von Monaco. Seit 2013 besteht seine nach ihm benannte Boutique am Place Vendôme in Paris. Im Februar 2023 eröffnete der Maison Bäumer Vendôme Store im Doha-Oasis-Komplex in der Hauptstadt von Katar. Im Januar 2024 erscheint das in englischer Sprache verfasste Coffee Table Book „Lorenz Bäumer – 30 Years of Exceptional Creations“ mit Beiträgen des Starkochs Alain Ducasse, Fürstin Charlène von Monaco sowie des Schriftstellers Philippe Labro. Der begeisterte Surfer lebt mit seiner Familie in Paris und sammelt eklektisch vorwiegend alle Arten von Kunst, Design und Antiquitäten.

Weitere spannende Artikel finden Sie im Dorotheum myART MAGAZINE!

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